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Ohne Gemeinden geht gar nichts


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St. Pöltens gute Seite

Ohne Gemeinden geht gar nichts

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2015

Ende April fiel der Asylbereich dem Resort von Landesrat Maurice Androsch (SPÖ) zu, just zu einem Zeitpunkt, als sich das Thema national gerade zu einer Krise auszuwachsen begann. Wir sprachen mit ihm über falsche Einschätzungen, den täglichen Kampf um neue Plätze, die ambivalente Rolle der Gemeinden sowie belastende Momente.

Wie kann man sich das prinzipiell systematische Prozedere der Unterbringung von Asylwerbern in Niederösterreich vorstellen? Wie werden Quartiere ausgesucht, wie Kommunen?
Grundsätzlich laufen alle Angebote und Listen in der Fachabteilung des Landes zusammen und werden in vielen Arbeitsschritten abgearbeitet, das reicht von der Besichtigung, über Gespräche mit den Betreibern bis hin zu Vertragsausfertigung etc. Quartiere werden einerseits angeboten, andererseits über Betreiber und Gemeinden aktiv gesucht.
Österreich erlebt nicht die erste, wie es im Sprachgebrauch oft formuliert wird, „Flüchtlingswelle“. Trotzdem scheinen diesmal die Behörden überfordert – worauf führen Sie dies zurück?
Einerseits wurden die Vorzeichen nicht richtig erkannt. Zudem wurden die Dimensionen unterschätzt. Kamen im Vorjahr 25.000 Flüchtlinge nach Österreich, so werden heuer mehr als dreimal so viele die Grenze überschreiten. Im Gegensatz zu früher kommen diesmal die Menschen aus weiter Entfernung, in Verbindung mit dem kriminellen Schlepperwesen entstand so ein enormer Zustrom, im Schnitt 300 Personen pro Tag.
In Niederösterreich haben bis dato zwei Drittel der Kommunen keinen einzigen Asylwerber aufgenommen. Woran scheitert dies Ihrer Meinung nach?
In den letzten Monaten ist eine regelrechte Dynamik durch intensive Werbung und Gespräche mit Bürgermeistern entstanden. Rund 42%, also 240 von 573 niederösterreichischen Gemeinden, haben mittlerweile Asylwerber aufgenommen. Weil uns die Verteilung über die Fläche wichtig ist, um keine Hot-Spots entstehen zu lassen, prüft meine Abteilung derzeit an die 400 Angebote. Viele davon befinden sich bereits im letzten Drittel der Umsetzungsphase. Übrigens muss man fairerweise auch festhalten, dass nicht jede Gemeinde über geeignete Unterkunftsmöglichkeiten verfügt.
Vielfach werden diverse Verordnungen bemüht, welche eine gesetzeskonforme Unterbringung nicht zuließen. Inwieweit ist dies aus Ihrer Sicht Taktik von Bürgermeistern, wie kann man dagegenhalten, fordern doch jene Gemeinden, die ihren Beitrag leisten, die Solidarität der anderen ein.
Im März wurde im Zuge eines Kommunalgipfels vereinbart, dass im Ausmaß von bis zu zwei Prozent der Gemeindebevölkerung Flüchtlinge ohne Zustimmung des Bürgermeisters zugewiesen werden können. Das ist aber nicht mein Weg, den ich gehen möchte, sondern für mich stand seit der Ressortübernahme Ende April der Dialog mit den Bürgermeistern im Mittelpunkt. Gleichzeitig beschleunigten wir die Verfahren in Niederösterreich und nützten auch gesetzliche Regelungen, wie die Notstandsbauten-Bestimmung in der NÖ Bauordnung, um rasch Quartiere zu schaffen. Beides sorgte für eine gewisse Dynamik, die zuletzt die Bereitschaft humanitäre Verantwortung zu leisten, deutlich verbesserte.
In Niederösterreich ist auch die Unterbringung in Privatquartieren möglich. Was heißt das, wie lange dauert es vom Angebot bis zur Unterbringung?
Private Unterbringung bedeutet, dass Asylwerber in Niederösterreich nicht nur in organisierten Quartieren untergebracht werden, sondern individuell Unterkünfte suchen können. Dafür erhalten sie einen monatlichen Mietzuschuss in Höhe von 120 Euro. Derzeit sind von den 6.269 in der Grundversorgung des Landes betreuten Personen 2.162 individuell untergebracht. Mit der Wohnberatung Niederösterreich hat das Land zudem gemeinsam mit der Diakonie sogar ein eigenes Projekt gestartet, um Flüchtlingen, die in eine private Wohnung wechseln möchten, zu helfen. Derzeit dauert die Vorlaufzeit ein bis drei Wochen bis Flüchtlinge einziehen können.
Die SPÖ Niederösterreich sammelt aktuell Geld, um nicht konforme angebotene Quartiere derart instandzusetzen, dass Unterbringung möglich wird – was halten Sie davon? Und warum gibt es dafür keine zusätzlichen Budgetmittel?
Jede Aktivität, die dazu beiträgt Wohnraum zu schaffen, ist sinnvoll. Besonders im Zuge der individuellen Unterbringung ist die Frage der Sanierung immer wieder Thema. Im Bereich der organisierten Unterkünfte sind grundsätzlich die Betreiber dafür verantwortlich, geeignete Quartiere zur Verfügung zu stellen. Wir nehmen nur solche an, die den Vorgaben entsprechen und in Ordnung sind, daher gibt es hierfür auch keine zusätzlichen Budgetmittel.
Die Kommunen beklagen, dass es keine Schnittstelle gibt. Bis dato würden sie nicht explizit informiert, wenn in Quartieren neue Asylwerber untergebracht werden. Man könne dann auch nur verspätet auf die Situation reagieren, etwa im Hinblick auf Schulplätze etc. Wie beurteilen Sie diese Kritik?
Das mag in der Vergangenheit zugetroffen haben. Seit ich für das Flüchtlingswesen in Niederösterreich zuständig bin, gab es hier aber eine Neuausrichtung. In dem Moment, wo ein mögliches Quartier ins Blickfeld rückt, wird die Gemeinde kontaktiert. Für mich ist der Bürgermeister, die Bürgermeisterin die Schlüsselperson und unser direkter Ansprechpartner. Auch wenn ich weiß, dass ich auch einfach anweisen könnte, so gehe ich doch den Weg, eine mit Verständnis von beiden Seiten geprägte Gesprächsbasis zu pflegen. Aus meiner Sicht geht ohne Gemeinde gar nichts. Das Letzte, was ich will, ist zwangsweise zuweisen und in einer absoluten Konfrontation mit der Gemeinde zu stehen. Das bringt überhaupt nichts. Die Flüchtlinge müssen dort gut aufgenommen werden und Akzeptanz finden. Es gibt viele gute Beispiele, wo das tadellos funktioniert.
In der öffentlichen Debatte hat man sich bisher das Thema Asyl wie eine heiße Kartoffel zugeschoben. Insbesondere den Ländern wurde vorgeworfen, die vereinbarten Quoten nicht zu erfüllen. Wie beurteilen Sie diese Diskussion, und wie ist das Einvernehmen der Länder untereinander?
Schuldzuweisungen schaffen keine einzige Unterkunft. Aus dieser Debatte halte ich mich gänzlich heraus. Meine Aufgabe ist es Plätze zu schaffen.
Zur Quotensystematik haben sich Bund und Länder im Rahmen einer 15a-Vereinbarung vertraglich verpflichtet, um eine ausgewogene Verteilung der Flüchtlinge über das Bundesgebiet zu erzielen. Jedes Bundesland hat die Aufgabe diese entsprechend zu erfüllen. Die Kommunikation zwischen den Ländern ist gut. Das zeigte sich auch bei der letzten von mir einberufenen außerordentlichen Flüchtlingsreferenten-Konferenz, die im Juni in St. Pölten stattgefunden hat. Wichtig ist, dass jedes Bundesland seine Aufgabe erfüllt, wie es auch Niederösterreich tut.
Nun wird bisweilen aber eingeworfen, dass Niederösterreich die Quote in Wahrheit gar nicht erfülle, sondern nur aufgrund des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen auf über 100% kommt.
Das ist eine völlig müßige Diskussion – die Quote ist ja keine Erfindung des Landes Niederösterreich, und laut Ministerium erfüllen wir sie aktuell mit 113,75%. Das Land ist zudem, wie im Falle aller Asylwerber in der Grundsicherung – also natürlich auch jener in Traiskirchen – finanziell direkt beteiligt. Das Land trägt wie vereinbart 40% der Kosten, der Bund 60%. Wir kommen unseren Verpflichtungen also vollends nach.
Der Bund hat sich nun verfassungsrechtlich ein Durchgriffsrecht gesichert und möchte fortan in Bundeseinrichtungen direkt Asylwerber unterbringen, im Fall der Fälle auch ohne Zustimmung der Länder oder betroffenen Gemeinden. Was halten Sie davon? Kann das überhaupt funktionieren?
Wir in Niederösterreich setzen auf den Dialog. Natürlich stößt man dabei immer wieder auf Ecken und Kanten. Aufgrund der manchmal langen Vorlaufzeiten bei der Schaffung von Plätzen braucht der Bund aber auch Instrumente, um rasch handeln zu können. Auf jeden Fall ist das Durchgriffsrecht ein positives Mittel, um jene, die sich bisher nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben, aktiver einbinden zu können.
Orten Sie in der ganzen Causa auch ein politisches Problem insofern, dass insbesondere die Regierungsparteien unter dem Aspekt einer stärkerwerdenden FPÖ keine mutigen Entscheidungen und Bekenntnisse zum Thema „Asyl“ treffen?
Das Bedauerliche in dieser Zeit ist, dass wider besseren Wissens mit den Ängsten und der Not von Menschen politisches Kapital gemacht werden soll. Wer wie die FPÖ mit dem Leid von Kriegsflüchtlingen, Kindern und Jugendlichen, die vor dem IS-Terror fliehen, einzig und allein Mandate und Funktionen gewinnen möchte, agiert indiskutabel. Das ist die niedrigste Form von Politik.
Wie sieht die Zukunftsperspektive aus – so schnell ist mit einem Abreißen der aktuellen Situation ja nicht zu rechnen? Ist man dafür gerüstet?
Im Moment arbeiten alle mit Hochdruck an der Schaffung neuer Plätze. Im August wurden 800 neue Plätze in Niederösterreich geschaffen. Im September werden es weitere 800 sein. Bisher ist kein Stichtag in Sicht, an dem der Flüchtlingszustrom abreißen wird. Wir rechnen heuer mit 70.000 bis 80.000 Flüchtlingen österreichweit. Es ist daher eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft: Wenn Europa Interesse daran hat, dass dieser Zustrom abreißt, dann muss der internationale Druck steigen, um diesen Menschen wieder eine Perspektive in ihrer Heimat geben zu können.
Wie ist die persönliche Involvierung – man hat mit Menschenschicksalen zu tun – ist diese Situation für Sie persönlich belastend?
Natürlich ist es belastend. Es sind die persönlichen Schicksale belastend, wenn man z.B. weiß, welche schlimmen Erlebnisse Kinder und Jugendliche erleiden mussten. Es ist belastend, dass es noch immer Menschen gibt, die nicht verstanden haben, um was es geht. Dass es um humanitäre Verantwortung geht. Das ist mehr belastend, als die Herausforderungen wahrzunehmen, Plätze unter Hochdruck zu schaffen und Hilfe zu leisten.
Wurzel dieses Verhaltens ist oft Angst. Wie begegnet man seitens des Landes Ängsten, auch etwaigen Ressentiments der Bevölkerung?
Das Land Niederösterreich stellte jeder Bürgermeisterin, jedem Bürgermeister, jedem Bezirk und jeder Region die Möglichkeit zur Verfügung, Informationsveranstaltungen durchzuführen. Die Information der Bevölkerung steht an erster Stelle. Mir ist es auch persönlich wichtig, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu unterstützen, denn diese wissen, wo Probleme auftauchen. Je besser die Gemeinde informiert ist, desto reibungsloser funktioniert die Unterbringung.
Wie empfinden Sie umgekehrt die hohe Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, die von Spenden über Dienstleistungen bis hin zu Quartieren reicht?
Man ortet zunehmend große Bereitschaft, obwohl nach wie vor aus einer bestimmten politischen Ecke Ängste geschürt werden. Ich habe das Gefühl, dass nun mit dem Auftritt der „Schreier“ endlich Schluss ist und zum Glück die große bisher schweigende Mehrheit, die ein Herz für Menschen in Not zeigen, stärker wahrzunehmen ist.
Gibt es etwas, dass Ihnen wichtig in der Diskussion und Kommunikation ist?
Es gibt so viele Lügen und Mythen, die bewusst gesteuert worden sind. Was Flüchtlinge nicht alles haben, wie gut es ihnen nicht geht. Daher ist es wichtig, die Fakten und Tatsachen in die Öffentlichkeit zu tragen, um wieder in der Diskussion auf den Boden der Realität zu kommen. Leider wurde durch diese „Märchen“ wertvolle Zeit gestohlen. Auch gegenseitige Schuldzuweisungen und Anwürfe sorgten dafür, dass nicht in Ruhe den gestellten Aufgaben nachgekommen werden konnte. Umso mehr bin ich den vielen Freiwilligen, den NGOs, aber auch den hauptamtlichen Mitarbeitern dankbar, dass sie sich nicht beirren ließen und sich vollends in den Dienst der Sache stellten.
Was sind aus Ihrer Sicht die nächsten wichtigen Schritte, um die Situation in den Griff zu bekommen?
Es ist klar zu sagen, dass der Schlüssel dazu in der Solidarität der internationalen Gemeinschaft liegt. Auf der einen Seite ist ein massiver Kampf gegen die Schleppermafia zu führen, auf der anderen gilt es, international den Druck auf EU-Länder zu erhöhen, die gegen die ausgewogene Verteilung Politik machen. In dieser Frage bin ich ganz bei Bundeskanzler Faymann.

... analoge Beiträge:

Foto Sascha Harold

Im letzten Jahr hat sich die Gemeinde Eichgraben zu einem Musterbeispiel für die Unterbringung und Integration von Asylwerbern entwickelt. In den letzten Monaten kam auch mediale Aufmerksamkeit dazu. So ist Bürgermeister Martin Michalitsch einigermaßen überrascht, dass wir die Aktivitäten der Gemeinde noch nicht kennen. „Eichgraben hat eine lange Tradition der Hilfsbereitschaft, über die letzten Jahrzehnte waren immer wieder Flüchtlinge in der Gemeinde untergebracht.“ Einer breiteren  ...


Foto zVg

Können Sie sich an eine derartige Situation schon einmal erinnern bzw. was ist neu daran?
Prinzipiell muss man sagen, dass uns Asylanträge, Fremdenwesen oder Schlepperei nichts Fremdes sind. Historisch betrachtet war Niederösterreich als Schengen-Außengrenze jahrelang mit einer Grenze von fast 480 Kilometer konfrontiert. Erst mit der Schengen-Osterweiterung 2007 hat sich diese Dimension deutlich verringert, wobei schon damals – wie heute – die Schleierfahndung, also die  ...


Foto zVg

Asyl scheint in Österreich ein sensibles Thema zu sein. Kompetenzen werden konsequent ab- und weitergeschoben, mit unverbindlichen Quotenregelungen will man Gemeinden zum Einlenken bringen. Weitgehenden Konsens gibt es bis dato nur in der Feststellung, dass kleine, dezentrale Unterbringung von Kriegsflüchtlingen besser sei als in Massenlagern. Traiskirchen erfüllt dabei vor allem in den letzten Wochen die Rolle des Schreckensbildes, das besorgte Bürger gegen Asylheime im Umland des eigenen  ...


Foto Nadja Meister

Wer hat Schuld an der Zuspitzung der Lage?
Ich will nicht von Schuld reden, aber vielleicht von einem teilweise bewussten Wegschauen, weil sich mit dem Thema „Asyl“ halt leider Politik machen lässt, wenn man bei rechtsorientierten Parteien auf Wählerstimmenfang geht. Da steckt also möglicherweise schon ein politisches Kalkül dahinter. Aber in dieser Form, dass es gar Obdachlose gibt, das hat sicher niemand geplant oder gar gewollt – da ist die Situation schlicht grob  ...


Foto zVg/BMI

Um mit einer berufsspezifischen Frage an Sie als Sprecher des Ministeriums, also als PR-Beauftragter, zu beginnen: Haben Sie medientechnisch eine ähnliche Situation wie diese schon einmal erlebt?
Also in dieser Intensität war in den letzten vier Jahren nur die Refugee-Bewegung vergleichbar – Stichwort Besetzung Votivkirche. Und es handelt sich hierbei nicht von ungefähr um dasselbe Thema, weil dieses einfach extrem hoch emotionalisiert ist.

Worauf führen Sie das  ...


Foto pixelleo - Fotolia.com

FLÜCHLING-ASYLWERBER-MIGRANT
Wir können nicht alle aufnehmen, die arm sind
Flüchtlinge sind nach dem österreichischen Asylgesetz Menschen, die in ihrer Heimat persönlich von Gefahr bedroht sind und etwa aus rassischen, religiösen, politischen u.ä. Gründen verfolgt werden. Österreich (wie 146 weitere Staaten) hat sich mit Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention völkerrechtlich dazu verpflichtet, diese Menschen zu schützen. 2014 lebten nach  ...