MFG - Wir sind eine Art Kavallerie
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MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Wir sind eine Art Kavallerie

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2015

Von der Öffentlichkeit kaum bewusst wahrgenommen, steht die Polizei in Sachen Asyl an allervorderster Stelle, sowohl im Hinblick auf Erstbefragung als auch Erstversorgung der Asylwerber. Wir sprachen mit Oberst Markus Haindl von der Landespolizeidirektion Niederösterreich über die Arbeit der Kollegen, den Kampf gegen Schlepper und die neue „Schwerpunkt Dienststelle Asyl“ in St. Pölten.

Können Sie sich an eine derartige Situation schon einmal erinnern bzw. was ist neu daran?
Prinzipiell muss man sagen, dass uns Asylanträge, Fremdenwesen oder Schlepperei nichts Fremdes sind. Historisch betrachtet war Niederösterreich als Schengen-Außengrenze jahrelang mit einer Grenze von fast 480 Kilometer konfrontiert. Erst mit der Schengen-Osterweiterung 2007 hat sich diese Dimension deutlich verringert, wobei schon damals – wie heute – die Schleierfahndung, also die Fahndung im grenznahen Hinterland im Vordergrund stand. Im letzten Jahr hat sich die Situation dann freilich verändert, die Zahlen sind stark angestiegen. Niederösterreich ist da voll im Fokus, weil die Schlepper sehr stark die Westbalkanroute bespielen.
Die quer durch Niederösterreich läuft.
Österreich ist auf dieser Strecke ein Transitland. Ausgangspunkt ist oft die Türkei, bei uns läuft die Route dann über Burgenland, Wien, Niederösterreich, wobei zuletzt neuralgische Punkte etwa Alland, Mödling oder Amstetten waren.
Die Aufgriffe von überfüllten Schlepperfahrzeugen, zuletzt das Drama mit 71 Toten, schockieren uns alle. Wie sieht ihr Kampf konkret gegen Schlepperei aus, wie und wo findet man Verdächtige überhaupt raus?
Das ist natürlich eine große Herausforderung, wobei Schlepper primär das hochrangige Straßennetz nutzen, also Autobahnen, Schnellstraßen – Aufgriffe abseits davon sind selten, wenngleich sie natürlich vorkommen wie zuletzt fünf Personen in Neuhofen/Ybbs. Zumeist sind Schlepperautos typische Klein-LKWs, Kastenwägen, die oft unnatürlich beladen wirken – etwa wenn es hinten stärker runterhängt, das ist verdächtig. Natürlich versuchen wir, so gut es geht, zu kontrollieren, wobei ich nicht behaupten möchte, dass dies flächendeckend gelingen kann.
Und wer sind die Schlepper – wo kommen die her?
Serbien, Ungarn, Rumänien, das sind aktuell die führenden Nationen im Schleppereiwesen. Wobei die bei uns aufgegriffenen Schlepper zumeist das letzte Glied der Kette darstellen. Es gibt da prinzipiell kein homogenes Bild. Man findet „kleine“ Schlepper, die sich sozusagen etwas dazu verdienen möchten, ebenso wie – was freilich den Großteil ausmacht – organisierte Kriminalität, wo die Mafia oder einzelne Familien dahinterstecken. Organisiert heißt nichts weiter, als dass es eine klare Arbeitsteilung gibt mit dem einzigen Ziel Gewinne zu machen. Diese Köpfe dahinter zu schnappen, ist die eigentliche große Herausforderung, wenngleich es dennoch wichtig ist, auch die kleinen Fische abzuurteilen und zu bestrafen, um möglicherweise auch auf dieser Ebene Abschreckung zu schaffen.
Wie kann man sich das jetzt vorstellen, wenn Sie Asylwerber aufgreifen – welche Personen sind das?
Aktuell sind es zumeist Syrer, Iraker, Afghanen, schon mit Abstand Somalier, die wir großteils aufgreifen. Kurzum Menschen, die aus Kriegsregionen fliehen, aus Staaten, die zerfallen sind oder gerade im Begriff sind zu zerfallen – da ist die Flucht nicht unlogisch. Das Ziel der Asylwerber ist dabei meist gar nicht Österreich, sondern sie wollen – wie in den Einvernahmen am häufigsten angegeben wird – eigentlich weiter nach Skandinavien oder nach Deutschland. Die Aufgegriffenen sind in den meisten Fällen ruhig, respektvoll. Oft haben wir auch den Eindruck, dass sie sogar froh sind, dass die Polizei sie aufnimmt und versorgt, sich jemand um sie kümmert – meistens wissen Sie ja nicht einmal, wo sie gerade sind. Allererste Priorität ist dann, sie sicher von der Autobahn zu bringen, weil sich dort natürlich aufgrund des Verkehrs gefährliche Situation ergeben.
Ab diesem Aufgriff ist die Polizei als Erstversorger zuständig. Wie geht’s dann weiter?
Prinzipiell erfolgt eine erste Versorgung in der Dienststelle. Das ist aber oft eine logistische Herausforderung, insbesondere wenn es große Aufgriffe gibt – vor kurzem hatten wir etwa in Melk 80 Asylwerber. Diese Herausforderung ist nur dank des niederösterreichischen Roten Kreuzes bewältigbar, mit dem wir gut zusammenarbeiten, und das dann z.B. kurzfristig eine Garage als Unterkunft umfunktioniert und mit Verpflegung und Kleidung hilft. Ebenso unterstützt uns die ASFINAG – wir nutzen zum Beispiel auch Verkehrskontrollplätze, Liegenschaften also, die eigentlich nicht für derlei Funktionen vorgesehen sind, aber es sind wenigstens feste Unterkünfte. Diese Hilfe ist wichtig für die Menschen, die oft völlig erschöpft bei uns stranden.
In weiterer Folge erfolgt die Aufnahme der Daten.
Die Aufgegriffenen werden bis zu 48 Stunden angehalten, wobei – das sei betont – sie keine Kriminellen sind. Es erfolgt in dieser Zeit neben der Erstversorgung die offizielle Befragung, weiters die Erfassung in der IFA (Integrierten Fremdenpolizeilichen Administration) sowie die Abnahme von Fingerabdrücken, weil dies das einzige Mittel ist festzustellen, ob sie möglicherweise auch schon anderswo einen Asylantrag gestellt haben. Nach spätestens 48 Stunden, meistens früher, kommen sie in ein Verteilerzentrum.
Diese ersten Schritte gehen in Niederösterreich nunmehr in vier Asyl-Kompetenz-Zentren vonstatten. Eines davon ist in St. Pölten situiert, was nach Bekanntwerden der Pläne sofort die FPÖ auf den Plan rief, die vor einem zweiten Traiskirchen warnte.
Also zunächst ist festzustellen, dass die „Schwerpunkt Dienststelle Asyl“, wie es heißt, bereits seit Juli in St. Pölten in Betrieb ist ohne irgendwelche Schwierigkeiten. Wir haben dort zehn Bedienstete im Einsatz, angehalten können dort pro Tag bis zu 20 Personen werden. In dieser Größenordnung bewegt sich das. In Niederösterreich wurden, den relevanten Regionen entsprechend, vier solcher Einrichtungen geschaffen: Marchegg, Bad Deutsch-Altenburg, Schwechat und eben St. Pölten, weil hier vor allem die Westautobahn einen Faktor spielt. Zudem ist in der ehemaligen Bundespolizeidirektion eine gute Infrastruktur gegeben, um menschenwürdige Bedingungen für diese ersten Stunden nach dem Aufgriff zu gewährleisten. Durch die nunmehrigen Schwerpunktzentren soll vor allem eine weitere Professionalisierung und Beschleunigung erreicht werden, denn wer die Befragungen jeden Tag durchführt, ist routinierter und schneller als ein Kollege, der nur selten damit zu tun hat.
Das heißt, von kolportierten Traiskirchen-Verhältnissen keine Spur. Wie geht die Polizei mit derlei Behauptungen, die ja vielfach herumkursieren, um?
Am allermeisten machen uns politisch motivierte Diskussionen zu schaffen, die mit „Argumentationen“ arbeiten, die fern jeder faktischen Grundlage sind. Wir bemühen uns deshalb jetzt verstärkt in der Öffentlichkeit auch über Aufgriffe zu kommunizieren. Prinzipiell muss man aber festhalten, dass die Rolle der Polizei in diesem Getriebe eine untergeordnete ist. Unsere Aufgabe ist es als eine Art Kavallerie auszurücken und beim ersten Kontakt da zu sein, zu helfen. Die grundsätzliche Problemstellung der Asylfrage liegt aber auf einer übergeordneten Ebene – das wird die Polizei nicht lösen können. Unsere Aufgabe ist es, die Symptome so weit wie möglich zu lindern.
Um noch kurz bei Traiskirchen zu bleiben – im Grunde genommen ist man verblüfft, dass die Situation dort bei so vielen Menschen auf engem Raum noch nicht eskaliert ist. Was bedeutet das für die Polizeiarbeit?
Natürlich sind wir immer wieder gefordert, etwa als im Juli in Traiskirchen die Kundgebung stattfand. Und auch im Erstaufnahmezentrum selbst – es waren dort zu Spitzen ja fast 5.000 Leute untergebracht, die vielfach aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen und dort auf engstem Raum zusammenleben müssen – kann sich natürlich leichter eine gefährliche Dynamik entwickeln. Ein Faktor ist zudem, dass dort sehr viele junge Männer untergebracht sind, die mangels vernünftiger Beschäftigungsmöglichkeiten dann halt bisweilen auch untereinander Probleme haben. Da bedarf es seitens der Polizei sehr viel Fingerspitzengefühls, und das machen die Kollegen wirklich vorbildlich.
Grundsätzlich ist das Einvernehmen zwischen den Menschen vor Ort und der Polizei aber ein sehr gutes und respektvolles. Und auch wenn die Situation für die Beamten oft belastend ist, weil es einfach betroffen macht, so viele Menschen, die oft sehr verzweifelt wirken, in einer solch schwierigen Situation zu erleben, so wissen die Kollegen doch, dass ihr Einsatz Sinn macht, es primär darum geht, Menschen zu schützen und für ihre Sicherheit zu sorgen.
Es muss aber sehr belastend sein, wenn man etwa auf der Autobahn ausgesetzte Asylwerber aufgreift oder in einem LKW 71 erstickte Menschen findet.
Das ist natürlich sehr belastend, vor allem wenn auch Frauen und Kinder dabei sind. Viele Kolleginnen und Kollegen sind ja selbst Mütter oder Väter, da kann man sich schon hineindenken, was das alles bedeutet und wie tragisch das ist. Hinter jedem Mensch steckt ein persönliches Schicksal, und das macht betroffen.
Gibt es für Kollegen, denen diese Vorfälle besonders zu Herzen gehen, auch Hilfestellung?
Jeder Beamte, der ein strukturiertes Gespräch braucht, bekommt das auch. Wir setzen hier zunächst auf Peer-Support, das heißt eigens dafür ausgebildete Mitarbeiter führen diese Gespräche mit ihren Kollegen – das macht es für viele leichter, das in Anspruch zu nehmen, weil sie wissen, der andere weiß, wovon man spricht. Diese Gespräche nehmen Kollegen prinzipiell bei besonders belastenden Vorfällen in Anspruch – etwa auch wenn Schusswaffengebrauch im Spiel war, sie zu schlimmen Unfällen mit tödlichem Ausgang gerufen wurden u.ä. Braucht der Kollege noch tiefgreifendere Hilfe, steht auch psychologische Betreuung zur Verfügung.
Reicht eigentlich das Personal aus – und wie wird es in den nächsten Monaten Ihrer Einschätzung nach weitergehen?
Die Landespolizeidirektion hat 5.000 Mitarbeiter, man kann uns also schon zutrauen, dass wir auch dicke Bretter bohren können. Das Personal in diesem Bereich ist aber sicher an einem Punkt angelangt, wo die Kapazitäten ausgereizt sind. Da wird man im kommenden Jahr wohl nachjustieren müssen. Für den Herbst stellen wir uns noch auf intensive Monate ein, im Winter wird sich die Situation dann aber – so hoffen wir – entspannen, weil die langjährige Erfahrung zeigt, dass der Zustrom in der kalten Jahreszeit, so banal es klingen mag, mit der Schnee- und Schlechtwetterlage am Balkan abnimmt.
AUS DEM SCHLEPPERBERICHT 2014, BUNDESKRIMINALAMT:
„Im Jahr 2014 wurden insgesamt 34.070 Personen aufgegriffen. Das bedeutet im Vergleich zu 2013 (27.486 Personen) eine Steigerung von 24 Prozent. Die Zahl der Schlepper stieg von 352 (2013) auf 511 (2014) und die Zahl der geschleppten Personen stieg von 12.323 (2013) auf 20.768 (2014). Bei der Zahl der rechtswidrig Eingereisten oder Aufhältigen gab es einen Rückgang von 14.811 (2013) auf 12.791 (2014).“
„Die meisten Schlepper waren ungarische Staatsbürger (64) gefolgt von Staatsangehörigen aus Serbien (56), Syrien (34) und Kosovo (34). Die meisten geschleppten Personen kamen aus Syrien (6.510, 2013: 1.951), Afghanistan (4.069, 2013: 1.632), Kosovo (1.429, 2013: 690), Irak (925, 2013: 256) und der Russischen Föderation (897, 2013: 1.661).“
WAS DIE SCHLEPPER VERLANGEN
„Von Syrien nach Österreich und weiter: zwischen 8.000 und 12.000 Euro pro Person oder pro Familie zwischen 30.000 und 40.000 Euro. Von der Türkei nach Österreich und weiter: zwischen 6.000 und 10.000 Euro pro Person. Von Griechenland nach Österreich und weiter: zwischen 3.000 und 5.000 Euro pro Person. Von Libyen nach Italien per Schiff: rund 4.000 Euro pro Person unter Deck (sehr gefährlich!) oder rund 6.000 Euro auf dem Deck. Von Serbien nach Österreich: zwischen 700 und 1.200 Euro pro Person. Als Grundsatz gilt: „Je schneller und komfortabler die Schleppung durchgeführt wird, desto teurer ist sie. Je länger die Schleppung dauert und je mühevoller sie ist, desto billiger ist sie.“

... analoge Beiträge:

Foto Sascha Harold

Im letzten Jahr hat sich die Gemeinde Eichgraben zu einem Musterbeispiel für die Unterbringung und Integration von Asylwerbern entwickelt. In den letzten Monaten kam auch mediale Aufmerksamkeit dazu. So ist Bürgermeister Martin Michalitsch einigermaßen überrascht, dass wir die Aktivitäten der Gemeinde noch nicht kennen. „Eichgraben hat eine lange Tradition der Hilfsbereitschaft, über die letzten Jahrzehnte waren immer wieder Flüchtlinge in der Gemeinde untergebracht.“ Einer breiteren  ...


Foto zVg

Asyl scheint in Österreich ein sensibles Thema zu sein. Kompetenzen werden konsequent ab- und weitergeschoben, mit unverbindlichen Quotenregelungen will man Gemeinden zum Einlenken bringen. Weitgehenden Konsens gibt es bis dato nur in der Feststellung, dass kleine, dezentrale Unterbringung von Kriegsflüchtlingen besser sei als in Massenlagern. Traiskirchen erfüllt dabei vor allem in den letzten Wochen die Rolle des Schreckensbildes, das besorgte Bürger gegen Asylheime im Umland des eigenen  ...


Foto Nadja Meister

Wer hat Schuld an der Zuspitzung der Lage?
Ich will nicht von Schuld reden, aber vielleicht von einem teilweise bewussten Wegschauen, weil sich mit dem Thema „Asyl“ halt leider Politik machen lässt, wenn man bei rechtsorientierten Parteien auf Wählerstimmenfang geht. Da steckt also möglicherweise schon ein politisches Kalkül dahinter. Aber in dieser Form, dass es gar Obdachlose gibt, das hat sicher niemand geplant oder gar gewollt – da ist die Situation schlicht grob  ...


Foto zVg

Wie kann man sich das prinzipiell systematische Prozedere der Unterbringung von Asylwerbern in Niederösterreich vorstellen? Wie werden Quartiere ausgesucht, wie Kommunen?
Grundsätzlich laufen alle Angebote und Listen in der Fachabteilung des Landes zusammen und werden in vielen Arbeitsschritten abgearbeitet, das reicht von der Besichtigung, über Gespräche mit den Betreibern bis hin zu Vertragsausfertigung etc. Quartiere werden einerseits angeboten, andererseits über Betreiber  ...


Foto zVg/BMI

Um mit einer berufsspezifischen Frage an Sie als Sprecher des Ministeriums, also als PR-Beauftragter, zu beginnen: Haben Sie medientechnisch eine ähnliche Situation wie diese schon einmal erlebt?
Also in dieser Intensität war in den letzten vier Jahren nur die Refugee-Bewegung vergleichbar – Stichwort Besetzung Votivkirche. Und es handelt sich hierbei nicht von ungefähr um dasselbe Thema, weil dieses einfach extrem hoch emotionalisiert ist.

Worauf führen Sie das  ...


Foto pixelleo - Fotolia.com

FLÜCHLING-ASYLWERBER-MIGRANT
Wir können nicht alle aufnehmen, die arm sind
Flüchtlinge sind nach dem österreichischen Asylgesetz Menschen, die in ihrer Heimat persönlich von Gefahr bedroht sind und etwa aus rassischen, religiösen, politischen u.ä. Gründen verfolgt werden. Österreich (wie 146 weitere Staaten) hat sich mit Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention völkerrechtlich dazu verpflichtet, diese Menschen zu schützen. 2014 lebten nach  ...