MFG - Literarisches Brachland
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St. Pöltens gute Seite

Literarisches Brachland

Text Thomas Fröhlich
Ausgabe 03/2022

Seit einem Jahr existiert neben dem ETCETERA, der offiziellen Zeitschrift der Literarischen Gesellschaft St. Pölten (kurz: Litges), ein weiteres Druckwerk, dessen Betreiber sich der Vermittlung von Literatur verschrieben haben: die BRACHE. Bewusst ohne Subventionen und politische Unterstützung publiziert, erscheint die Nummer 3 im April.

Seit März 2021 gibt es sie: die Brache – Hefte für Poesie. Sie erscheint in einer relativ niedrigen Stückzahl (200); ihre jeweilige Geburt wird „ausschließlich durch Mäzenatentum“, wie Peter Kaiser meint, ermöglicht. Verein steckt keiner dahinter, einfach drei Menschen, die „selbst schreiben, an Literatur interessiert sind und ein idealistisches Projekt abseits wirtschaftlichen Nützlichkeitsdenkens ins Leben gerufen haben“, so Johannes Schmid. Daher rührt auch der Gedanke des Verschenkens statt des Verkaufens: eine Literaturzeitschrift, die zwar gratis ist, aber nicht umsonst. Der dritte Geburtshelfer der Brache ist neben Kaiser und Schmid der Straßenmusiker, Stadtbegleiter und Lyriker Jonathan Perry. Alle drei leben in St. Pölten, wobei an der aktuellen redaktionellen Tätigkeit in erster Linie Kaiser und Schmid Anteil haben. Beide sind sie „alte Hasen“, was Kunstvermittlung betrifft. Schmid gestaltete über längere Zeit die Geschicke des ETCETERA mit, Kaiser gehörte unter anderem zu den Gründungsmitgliedern des erfolgreichen Theater- und Literaturfestivals Blätterwirbel. „Wir sehen uns aber nicht als Konkurrenz zum ETCETERA, sondern als Ergänzung“, wird Schmid nicht müde zu betonen: „Ich weiß ja noch aus meiner ETCETERA-Zeit, wie viele Beiträge nicht genommen werden können, nicht, weil sie schlecht wären, sondern weil der Platz nicht ausreicht.“ 

Bedarfsdeckung
Es bestehe also Bedarf. Und wo in vielen handelsüblichen Literaturzeitschriften der Horizont der Betreiber grad einmal bis in die 1960er-Jahre zurückreicht, bezieht sich Schmid durchaus gerne auch auf Homer, Hesiod oder Ovid. Wer hier „konservativ“ im Sinne von „bewahrend“ denkt, hat wahrscheinlich nicht ganz unrecht. Und doch sind die Beiträge der ersten zwei Brache-Ausgaben so unterschiedlich, wie sie nur sein können: Da steht klassisches Versmaß neben experimenteller Lyrik neben recht temporeicher Kurzprosa. Eine umfangreiche Gesamtschau ohne Scheuklappen erleichtert ja auch die Auswahl dessen, was in die Brache reindarf. „Der Name kommt ja nicht von ungefähr“, erinnert Kaiser immer wieder. Und Schmid ergänzt: „Vorbestimmt ist da gar nichts“. 

Bandbreite
Zudem stellen die Brache-Hefte nur einen Teil des Gesamtkonzepts dar. Schmid konkretisiert: „Neben der eher lyriklastigen Heftreihe bieten wir Die Brache.Edition Syrinx – das sind dickere Hefte oder gleich Bücher mit Werken einzelner Autoren oder zu bestimmten Themen.“ Wobei Letzteres schon jetzt eine Bandbreite von Texten zu Simenon bis hin zu einer Neuübersetzung des konfuzianischen Tao beinhaltet. 
„Demnächst erscheint auch ein Kunstkatalog mit Werken der Malerin Maria Budweiser: 15 Bilder, dazu 15 Texte.“ Bei der Edition Syrinx sei allerdings ein ausschließlich auf Spenden ausgerichtetes Mäzenatentum nicht mehr möglich, hier brächten sich auch die Autoren finanziell ein wenig ein. „Dafür übernehmen wir Lektorat, Drucklegung und Vermarktung“, erklärt Schmid. 
Der jeweilige Autor zahle erst dann seinen Anteil, wenn er mit der Gestaltung der Druckfahnen zufrieden sei und sozusagen seinen Sanktus zur Finalisierung gegeben habe. In der Pipeline sei auch ein zweisprachiges Werk des italienischen Philosophen Mattia Coser, der unter anderem am Stiftsgymnasium Melk unterrichtet.

Unabhängigkeit
Damit aber nicht genug: Viermal im Jahr wird der sogenannte Brache.Diskurs abgehalten. „Das ist so eine Art Lesezirkel, da bespricht man eine gemeinsame Lektüre, die man eben zuvor gelesen hat. Das erste Mal war’s auf Peters Vorschlag Kabale und Liebe von Schiller.“ Elf Personen gehören einstweilen dazu. Massenveranstaltungen sehen anders aus, aber die möchte wahrscheinlich sowieso niemand. „Literatur, speziell Lyrik, kann Trost spenden in trüben Zeiten – das meinte schon Hesiod sinngemäß“, wie Schmid anmerkt. Dass wir bei der Brache allerdings meilenweit von pilcheresker Schöner-Wohnen-Literatur entfernt sind, braucht wohl nicht eigens erwähnt zu werden. Es gehe auch um die Entwicklung einer eigenen Sprache, die sich vom Mainstream des Kunstbetriebs unterscheide. „Weg mit den Floskeln!“ Der Brache-Kreis bestehe nicht zuletzt aus Menschen mit unterschiedlichsten Berufen, die unabhängig und eigenständig ihren Weg gehen. Ein wenig fühlt sich der Schreiber dieser Zeilen an Ernst Jüngers Figur des Waldgängers oder an Ray Bradburys Büchermenschen aus Fahrenheit 451 erinnert, die lieber allein oder mit ein paar ähnlich Gesinnten in innerer (künstlerischer) Emigration verweilen anstatt mit den Wölfen zu heulen.
Auf jeden Fall handelt es sich bei der Brache um ein mutiges Projekt, das von der Begeisterung und Unbeirrbarkeit seiner Protagonisten lebt, die nicht gerade wenig Lebenszeit darin investieren. Doch könnte sich die eigenwillige und auf finanzielle Unabhängigkeit pochende Herangehensweise in Zeiten einer immer stärker zu Tage tretenden literarischen und künstlerischen Gleichschaltung als unschätzbarer Vorteil erweisen. 
Reich wird damit wohl fürs Erste niemand. Aber wer sagt, dass Freude beim Bankomat abgeholt werden kann?