MFG - SCHNAPPSIDEE
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MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

SCHNAPPSIDEE

Text Thomas Fröhlich
Ausgabe 09/2017

Sie organisiert im EGON „Lesestoff & Schnaps“, moderiert Poetry Slams im Cinema Paradiso und vergibt den Ingeborg Flachmann-Preis. Die St. Pölten-Rückkehrerin Marlies Eder mischt soeben die Literaturszene der Stadt auf. Und ist damit sehr erfolgreich.

Eine laue Sommernacht im Fuhrmannshof der Wirtshausbühne EGON. Das Wettlesen um den 1. Ingeborg Flachmann-Preis, den „niedrigst dotierten Literaturpreis Österreichs“ (copyright Marlies Eder) ist in vollem Gange. Etwa 70 Besucher sehen und hören gespannt zu. Eine Jury, der u.a. Journalistin Beate Steiner, Autorin Althea Müller und Künstlerin Ingrid Reichel angehören, ist für die Preisvergabe zuständig – die anwesenden Zuhörer verleihen zudem auch noch einen Publikumspreis namens „Sargnagel“. Völlig unterschiedliche Texte werden von auch altersmäßig unterschiedlichen Teilnehmern vorgetragen. Als Sieger geht in beiden Wertungen Poetry Slammer Andi Pianka hervor. Das Wettlesen ist zugleich der Höhepunkt der ersten Staffel der Reihe „Lesestoff & Schnaps“, die Mastermind Marlies Eder gemeinsam mit Veranstalter Hennes im Frühjahr ins Leben gerufen hat, „eine monatliche offene Lesebühne, bei der jeder mitmachen kann – gerne dürfen dabei auch Fremdtexte gelesen werden“, wie Eder erläutert. „Da gibt’s auch keine Wertung, dafür für jeden Lesenden ein Gläschen Schnaps.“ Wer keinen Alkohol möge, könne den ja weiter schenken. Beim abschließenden Wettlesen hingegen seien eigene Texte ein Muss, die von Jury und Publikum auch bewertet würden. „Der Preis selbst ist ein stylisher Edelstahl-Flachmann, gefüllt mit bestem Wachauer Marillenschnaps, zur Verfügung gestellt von der Weingärtnerei Graf aus Unterloiben.“
Gab‘s da eigentlich Verstimmungen seitens der Organisatoren des Klagenfurter Bachmann-Preises? „Gar nicht!“ lacht Eder. „Die haben uns sogar auf ihrer Facebook-Seite beworben – die finden das offenbar recht cool. Wir sehen das ja auch als liebevolle Ergänzung.“
Zeit für eine offene Lesebühne
Wie wird man eigentlich Literaturvermittlerin? War da ein ausgeprägter literarischer Background vorhanden? „Überhaupt nicht. Ich bin ausgebildete Chemielabortechnikerin“, meint Marlies Eder, die ihre Jugendjahre in St. Pölten verbracht und einige Zeit in Wien gelebt hat. „Das ist halt ziemlich trocken – als Gegenpol hab‘ ich in meiner Wiener Zeit viele Literaturveranstaltungen besucht.“ Und sei so auch in die sehr lebendige Poetry Slam-Szene eingetaucht. Sogar einen eigenen habe sie dort organisiert: „Ein Debakel! Da gab‘s ein paar Rapper und MCs, die ihre Macho-Fantasien nicht im Griff hatten und ihre gewaltverliebten, sexistischen Sprüche aufs Publikum losließen.“ Eder sei bestimmt nicht prüde, aber den geballten Hasssprech brauche halt echt niemand. „Aber man lernt aus Fehlern.“ Nicht zuletzt aus Jobgründen kehrte sie wieder nach St. Pölten zurück, wo sie umgehend den Kontakt zur Literarischen Gesellschaft, kurz LitGes, suchte und fand. Im Zuge dessen übernahm sie gemeinsam mit dem Wiener Andi Pianka die Moderation der LitGes-Slams im Cinema Paradiso, was sie bis heute gerne tut: „Eigentlich hatte ich ja vor, ein Buch zu schreiben. Doch dann habe ich erfahren, dass der von der LitGes organisierte Poetry Slam beinahe nicht mehr stattgefunden hätte, da es an Moderatoren fehlte. Und so haben Andi und ich uns dessen angenommen.“ Das Buch müsse halt noch warten.
„Es tut sich in St. Pölten sehr viel in Sachen Literatur – aber was mir abging, war so etwas wie eine offene, niederschwellige Lesebühne. Neben einer g’scheiten Tanzmöglichkeit“, ergänzt die Jungveranstalterin. Woraus bezüglich der Literatur nun eben „Lesestoff & Schnaps“ entstand: „Ich bin hier gut mit den verschiedenen Kulturinitiativen vernetzt. Hennes etwa kuratiert regelmäßig Abende im EGON – und so fand die Lesebühne im wunderschönen Fuhrmannshof beziehungsweise bei Schlechtwetter im EGON-Keller ein Zuhause.“ Jeden ersten Mittwoch im Monat um 21 Uhr, gleich nach der etwas früher eine Straße weiter stattfindenden Schreibwerkstätte der LitGes, gebe es nun „Lesestoff & Schnaps“ – „das heißt, die Texte, die bei der LitGes entstehen, können gleich danach bei uns einem interessierten Publikum vorgestellt werden.“ Auch hier: keine Konkurrenz – vielmehr eine echte Ergänzung!
Eder, die im Festspielhaus als Kulturvermittlerin tätig ist, etwa für den Weltchor oder als Mitorganisatorin des Jugendclubs, schätzt nicht zuletzt die Überschaubarkeit in St. Pölten: „Es leben halt 50.000 Menschen hier und nicht zwei Millionen. Man ist freundlich zueinander, höflich. Man kennt einander. Und die hier gegebene Fußläufigkeit ist auch nicht zu unterschätzen.“ Auch sieht die Roald Dahl-Liebhaberin gute Chancen für St. Pölten, wenn diese tatsächlich zur Kulturhauptstadt ernannt würde: „Das wäre ein nachhaltiger touristischer Bringer.“ Und zugleich „hege ich da eine Horrorvision: Da gibt’s diese kleine Stadt in der Provence, die mit ihren Lavendelfeldern in einem chinesischen Film vorkam. Seitdem reisen regelmäßig zigtausende Touristen dorthin und ruinieren den Charme der Stadt.“ Sie mag halt auch ein wenig die Ruhe in St. Pölten, „verglichen zum Beispiel mit Wien.“
Nur eine gute Tanzmöglichkeit vermisst sie sehr. Aber vielleicht ändert sich das ja noch: „Möglichst bald und jederzeit – nur bitte nicht am ersten Mittwoch des Monats!“ Da sind Lesestoff und Schnaps am Zug.
Eders abschließende Worte? „Mein Aufruf an die St. Pöltnerinnen und St. Pöltner: Werdet aktiv! Die Türen stehen für alle offen. Wer vor Publikum lesen will, kann das. Bei uns!“
Darauf einen Marillenschnaps!

Es tut sich in St. Pölten sehr viel in Sachen Literatur – aber was mir abging, war so etwas wie eine offene, niederschwellige Lesebühne. MARLIES EDER