MFG - Der Wein-Professor
Der Wein-Professor


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Der Wein-Professor

Text Thomas Fröhlich
Ausgabe 09/2011

Seit 2005 gibt es haydn.most.wein.edelbrand am Herrenplatz 6: ein Verkaufslokal mit Verkostungsmöglichkeit, das nicht nur Wein-, sondern auch Musikgourmets glücklich macht. Wie es dazu kam, dass dieser Hort urbanen Genießens auf höchstem Niveau in St. Pölten seine Pforten geöffnet hält, erzählt der Chef de Vin persönlich.

„Genuss ist wichtig. Was das genaue Gegenteil zum Suchttrinken darstellt.“ Das muss klargestellt sein.
Michael Haydn, seines Zeichens Weinhändler, Musikkenner und Missionar in Sachen gutes Leben, weiß, wovon er redet: „Wer vom Wein spricht, spricht von einem riesigen Aromaspektrum – bis zu 500 verschiedene Aromen werden beim Gären frei.“ Und die schmecke man eben. Funde bezeugten, dass es im Traisental wahrscheinlich schon seit 4000-5000 Jahren Weinanbau gebe. „Und der Genuss von Rauschmitteln ist sowieso so alt wie die Menschheit. Es kommt eben darauf an, wie man damit umgeht.“ Damit es überhaupt ein Genuss ist. Was Komasäufer wahrscheinlich nie begreifen werden.
Und so bietet der Lehrer-Gastronom seit 2005 in seinem kleinen, aber feinen Geschäft in der St. Pöltner Innenstadt ausgewähltes Vergorenes für ein ebenso handverlesenes Publikum an.
Gut essen interessierte den 1971 geborenen und in Loosdorf aufgewachsenen Haydn eigenen Angaben zufolge schon als Kind. Er wollte sogar in der Schule kochen lernen, was aber damals „für Buben“ leider noch kein Thema war. Es folgten „die HTL-Jahre mit ihren kulinarischen Tiefschlägen wie Cola-Rot und Malibu-Orange! Danach einige Semester an der Uni Wien, die aber nach ausgedehnten Touren durch die Wiener Gastronomie nicht sehr erfolgreich endeten.“ Er lacht. „Ab 1993 versuchte ich mich als Schankgehilfe und fand großen Gefallen am Kellnerberuf. Neben der Ausbildung zum Lehrer verbrachte ich viel Zeit im Nachtleben.“ 1998 endete seine Zeit als Kellner und er wurde Lehrer. „Gleichzeitig machte ich einen Kurs zur Konzessionsprüfung fürs Gastgewerbe. 2000 legte ich die Prüfung erfolgreich ab.“
Als Kellner hatte er auch einen Wein namens Roter Veltliner kennen gelernt – nur warum war der weiß? Er begann eine Ausbildung an der Weinakademie in Krems und Rust, in der er Fragen wie diese beantwortet bekam. Und er lernte, den verschiedenen Aromen nachzuspüren, was ihm ein ganzes Universum an Geschmacksrichtungen eröffnete. Nähe
Seit 2004 trug sich Haydn mit dem Gedanken, in der St. Pöltner Gastronomie tätig zu werden. Und zwar nicht mit irgendeinem Lokal, sondern an einem Ort, an dem er seine Begeisterung für avanciertes Genießen an andere weitergeben konnte. „Da ich nun schon in St. Pölten als Lehrer in der Sporthauptschule tätig war und mich hier sehr wohl fühlte, musste ich einen Weg finden, um mein Vorhaben parallel zum Lehrersein umsetzen zu können.“ Und er ergänzt: „Als leidenschaftlicher Radfahrer bewege ich mich in überschaubaren Distanzen; und ich wollte durch die Gründung des Unternehmens keinen großen Aufwand für den Transport haben.“ Und das entspricht nicht nur einem betriebswirtschaftlichen Kalkül, sondern ist gleichsam eine Lebensphilosophie, die auch seine Frau Gabi teilt: kein Lippenbekenntnis sondern ein ökologisch nachhaltiger way of life, der auch Freude machen darf und soll. Ein Konzept der Nähe entstand, das kurze Wege zum Genussmittel wie zum Kunden beinhaltete. „Shop und Verkostungslokal mussten in einer Umgebung sein, wo es für viele ähnlich gesinnte Menschen möglich ist, zu Fuß oder mit dem Rad hin zu kommen. Und dank meiner Kenntnis in Sachen Wein weiß ich, dass es möglich ist, das weltweite Spektrum an Weinen nahezu komplett in der Region Niederösterreich ausfindig zu machen.“ Was sich auch in seiner hervorragenden Auswahl an Weinen aus dem Traisental niederschlägt. Haydn fand die passende Örtlichkeit am Herrenplatz – haydn.most.wein.edelbrand wurde am Landesfeiertag 2005 in St. Pölten eröffnet.
Obwohl: „Leicht war’s – und ist’s – nicht. Doch beschert mir die Kleinheit der Räumlichkeit auch ein relativ geringes Risiko.“ Sein Verkaufslokal mit Verkostungsmöglichkeit wird inzwischen von einer treuen und regelmäßig anzutreffenden Stammkundschaft frequentiert, die bereit ist, sich auf ein immer wieder wechselndes Weinprogramm einzustellen, und auch die angebotenen Säfte, Mostvarianten und Edelbrände zu schätzen weiß. Laufkundschaft gebe es weniger, was aber vielleicht auch daran liege, „dass die Öffnungszeiten nicht sehr shopperfreundlich sind“. Donnerstag, Freitag ist ab 17 Uhr geöffnet, nur am Samstag schon am Vormittag. Er sei mit seinen Produkten auch oft bei diversen Veranstaltungen im Raum St. Pölten präsent – das bringe zusätzliche Interessenten. Reich werden könne man damit aber sicher nicht. „Ohne meinen Lehrerjob wär’ das Betreiben des Lokals nicht durchführbar.“
Und eins kommt noch hinzu: „In St. Pölten tut sich halt generell sehr wenig mit Wein im Speziellen und Genuss im Allgemeinen. Die Stadt ist nicht sehr urban.“ Konkret heißt das auch: „Fein essen gehen ist hier ja schon ein Problem; auch in einem so genannten Toplokal kriegt man nicht einmal eine g’scheite Weinbegleitung.“ Ein Rufer in der Wüste?
Auf jeden Fall durchdringt Haydns Qualitätsanspruch auch andere Lebensbereiche. Im Gegensatz zum flächendeckenden Formatradio-Schrott darf man sich beim Betreten des haydn.most.wein.edelbrand über ausgewählte Tonkonserven freuen: „Ich bin mit der Drum’n’bass-Szene groß geworden, mag elektronische Musik, aber auch Jazz.“ Klassik sowieso. Und ab und zu wird man mit elegisch Countrifiziertem von Nick Cave bis Johnny Cash begrüßt. Musik ist für Haydn auf jeden Fall mehr als eine keimfreie Klangtapete. „Kunststück, bei meinem Namen!“ meint er und grinst sich eins.
Ob man eigentlich Weinkenner sein muss, um in Haydns Lokal einzukaufen? „Um Himmels willen, nein!“ ruft er beinahe entrüstet. „Es kommen immer wieder welche, die sagen: ‚I versteh ja nix vom Wein!’ Ich sag’ dann drauf: ‚Is’ wurscht, man muss ein sinnliches Erleben nicht verstehen!’“ Und er setzt hinzu: „ Ich schon. Weil das ist ja mein Job.