Mein Beileid
Text
Thomas Winkelmüller
Ausgabe
11/2025
Ich habe schon einmal hier über einen meiner ehemaligen Lehrer geschrieben. Damals rief als Reaktion meine alte Direktorin beim Chefredakteur dieses Magazins an und echauffierte sich über meinen Kommentar. Verständlicherweise. Ich begann den Text mit der Aussage, dass ich meinen Geschichtslehrer nie ausstehen konnte – endete aber durchaus verbindlich.
Auf die Gefahr hin, wieder einen Anruf zu provozieren, versuche ich es jetzt nochmals.
Es geht um meinen Mathelehrer. Während meiner Zeit in der Oberstufe habe ich ihm einmal den Mittelfinger gezeigt. Zu meiner Verteidigung: Ich dachte, er würde es nicht sehen. Er beschimpfte mich dann (durchaus berechtigt). Später gab ich ihm zu Semesterende ein leeres Hausübungsheft ab. Ohne Zweifel, er hatte es nicht leicht mit mir.
Als meine Mutter während eines Elternsprechtags dann seine Verzweiflung über mich spürte, erlaubte sie ihm, mir einmal pro Semester eine „Detschn“ zu geben. Er reagierte entgeistert – und hat diesen mütterlichen Freifahrtschein natürlich nie eingelöst. Auch weil er dafür eine viel zu gute Seele war.
Als ich 2016 dann gegen jede Wahrscheinlichkeit die Mathe-Matura knapp aber doch schaffte, war es das überraschende Ende eines unrühmlichen gemeinsamen Weges.
Jetzt ist mein Professor an Krebs gestorben. Und auch wenn wir uns gegenseitig viele Sorgen bereitet haben, denke ich heute gerne an ihn zurück. Er war vielleicht kein guter Lehrer, aber sicher ein guter Mensch.
Wo auch immer er jetzt ist – ich hoffe, es geht ihm gut.



