Chronisch krank
Text
Sascha Harold
Ausgabe
09/2025
Die Corona-Pandemie ist aus der öffentlichen Debatte weitgehend verschwunden, doch gibt es zahlreiche Menschen in Österreich, die nach wie vor unter den Folgen einer Covid-Infektion leiden. Manche so sehr, dass wir das Interview nur via Telefon führen können, weil sie die meiste Zeit im Bett verbringen müssen.
Monika Krampl ist 75 Jahre und kämpft seit fünf Jahren mit den Folgen einer Covid-Infektion. „Von einem Tag auf den anderen hat sich mein Leben verändert. Mein Alltag ist geprägt von anhaltender und nicht erholsamer Müdigkeit, von Konzentrations- und Gedächtnisproblemen, meiner geringen Belastbarkeit und körperlichen Beschwerden im Wechsel wie Kopf-, Muskel- und Gliederschmerzen, um nur einige meiner Symptome zu nennen. Seit fünf Jahren lebe ich das Leben einer Behinderten“, so Krampl. Seit zwei Jahren könne sie außerdem nur noch mit Unterstützung eines Gehstockes gehen, am Abend fortzugehen käme nicht in Frage, dadurch seien auch die sozialen und kulturellen Kontakte weggebrochen, was zu einer sozialen Isolation führt, unter der auch viele andere Long Covid-Patienten leiden. Ihr Zustand ist seit Beginn der Erkrankung unverändert, über soziale Netzwerke habe sie Kontakt mit anderen Gruppen und Einzelpersonen aufgenommen, denen es ähnlich geht und dabei festgestellt, dass nur die wenigsten Hilfe erhalten. Über die letzten fünf Jahre hat sie außerdem Tagebuch über ihr Leben geführt und will das Erlebte jetzt in Buchform veröffentlichen, um Aufmerksamkeit für die Erkrankung zu schaffen. „Ich habe Kontakt mit einigen Verlagen aufgenommen und hoffe auf eine positive Rückmeldung im September“, erzählt sie.
Die Definition von Long Covid ist grundsätzlich sehr breit und umfasst alle Symptome, die mehr als vier Wochen nach dem Beginn einer Covid-Erkrankung fortbestehen oder neu auftreten. Eine US-Studie aus dem Vorjahr geht davon aus, dass weltweit etwa 400 Millionen Menschen davon betroffen sein könnten. Christian Neuhauser ist Facharzt für Neurologie und mit der Behandlung von Covid-Patienten schon seit dem Beginn der Pandemie vertraut. Die Probleme, mit denen viele heute zu kämpfen hätten, seien grundsätzlich nicht erst seit Corona bekannt: „Post virale Syndrome sind grundsätzlich nichts Neues, sondern können auch nach anderen Viruserkrankungen, etwa dem Epstein-Barr-Virus, auftreten. Der Game Changer in der Pandemie war, dass es eine so große Anzahl an Menschen gibt, die gleichzeitig krank wurden. Dazu kamen bei Long Covid Besonderheiten hinzu, etwa dass die Lunge der Patienten stark angegriffen war“, so der St. Pöltner Arzt. Heute begreife man Covid als eine Multisystemerkrankung, bei der neben körperlichen auch geistige Einschränkungen vorliegen können.
Generell müsse man aber festhalten, so Neuhauser weiter, dass die Rehabilitationschancen bei den meisten Menschen mit Long Covid-Symptomen sehr gut seien. „Die Erkrankung hat aus sich selbst heraus eine deutliche Heilungstendenz. Es ist zwar keine psychosomatische Erkrankung, aber wenn Menschen sehr lange krank und körperlich am Ende sind, dann leidet irgendwann auch die Seele darunter. So ein mentaler Zusammenbruch kann auch eine der Ursachen für die Chronifizierung einer Erkrankung sein“, erklärt Neuhauser. Wichtig sei deshalb ein soziales Umfeld, das bestärke und ein gesellschaftliches Umfeld, das die Menschen ernst nehme. Neuhauser: „Ich sehe das Soziale als wesentliches Problem. Wie werden diese Menschen abgesichert und versorgt? Wir müssen aus dem Stigma herauskommen, dass es bei Long Covid nur um ein psychiatrisches Problem geht.“
Gerade bei Menschen, die dauerhaft unter den Folgen einer Infektion leiden und dadurch teils im Dauerkrankenstand sind, braucht es verbesserte Rahmenbedingungen. „In gutachterlichen Fragen werden diese Patienten deutlich diskriminiert. Dem Patienten wird kommuniziert, dass er nur ein psychiatrisches Problem hat, was Auswirkungen auf finanzielle Absicherung hat. Ich kenne Fälle bei denen Gutachten beim Arbeitsgericht beeinsprucht werden, um vom selben Experten geprüft zu werden, der das Gutachten geschrieben hat – das ist empörend“, fasst Neuhauser zusammen. Hier sei auch die Politik gefordert, die für gesetzliche Anerkennung sorgen müsse, so der Arzt.
Einen Sonderfall unter den möglichen Langfolgen einer Covid-Infektion stellt die sogenannte Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) dar, bei der Menschen unter großer körperlicher und geistiger Erschöpfung leiden – wie das etwa bei Krampl der Fall ist. Eine US-Studie aus dem Jahr 2020, also noch vor Beginn der Pandemie, geht davon aus, dass etwa 0,89 Prozent der Menschen davon betroffen sind. Der genaue Zusammenhang zwischen Long Covid und ME/CFS ist noch nicht geklärt, bei den Symptomen zeigen sich aber deutliche Überlappungen – auch wenn die Rehabilitationschancen bei ME/CFS schlechter stehen. Johanna Mittermaier ist 23 Jahre alt und bekam 2023 die Diagnosen Post-Covid-Syndrom und ME/CFS. „Ich bin jetzt seit fünf Jahren krank und habe nach einigen Verschlechterungen die letzten zwei Jahre fast nur in meinem Zimmer im Bett verbracht. Selbst Dinge wie ab und zu duschen oder lange Gespräche haben mich da teils in eine schlechtere Verfassung gebracht“, erzählt sie.
Vor ihrer Erkrankung war die Niederösterreicherin sozial aktiv, hatte etliche Hobbys und gerade ein Studium in Wien begonnen. All das sei in den letzten Jahren Schritt für Schritt weggefallen. „Das Wegfallen all dieser Dinge, die meine Identität ausgemacht haben und das Leben für mich lebenswert gemacht haben, das war wirklich schlimm. Es fühlte sich an, als wäre ich in eine tiefe Schlucht gefallen, aus der ich jeden Tag versucht habe hinauszukommen.“ Medizinisch wird Mittermaier dabei von zahlreichen Spezialisten betreut, darunter zwei Immunologen, einem Neurologen, Endokrinologen und Kardiologen. Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel stehen ebenfalls an der Tagesordnung. „Meine sozialen Kontakte sind eingeschränkt, meine engsten Freunde sehe ich etwa alle zwei Monate und mein Freund kommt meist einmal die Woche. Dabei achten wir wegen meines Immundefekts auf Infektionsschutz. Ich habe einen Rollstuhl, der mir ermöglicht, dass ich auf Spaziergängen geschoben werden kann und hatte diverse Therapieversuche – einige mit enttäuschendem Ergebnis, aber manche haben auch geholfen“, so Mittermaier.
Derzeit hat die junge Niederösterreicherin wieder eine bessere Phase, kann kleinere Dinge erledigen und konnte heuer sogar ihren Geburtstag mehr feiern, auch wenn sie sich die Kraft für solch größere Aktivitäten über längere Zeit „zusammensparen“ und danach meist Konsequenzen tragen müsse. Im Zuge ihrer Erkrankung hat Mittermaier begonnen Lieder zu schreiben „um mit der Trauer und Verzweiflung umzugehen und mir Hoffnung zuzusprechen. Mein Ziel ist es, jetzt langsam andere daran teilhaben zu lassen. Vielleicht gibt es ja mehr Leute, denen solche Lieder gut tun“.



