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St. Pöltens gute Seite

"Die Legende!"

Text Thomas Winkelmüller
Ausgabe 09/2025

Seit bald einem Vierteljahrhundert fotografiert Joschi Haiden das niederösterreichische Nachtleben. Mit seinen TikTok-Videos ging er nun viral. Eine Nacht auf Tour mit Österreichs vielleicht bekanntestem Partyfotografen.


Kremser Volksfest, 23:30 Uhr 
Joschi Haiden dreht sich. Das Handy in seiner rechten Hand, hochgestreckt zur Bierzeltdecke. Um seinen Hals eine pinke Krawatte. Er blickt stoisch in die Innenkamera seines Smartphones und beginnt zu filmen. Hinter ihm hebt gerade ein Bursche die Hälfte einer durchbrochenen Heurigenbank in die Höhe, als wäre sie ein Fußballpokal. DJ Schranzi aus dem Zillertal spielt „Cotton Eye Joe“. Die Menge grölt. Es riecht nach verschüttetem Bier und frischem Schweiß. Für Joschi Haiden ist das normal. Es hat ihn sogar ein bisschen berühmt gemacht.
Seit bald einem Vierteljahrhundert fotografiert Haiden Landfestl und Clubbings in ganz Niederösterreich. Wenn ein Event mit dem Auto erreichbar ist, war er wahrscheinlich schon einmal dort. Haiden arbeitet für die Foto-Plattform nitelife.at – gegründet 2008 und später von der NÖN übernommen. Gegen eine monatliche Pauschale besucht er möglichst viele Partys, macht dort Fotos und stellt sie für die Allgemeinheit ins Internet.
Nach über 3.000 Veranstaltungen und gut 200.000 Fotos kennen den 42-Jährigen deshalb gleich mehrere Generationen von Partygehern. Auch wenn sich nicht alle daran erinnern, von ihm abgelichtet worden zu sein. Manche fürchten ihn deswegen. Seine Fotos haben Leute schon ihre Anstellung gekostet. Andere haben ihn lieben gelernt. Sogar seine Frau hatte er zuerst fotografiert, bevor er sie später heiratete.
Und auch wenn er selbst es gern abstreitet: Zumindest unter jungen Leuten ist Joschi zu Österreichs bekanntestem Partyfotograf aufgestiegen. Aber warum eigentlich?

Ein Parkplatz in der Kremser Innenstadt, 21:30 Uhr 
Haiden sitzt leicht über das Lenkrad seines VW-Caddys gebeugt und versucht seine Krawatte zu binden. Auf der Rückbank hinter ihm ein Kindersitz. Er nimmt einen Schluck aus seinem Red Bull – pro Abend trinkt er eine Dose, um wach zu bleiben. Dann packt er seine Fotoausrüstung zusammen. Während andere freitags um diese Uhrzeit bereits ausgelassen am Volksfest feiern, beginnt für Haiden die Arbeit erst.
Vom Parkplatz sind es fünf Minuten zum Stadtpark. Die grellen Lichter im Nachthimmel und ein wummernder Bass kündigen die Schaustellerhäuschen und Ringelspiele bereits von der Ferne an. Am Weg dorthin sagt Haiden: „Du wirst gleich merken, meine Zielgruppe ist mittlerweile halb so alt wie ich.“ 
Einmal am Volksfest angekommen, bahnt er sich seinen Weg von Stand zu Stand durch die feuchtfröhlichen Menschenmassen. Die Leute hier tragen große, silberne Kübel voller Bacardi-Cola und bunten Strohhalmen mit sich herum, essen Langos oder Zuckerwatte. 
Und tatsächlich dauert es keine Minute, bis die ersten Jugendliche rufen: „Oh mein Gott, Joschi, mach ein Foto von uns.“ Haiden hebt seine Kamera und schießt einen grellen Blitz aus ihr. Zwei Mädchen nebenan beobachten die Szene und beginnen zu tuscheln. „Schau, das ist der von TikTok.“ Es bildet sich eine Menschentraube um Haiden. Die jungen Leute darin nennen ihn „Legende“, „Ficker“ oder einfach „den Geilsten“. Und sie wollen Fotos. Nicht einfach von Haiden, sie wollen Fotos mit ihm. Haiden schießt an diesem Abend gut zwei Dutzend Selfies mit seiner Kamera. Ein paar Besucher ziehen gleich ihr eigenes Handy aus der Tasche, lehnen sich an ihn und laden die Schnappschüsse selbst ins Internet. Haiden ist offenbar ein Promi geworden.
Obwohl er mittlerweile zwei Jahrzehnte älter ist als die Menschen, die er fotografiert, ist Haiden bekannter denn je. Grund dafür sind Szenen wie die vom Bierzelt in Krems. Wenn sich Haiden während seiner Arbeit mit ernster Miene mitten im Saufgelage filmt, lädt er die Aufnahmen auf TikTok. Und aus irgendeinem Grund dürfte den Leuten das gefallen. Vor zwei Jahren ging Haiden damit viral. Manche seiner Videos wurden seither fast eine halbe Million Mal angeschaut. TikTok hob ihn aus der Provinz aufs nationale Tanzparkett. Junge Menschen aus ganz Österreich kommentieren seine Aufnahmen. Sie nennen Haiden dabei „Legende“ oder „Ehrenmann“ und bitten ihn, bei ihren Festen, Bällen und Clubbings Fotos zu machen. Dabei begann seine Karriere alles andere als vielversprechend. „Lern was Gescheites“, rieten ihm seine Eltern. Haiden begann seine Ausbildung in einem Elektrikerbetrieb und er hasste es. Ihm fehlte das Talent, einer der Gesellen in seiner Lehrstelle war Choleriker, der andere verprügelte Haiden. 
Er wechselte deshalb nach seiner Lehre zu einem lokalen Radiosender. Gegen wenig Geld arbeitet Haiden als Fahrer und transportierte Equipment für Liveübertragungen von DJ-Sets in eine Disko. 
Haiden sagt, er sei damals ein schüchterner Bursche gewesen. Frauen anzusprechen? Das ging gar nicht. Und dann kam seine Chefin im Club auf ihn zu und sagte: Wir bezahlen dich nicht nur fürs Fahren, auf die Tanzfläche mit dir und schau, dass sich der Floor füllt. „Die ersten fünf Minuten waren die Hölle“, so Haiden. „Aber ich hab dabei ziemlich schnell gelernt, meine Schüchternheit abzulegen.“
Eines Abends drückte ihm die Chefin eine Digitalkamera in die Hand, um Fotos für die Website zu schießen. „Weil die Bilder nicht so leiwand ausgeschaut haben, hat mich dann der Ehrgeiz gepackt und ich habe mir meine erste Kamera, eine Casio, gekauft.“
Als Johannes Bramreiter ein paar Jahre später 2008 die Website nitelife.at gründete, holte er auch Haiden als Fotografen dazu und überließ zwei Kollegen und ihm letztlich die Rechte zur Marke. Rentabel war das nicht. Haiden lebte von Ein-Euro-Tiefkühlpizzen, wohnte bei seinen Eltern und häufte Schulden an. Erst als die NÖN nitelife.at übernahmen, war die Seite – sowie Haidens Einkommen – gerettet. Und seine Karriere nahm Fahrt auf.
Mit der pinken Krawatte und dem ernsten Blick wurde Haiden damals ein Meme, bevor es Memes überhaupt so richtig gab. Verkaterte und deren Freunde klickten sich auf nightlife.at durch Partyfotos vom Vorabend. In Niederösterreich kannte ihn deshalb praktisch jeder. Bald hatte er sogar seine eigene Eventreihe namens „Joschi-Mania“. Die pinke Krawatte samt eiserner Miene wurden Haidens Markenzeichen. Und sind es bis heute. Für viele ist Haiden deshalb nicht bloß jemand, der eine Party mit seinen Fotos festhält. Er ist fixer Teil vieler Events geworden. Eine Art Einlage, die Mal auftaucht und Mal nicht.

Kremser Volksfest, 23:00 Uhr 
„Warum lachst du nie auf deine Fotos?“, schreit ein hörbar betrunkener Mann Haiden vor dem Bierzelt ins Ohr. Der DJ spielt „Wie heißt die Mutter von Niki Lauda?“ auf voller Lautstärke. „Ich lach doch eh auf den Bildern“, antwortet ihm Haiden. Dann, sagt der Betrunkene, wolle er jetzt ein Selfie mit breitem Lachen von Haiden. Die beiden strecken ihre Köpfe zusammen, Haiden dreht seine Kamera um – und senkt seine Mundwinkel.
Warum aber wirklich der ernste Blick? Haiden hat sich ein paar Geschichten dafür zurechtgelegt. Eine geht so: Immer wieder würden Frauen auf seinen Selfies sehr nah kommen, manche ihm sogar ein Busserl auf die Wange geben. „Meiner Frau ist das nicht so recht. Also schau ich auf jedem Bild gleich unbeeindruckt.“
Die Krawatte sei laut Haiden die Idee der damaligen Grafikerin bei nightlife.at gewesen. „Und das Ding ist bis heute saupraktisch“, sagt er. „In Discos fall ich auf und auf Bällen komm ich immer noch einigermaßen ordentlich daher.“
Was man nicht von all den Besuchern hier am Volksfest behaupten kann. Dort nimmt ein angetrunkener Mann einen kräftigen Schluck aus einem halbzerbrochenen Bierglas und grinst. Ein paar Tische weiter kann ein anderer Mann kaum noch sprechen. Seine Freunde holen trotzdem eine neue Flasche Wodka auf Eis. Etwa 150 Fotos hat Haiden zu diesem Zeitpunkt geschossen. Es ist nach Mitternacht und er sagt: „Ich glaub, wir schauen zum nächsten Festl.“ Wohin er an so einem Abend fährt, hängt von mehreren Dingen ab. Riesenevents wie das Kremser Volksfest oder der HTL-Ball sind Pflicht. Spezielle Veranstaltungen wie der Lack-und-Leder-Ball bringen Klicks. Und wenn mehrere kleine Feste gleichzeitig stattfinden, schaut Haiden auf Instagram und Snapchat, wo am meisten los ist. Seine Recherche an diesem Tag ergibt: Das Landjugendfest in Weinburg, etwa 30 Minuten von hier.

Ein Heustadel im Flutlichtschein, 01:00 Uhr 
Der Regen hat den Boden hier matschig gemacht. Die meisten Leute haben noch wenig Bart, dafür aber schon viel Bier im Bauch. Von einer im Stadel aufgebauten Bühne aus spielt der DJ „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten, direkt gefolgt von Böhse Onkelz. Dann „All the Things she said”, aber den Gabber-Remix. Von da an wird die Musik noch härter und schneller.
Nach all den Jahre hat Haiden von Techno bis Dubstep alle möglichen Genres kommen und gehen – und auch wieder kommen gehört. Was wird in ein paar Jahren in den Clubs gespielt werden? „Die Musik ist gerade so brutal schnell, dass nur etwas ruhiges nachkommen kann“, sagt Haiden. „Recht viel härter geht es ja nicht mehr.“ Und auch die Art, wie junge Menschen feiern, hat sich geändert. Früher habe Haiden noch vier Tage die Woche bis zu zehn Partys fotografiert. „Mittlerweile sind es meistens nur noch zwei Tage und vielleicht fünf Festl, die sich lohnen“, sagt er. „Es gibt weniger zum Fortgehen und die jungen Leute feiern seltener.“
Selina Janker sieht das ein bisschen differenzierter. Die 18-Jährige leitet die Landjugend hier im Ort und hat das Fest organisiert. „Uns fehlt der Nachwuchs“, sagt sie. „Und damit gehen uns auch die Helfer auf dem Festl aus.“ Manche Landjugenden hätten sich sogar aufgelöst, Partys wie diese gebe es daher immer seltener. „Uns jungen Leuten am Land bleiben also immer weniger Chancen fortzugehen.“
Und doch: Joschi Haiden kennen hier alle. „Der kommt jedes Jahr“, sagt sie. Wenig später bildet sich auch in Weinburg eine Menschentraube um ihn. Jugendliche drängen sich an seine Seite, wollen Selfies, lallen ihm ins Ohr – bis es ihm irgendwann genügt.

Eine Wiese in Weinburg, 3:00 Uhr 
Als Haiden gerade zu seinem Auto gehen möchte, passen ihn vor dem Festgelände zwei 18-jährige Mädels ab. Sie haben ihr Shuttle verpasst und wollen mit ihm nach St. Pölten fahren. Ob sie Haiden überhaupt kennen? „Sicher, von Nitelife eben“, sagt eine. Und jetzt fahren sie mit einem fast fremden Mann mit? „Wir wissen ja, dass der Joschi ein normaler Mann ist. Er hat zwei Kinder.“ Haiden lacht laut auf und lässt sie einsteigen. Früher habe er öfter Leute mitgenommen, mittlerweile mache er das kaum noch. Im Internet würde er manchmal als Pädophiler beschimpft. „Ich bin ein alter Typ, der auf Partys 16-Jährige fotografiert“, sagt er. „Da reden die Leute nun einmal deppat.“
Die zwei Mädels sagen von Haidens Rücksitz aus: „Wir haben jedenfalls keine Angst vor dir, Joschi:“
Irgendwann kommt das Gespräch im Auto auf Haidens Bekanntheit. Ohne Kamera und Krawatte, meint er, würde ihn keiner bemerken. „Jeder sagt, Superman hat nur eine Brille auf und keiner erkennt ihn, das sei unrealistisch. Ich kann bestätigen, es ist sehr realistisch, auch wenn ich kein Superheld bin.“
„In meinem TikTok-Feed bist du schon“, sagt ein Mädchen und fügt hinzu, „sogar meine Mama kennt dich noch von früher.“ Haiden lacht laut auf. „Wenn mich dann irgendwann einmal die Omas kennen, sollt ich vielleicht aufhören.“
Bevor die Mädchen in St. Pölten aussteigen, kramt Haiden noch sein Handy hervor. Auf dem Bildschirm: Entwürfe für T-Shirts. Darauf er selbst, mit seiner pinken Krawatte. Auf die Idee sei er gekommen, als er ein Foto auf nitelife.at sah. Ein anderer Fotograf hatte es geschossen. Haiden zeigt das Bild her. Ein junger Mann steht in einer Freundesgruppe auf einem Fest und trägt ein selbstgebasteltes T-Shirt. Darauf zu lesen: I <3 Joschi Haiden. „Findets ihr das sehr peinlich?“, fragt Haiden. „Na“, rufen die Mädels. Und eine sagt: „Das würd ich sofort anziehen, Joschi!“ 
Dann verschwinden die beiden in die Nacht und Haiden macht sich weiter auf seinen Weg nachhause. 
Den nächsten Abend wird er wieder am Kremser Volksfest sein. Er wird wieder seine pinke Krawatte anlegen, seine Mundwinkel nach unten ziehen und sich filmen. Und ganz bestimmt wird sich Haiden dabei wieder drehen. Warum? Das weiß er selbst nicht so genau. Aber ziemlich viele Leute werden ihn dafür lieben.

www.nitelife.at 
Foto nitelife.at/Joschi Haiden

Kremser Volksfest, 23:30 Uhr 
Joschi Haiden dreht sich. Das Handy in seiner rechten Hand, hochgestreckt ...%0D%0A%0D%0ADer ganze Artikel auf https://www.dasmfg.at/?magazin_id=7515">