MFG - "Wir haben uns immer durchgewurschtelt"


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St. Pöltens gute Seite

"Wir haben uns immer durchgewurschtelt"

Text Johannes Reichl
Ausgabe 06/2013

Ein Gespräch mit Siegfried Nasko, der dieser Tage seinen 70. Geburtstag beging, ist immer – im positiven Sinne – ausufernd. Was mit seinen ersten Eindrücken St. Pöltens beginnt, endet in einer fundamentalen Kritik der österreichischen „Durchwurschtel-Mentalität“. Ein Gespräch über fehlende Strukturreformen in Österreich, nicht gezogene Lehren aus der Geschichte, Karl Renner und ein Blick ins Nähkästchen der St. Pöltner Sozialdemokratie.

Sie sind gebürtiger Grazer, haben in Wien studiert. Was war Ihr erster Eindruck von St. Pölten?
Ich kann mich noch gut erinnern, als ich das erste Mal über den Rathausplatz gegangen bin. Da lag so ein süßer Duft über der Stadt, wie in einer Leichenhalle – der Odem der Glanzstoff, wie ich alsbald erfuhr. Bei all der positiven Entwicklung durch die Hauptstadterhebung – aber das Schließen der Glanzstoff war DAS zentrale Ereignis für die positive Fortentwicklung der Stadt! Dass Bürgermeister Stadler den Mut aufbrachte, dies zuzulassen und sich nicht wie seine Vorgänger breitschlagen ließ, das Werk um Millionen zu retten – das war seine bisher größte Leistung, mit der das Hauptstadtimage geradezu befreit wurde.
Als ehemaliger Vorgesetzter Stadlers gelten sie ja als eine Art Mentor des Stadtoberhauptes. Hat er gehalten, was Sie sich von ihm versprochen haben?
Absolut! Manche, auch in der SPÖ, haben wohl nicht erwartet, wie rasch er die neue Funktion ausfüllt und sogar noch populärer als sein Vorgänger wird. Er hat auch, durchaus gegen den Widerstand innerhalb der Partei, mutige Entscheidungen getroffen, an alten Dogmen gerüttelt – wie schon erwähnt bei der Glanzstoff, ebenso aber auch im Fall des Verkaufs der Fernwärme. Dadurch hat Stadler der Stadt in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit eine Manövriermasse geschaffen, die sie handlungsfähig hielt. Das war ein genialer Schachzug, auch wenn das manche in der Fernwärme und der Partei mit ihrer überholten „Hausmachtpolitik“ wohl bis heute nicht begreifen.
Mittlerweile ist Stadler auch SP-Landesparteivorsitzender. Sie waren ja selbst Landtagsabgeordneter – warum grundelt die SPÖ auf Landesebene so dahin?
Weil es – mit Ausnahme von Hans Czettel – keine charismatischen Persönlichkeiten gegeben hat. Zudem ist nicht zuletzt in Folge der bekannten Medienlandschaft auch der Konnex zur Bevölkerung irgendwie verloren gegangen. Vielleicht wurde er auch bewusst verworfen – ich weiß es nicht. Zwar gibt man sich nach innen selbstbewusst, aber in Wahrheit spielt man keine Rolle – will sie nicht spielen. Mir wurde etwa an meinem ersten Tag gesagt ‚Du brauchst dir nicht einbilden, dass du etwas ausrichten kannst.‘ Ich hab dann halt auf eigene Faust gewisse, hauptstadtbezogene Themen aufgegriffen, weil ich nicht einfach nur so herumsitzen wollte, aber da wurde mir – auch seitens der Stadt – recht bald signalisiert, dass das unerwünscht ist. Ich wurde eher als Unruhestifter empfunden – das hat mich der Stadt doch sehr entfremdet.
 
Mit dieser folgte später ja dann ein regelrechter Bruch, warum?
In Wahrheit hatte man in der Partei einfach Panik vor der Allianz Stadler-Nasko. Anstatt mit mir offen darüber zu reden, hat man halt eine Intrige gestartet, um mich loszuwerden. Das hat natürlich eine Zeitlang geschmerzt, ich war plötzlich sehr isoliert. Aber ich bin froh, dass die Zeit die Wunden von damals geheilt hat. Auf ewig zu schmoren bringt einen ja nicht weiter – von dem Prinzip kann man nicht leben.
Zu einem anderen Thema: Sie gelten als DER Renner­experte in Österreich. Hat Sie das Bekanntwerden antisemitischer Äußerungen des zweifachen Staatsgründers überrascht?
Ich habe die Parlamentsprotokolle, aus denen die Zitate entnommen sind, leider noch nicht persönlich gesichtet. Das wäre aber seriöserweise notwendig, weil sie ja völlig kontextlos veröffentlicht wurden. Klärung verspreche ich mir von dem für Ende Juni in Aussicht gestellten Kommissionsbericht unter Leitung von Oliver Rathkolb. In meinen bisherigen Forschungen ist mir Karl Renner, dessen Schwiegersohn im Übrigen Jude war, jedenfalls noch nie mit derartigen antisemitischen Ausfällen aufgefallen. Im Gegenteil. Es gab einige Begegnungen mit Lepold Kunschak, über dessen antisemitische Äußerungen er ebenso entrüstet war wie über den anfangs von ihm bewunderten Karl Lueger, von dem er sich aber nach einem Versammlungsbesuch distanzierte. Und in seiner Autobiografie erzählt er eine Episode anlässlich seiner Maturafeier, als man jüdische Mitschüler nicht mitfeiern lassen wollte. Da wies er die Klassenkameraden zurecht: „Wer uns acht Jahre als Mitschüler gut genug war, ist es uns auch bei der Feier. Die Kollegen bleiben!“
Aber wie erklären Sie sich die Zitate dann?
Ich vermute, dass sie eher sarkastische Repliken bzw. Wiederaufnahme von Zitaten Christlichsozialer, allen voran Leopold Kunschaks sind, der ja in der Zeit von 1918 bis 1920 davon sprach, mit den Juden aufzuräumen und dass es eines eigenen Judenministers bedürfe. Alles in allem wirkt die ganze Sache wie eine Retourkutsche der ÖVP, weil man den Karl Lueger Ring in Universitätsring unbenannt hat – was ja wirklich ein Blödsinn war. Dass man nunmehr diesen Weltpolitiker und zweifachen Staatsgründer Karl Renner mit dem Provinzpolitiker Karl Lueger auf eine Stufe stellen möchte, ist aber ebenfalls einer!
Renner ist aber auch aufgrund seines „Ja“ zum Anschluss „angreifbar“, gilt vielen als Opportunist.
Das „Ja“ wie so vieles andere kann man eigentlich nur aus Renners Wesen heraus begreifen: Ihm ging es immer darum, Leid von den Menschen fernzuhalten. Um dies zu erreichen, ging er auch mit den verwerflichsten Regimen Kompromisse ein, sobald er eine Situation als historische Tatsache betrachtete. Das war schon zu Monarchiezeiten so, als ihm Parteigenossen vorwarfen, er zerbreche sich den Kopf übers Kaiserhaus. Das war 1933 so, als er einen Modus Vivendi mit dem Dollfuss-Regime – das ihn 100 Tage inhaftierte – suchte und sogar eine Ständeverfassung ausarbeitete, und das war nach dem Anschluss ebenso. Andererseits kenne ich keinen einzigen österreichischen Politiker, der sich nach dem Anschluss von hier aus in ausländischen Medien so offen und kritisch über das Hitler Regime geäußert hat wie Karl Renner!
Kommen wir in die Gegenwart: Aktuell scheint das Fieber der Politikverdrossenheit zu grassieren.
Das ist nichts Neues, Politikverdrossenheit gab es auch zu anderen Zeiten. Die Geschichte ist quasi eine Wiederholung des Gleichen, nur mit unterschiedlichen Vorzeichen. Ende der 20’er, Anfang der 30’er Jahre des letzten Jahrhunderts etwa ging die Tendenz zu Diktaturen. In den USA galt Deutschland nach der Übernahme Hitlers zunächst als Vorbild, auch weil er 30 Parteien aus dem Reichstag gefegt hatte. Das heißt, auch damals war eine Art Politikverdrossenheit gegeben. Und die ist immer gefährlich.
Als dann die Wirtschaftskrise mit voller Wucht zuschlug, hatte man dem nichts entgegenzusetzen. Diesbezüglich haben wir – da gilt es schon die heutige Politik in Schutz zu nehmen – dazugelernt. Es gibt anlässlich der aktuellen Situation zumindest soviel Solidarität, dass riesige Rettungsfonds geschaffen wurden. Dabei hat Österreichs Stimme innerhalb der EU durch Werner Faymann an Gewicht gewonnen. Ein schaler Beigeschmack ist nur durch das oberlehrerhafte Gehabe Deutschlands sowie durch eine gewisse Scheinheiligkeit der Solidarität gegeben. Entweder ich helfe, aber dann bitte ganz und ehrlich. Man darf den unterstützten Nationen nicht ihren Stolz und ihre geschichtliche Bedeutung nehmen – genau das passiert aber.
Spielen Sie damit auf Griechenland an?
Es ist doch so: Wir verlangen von den Griechen, dass sie Beamte entlassen sollen, echauffieren uns über verschleppte Reformen und ignorieren dabei gleichzeitig, was wir selbst an Milliarden Euro jährlich einsparen könnten! Das ist absolut zynisch! Wir hatten 1995 mit dem Beitritt zur EU die große Chance, Österreich von Grund auf zu modernisieren. Der Verfassungskonvent wurde ins Leben gerufen, eine Reform des völlig überholten Föderalismus schien endlich möglich. Und was ist passiert? Die Vorschläge der zahlreichen Experten verschwanden einfach in irgendwelchen Schubladen, weil sich die Parteien nicht drübertrauten! Wir könnten uns jährlich – das war das damalige Ergebnis – fünf Milliarden Euro ersparen. Fünf Milliarden! Und wir machen Griechenland Vorhaltungen?
Aber warum trauen sich die Parteien nicht drüber?
Weil sie vielfach in der Vergangenheit und alten Apparaten verharren. Die SPÖ an ursprünglich hart erkämpften, inzwischen durch die Allgemeinentwicklung überholten Errungenschaften, parallel dazu die ÖVP, etwa wenn sie darauf beharrt, dass Dollfuss im Parlamentsklub hängen bleibt. Diese Dinge gehen so tief in die Substanz der jeweiligen Partei, dass sich nichts ändert und sich kaum einer, der etwas in der jeweiligen Partei werden möchte, an wirkliche Reformen heranwagt. Das wird sofort abgedreht oder er ist weg vom Fenster.
Dann scheint es um Reformen aber düster bestellt.
Zumindest so lange, wie die Wähler wählen, wie sie wählen. Tatsächlich gab es reformtechnisch betrachtet bislang nur zwei positive Ausnahmen in der Geschichte der 2. Republik – während der ÖVP Alleinregierung und unter jener Kreiskys. Dazwischen war – und zwar aufgrund des Wählerwillens – immer eine Pattstellung gegeben. Die koalierenden Parteien stehen sich ja nur im Weg, blockieren einander. Angesichts einer zunehmenden Verflachung der Ideologien ist dies freilich immer obskurer – da machen sich die Großparteien lieber zur Karikatur ihrer selbst anstatt aus den alten Dogmen auszubrechen und gemeinsam etwas zu schaffen! Das wäre aber bitter notwendig!
 
Die Folge sind neue Gruppierungen?
Das sagen sie, dass sie alles „neu“, „anders“ machen – aber tun sie das wirklich? In Wahrheit sind das doch auch nur Systemerhalter. Und wenn sich etwa die Grünen damit brüsten, dass sie in Salzburg so erfolgreich waren, weil die anderen das Geld verzockt haben, dann ist das in Wahrheit doch zum Heulen. Nicht die eigene Visionskraft entscheidet heute Wahlen, sondern die Schnitzer der anderen. Wobei der Salzburger SPÖ die Wahlschlappe schon gebührt hat. Wieder mit der selben Mannschaft anzutreten, die für den Skandal verantwortlich war, war ja ein regelrechter Schlag ins Gesicht der Demokratie und der Wähler.
Ist die Frage der Politikverdrossenheit aber nicht auch eine des Personals, das früher besser war?
Die waren aber auch noch nicht so extrem in die Medienmaschinerie verstrickt. Die Medien tragen nämlich das Ihre zur aktuellen Situation bei. Anstatt aufzuklären, Zusammenhänge zu erläutern, ergötzen sie sich lieber an gegenseitigen Schimpftiraden der Politiker. Dies hat aber zur Folge, dass häufig keine Inhalte mehr diskutiert werden, sondern es nur um eine Personalisierung in der Politik geht. Faymann hat das gesagt, Spindelegger das, Strache das. Und nahezu jeder hat Angst, das Falsche zu sagen.
Trotzdem stehen all diese Herren nicht für große Strahl- und Innovationskraft.
Es stimmt schon, dass in der aktuellen Politszene keine geistigen Heroen zu finden sind, Menschen, die nach Wahrhaftigkeit streben, von natürlichem Verantwortungsgefühl beseelt sind. Stattdessen finden wir den Typus des persönlichen Konjunkturritters, der von einer Legislaturperiode zur nächsten hechelt. Wie soll da Platz für Visionen bleiben? Das ist aber nicht untypisch für die 2. Republik: Wir haben uns – vielleicht mit Ausnahme der Ära Kreisky – immer nur durchgewurschtelt. Vielleicht ist das unser Naturell. Dabei ist die 2. Republik durchaus eine Erfolgsstory, aber ein modernes Land sind wir nicht. Kein Vorreiter, sondern Mittelmaß. Und wer ist wirklich zufrieden? Oder vielleicht sind es die Leute sogar, aber in Wahrheit doch nur, weil sie gar nicht wissen, was möglich wäre!
 
Aber ist das nicht auch eine persönliche Ernüchterung? Sie waren ja viele Jahre Teil dieses Systems?
Man muss einsehen, dass es nur einige wenige in einer Partei gibt, die sagen, wo‘s langgeht. Die Kleinen sind in diesem Sinne immer nur Steigbügelhalter. Ich selbst war, weil es das vom Statut her in St. Pölten gar nicht gibt, zum Beispiel nie amtsführender Stadtrat. Ich habe also erfüllt, was Vorgesetzte zuließen, und war froh, wenn sich das mit meinen eigenen Ideen gedeckt hat bzw. wenn diese aufgegriffen wurden. Heute, aus kritischer Distanz, empfinde ich meine politische Tätigkeit aber nicht als großartige Leuchtspur. Es gab so viele leere Kilometer. Aber wenn das jemand anders sieht, freut es mich natürlich. ZUR PERSON
Hofrat Prof. Dr. Siegfried Nasko, 70, war langjähriger Kultur-Stadtrat in St. Pölten sowie über zwei Jahre Abgeordneter zum Landtag. Im Magistrat St. Pölten war er drei Jahrzehnte Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Internationale Kontakte. Als Historiker verdiente er sich besondere Meriten um die geschichtliche Aufarbeitung der Österreichischen Arbeiterbewegung, zudem gilt er als Renner-Experte.