MFG - Bau-Blockaden
Bau-Blockaden


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St. Pöltens gute Seite

Bau-Blockaden

Text Beate Steiner
Ausgabe 03/2024

Nichts geht mehr: Zahlreiche geplante Wohnbauprojekte werden seit Jahren nicht realisiert. Das Warten hat kein Ende, noch nicht: Hohe Baukosten und hohe Zinsen bremsen private und gemeinnützige Bauträger, auch in St. Pölten.


Ungehindert wächst wieder Gras über den einstmals blühenden Garten zwischen Fuhrmannsgasse und Wiener Straße. Seit fast zehn Jahren passiert nichts hinterm abgrenzenden Baustahlgitter. 60 Wohnungen wollte NV Immobilien auf dem 2.500 Quadratmeter großen Grundstück in der Innenstadt errichten, doch die Baumaschinen sind nie aufgefahren. Daran wird sich so bald nichts ändern: „Der Neubau von Wohnungen ist aufgrund der Marktlage aktuell nicht geplant. Für noch nicht entwickelte Projekte versuchen wir, marktfähige Lösungen zu erarbeiten“, sagt Gabriele Schneider. Denn sowohl die Errichtung als auch die Verwertung von Immobilienprojekten sei derzeit schwierig. „Wenn schnell auf die baurechtlichen Anforderungen und die Marktsituation reagiert wird, können Wohnimmobilien auch in St. Pölten wieder erfolgreich umgesetzt werden“, so die Sprecherin von NV Immobilien, im Einklang mit anderen Immobilienentwicklern, deren Projekte auf Eis liegen. Wegen der Marktlage, das ist das Stichwort: „Zum einen sind die effektiven Baukosten um mindestens 25 Prozent gestiegen – in Teilbereichen wesentlich mehr. Gleichzeitig sind auch die Kreditzinsen um das Fünffache gestiegen“, erklärt Eva Czirny, Geschäftsführerin der Domus Liegenschaftsverwaltung, die etwa den FH Campus und Wohnprojekte in der Herzogenburger Straße errichtet hat. „In diesem Umfeld Neubauwohnungen mit leistbarer Miete zu produzieren, die gleichzeitig auch qualitätsvoll, nachhaltig und möglichst nett anzuschauen sind, ist nahezu unmöglich.“

Gemeinnütziger Wohnbau als „Förder-Baustelle“ 
Die gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften stehen vor einem weiteren Problem, zusätzlich zu den Baukostensteigerungen: Die Förderrichtlinien des Landes, die die Zinserhöhungen abfedern, sind geändert und erst Ende des vergangenen Jahres beschlossen worden, im Vorjahr ist weniger Wohnbaugeld geflossen. Die Genossenschaftsverantwortlichen reagieren besorgt: „Ich hoffe, dass das Geld bis zu uns durchkommt, wir brauchen wirklich Unterstützung der politisch Verantwortlichen für unsere 12.000 Mitglieder, um leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen“, sagt Willi Gelb. Auf der Homepage der Genossenschaft finden sich mehrere Projekte, die in Planung sind, zum Beispiel „Wohnen am Anger“ in der Stifterstraße oder in der Ließfeldstraße, beide mit voraussichtlichem Baubeginn 2024, bei beiden ist die Finanzierung „in Arbeit“. Der Direktor der Allgemeinen Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft erhofft sich außerdem weniger Bürokratie: „Man braucht Geduld und es dauert.“ Ähnlich argumentiert Isabella Stickler, Obfrau der Wohnungsgenossenschaft Alpenland: „Die rasche und unbürokratische Abwicklung von Wohnbaugeldern wäre wünschenswert für uns Wohnbaugenossenschaften.“ Denn die Wohnbauförderung war seit Bestehen der Gemeinnützigkeit in Zeiten gestiegener Zinsen und teurer Finanzierungen das wohnbaupolitische Instrument, um leistbaren Wohnraum für viele Menschen zu ermöglichen. „Wir wissen jetzt schon, dass wir in den nächsten Jahren nicht genug Angebot an unbefristeten und kostendeckenden Wohnungen haben werden, es wird zu einer Verknappung des Wohnungsangebots kommen“, befürchtet Stickler und bekräftigt, dass Alpenland die Bautätigkeit auch unter schwierigen und herausfordernden Rahmenbedingungen fortsetzt.  In Vorbereitung ist aktuell ein Wohnprojekt in Oberwagram, ein Projekt mit gemischter Nutzung in der Wiener Straße ist in Planung. „Weiters läuft ein Architektenwettbewerb für ein Wohnquartier in Viehofen und nicht zuletzt beteiligen wir uns im Zuge der Pionierstadt St. Pölten mit einer Liegenschaft in der Trautsonstraße an der Mission ‚Klimaneutrale Stadt‘“, so Stickler. 
Für die leere Fläche am Neugebäudeplatz, wo vor einigen Jahren die „Eierspeisburg“ geschleift wurde, schaut’s auch gut aus: Die WETgroup will dort ab 2025 ein Wohn- und Bürogebäude errichten. „Wir sind noch in der Planung“, meldet WET-Sprecherin Julia Leitner-Christ.

Problem für die Bauwirtschaft
Bauträger, die sich auf den Bau von Eigentumswohnungen spezialisiert haben, stehen vor einem weiteren Hindernis: „Es schlagen nicht nur die Zinsen und die gestiegenen Bau- und Grundstückskosten durch, die erforderliche Eigenkapitalquote hat den Käuferkreis erheblich eingeschränkt“, spielt Domus-Chefin Eva Czirny auf die KIM-Verordnung der Finanzmarktaufsicht an, die einen Wohnkredit für viele unerschwinglich macht. Die fehlende Bautätigkeit wird zum Problem für die Bauwirtschaft und die Bauträger werden. Eva Czirny: „Gleichzeitig wird diese Situation mittelfristig fast zwingend zu einem Engpass auf der Angebotsseite führen, das wird wiederum die Mietpreise weiter erhöhen und die Inflation weiter ankurbeln.“ Wie aber könnten Insolvenzen in der Bauwirtschaft vermieden werden, wie der Wohnbedarf in St. Pölten, der am schnellsten wachsenden Stadt Österreichs, weiter gedeckt werden? „Raus aus dieser Falle kommen wir nur, wenn die Zinsen fallen“, ist Immobilienmakler und -verwalter Mario Winkler überzeugt, der die große Nachfrage nach Mietwohnungen bestätigt.
Eva Czirny sieht die Politik gefordert: „Investitionsanreize wie Investitionsfreibeträge auch für die Sanierung von Wohngebäuden und vorzeitige Abschreibung wären in der aktuellen Situation geeignete Maßnahmen, um trotz negativem Umfeld Anreize für Sanierungen im Althausbereich zu schaffen und Altbauten wieder fit für neue Bewohner zu machen, damit nicht Boden neu versiegelt werden muss.“

Polit-Reaktionen
Und die Politik reagiert. Wegen der hohen Zinsen und Baukosten hätten sich einige Wohnbauträger veranlasst, trotz Förderzusage des Landes NÖ Projekte zu verschieben oder abzusagen, heißt es aus dem Büro der zuständigen Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister. Niederösterreich liege im Bundesländervergleich auf Rang 2 bei den geförderten Wohnungen: „2023 wurden über 2.700 Neubauwohnungen und 870 Sanierungen im großvolumigen Wohnbau mit Mitteln der NÖ Wohnbau fertiggestellt. Aktuell befinden sich in Niederösterreich über 4.400 Wohneinheiten in 205 Projekten in Bau“, betont Teschl-Hofmeister, dass das Land NÖ für den geförderten Wohnbau mehr Geld als je zuvor in die Hand nimmt: „Mit der neuen Wohnbauförderung stellen wir sicher, dass trotz der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse eine Planbarkeit für Mieter, Wohnbauträger und das Budget des Landes geschaffen werden kann.“
Auch die Stadt St. Pölten reagiert auf die Malaise am Bau und unterstützt mit einer Gemeinderatsresolution die Forderung des Städtebunds, der von der Regierung einen Milliardenboost verlangt, der die lokale Wirtschaft in den Städten und Gemeinden ankurbeln soll: „Dieses Kommunalinvestitionspaket muss noch vor der kommenden Bausaison geschnürt werden.“ Denn die Angelegenheit ist dringlich, begründet Bürgermeister Matthias Stadler: „Städte und Gemeinden sind der Motor der lokalen Wirtschaft. Wenn sie die Möglichkeit haben zu investieren, profitieren davon nicht nur die lokale Wirtschaft, sondern vor allem auch die Bürger und Bürgerinnen. Kommunen sind daher die besten Stellschrauben, um die Bauwirtschaft anzukurbeln.“

INTERVIEW GEORG EDLAUER 
Immobilienmakler und Gerichts-Sachverständiger, Universitäts-Lektor, ehemaliger Obmann des Fachverbands der Immobilien- und Vermögenstreuhänder in der WKO. 

Es schwirren derzeit so viele Expertenmeinungen durch die Medien, was Bauen und Wohnen betrifft. Zum Beispiel: Eigentum ist nicht mehr leistbar, Mietwohnungen werden zu wenige gebaut. Stimmt das?
In den letzten beiden Jahren ist die Nachfrage nach Miete stark gestiegen, da Eigentum von Wohnungen und Häusern für viele, insbesonders für junge Leute, fast unerreichbar geworden ist. Die Gründe sind vielfältig: Die KIM-Verordnung fordert hohe Eigenmittel und normiert strenge Obergrenzen bei der Rückführung der Darlehen. Übersehen wird dabei, dass sich die finanzielle Situation gerade von Jungfamilien in der Regel nach wenigen Berufsjahren doch entspannt und damit die Darlehen immer leistbarer werden. Nur, was nützt es: Diese Familien bräuchten ihre Wohnungen oder Reihenhäuser oder Einfamilienhäuser jetzt. 
Natürlich leisten auch die gestiegenen Zinsen und die hohen Baukosten ihren Beitrag zur derzeitigen Situation. Die 30-Prozent-Steigerung bei den Baukosten in den letzten beiden Jahren muss sich naturgemäß unmittelbar auf die Kaufpreise niederschlagen. Zudem ist es die hohe Inflation, die bei Kaufinteressenten für Verunsicherung bei einem Blick in die eigene Zukunft sorgt. Gestiegen sind auch in vielen Gebieten im Großraum St. Pöltens die Grundkosten. Das war aber keine Überraschung, da St. Pölten jahrzehntelang neben Eisenstadt die billigsten Baugründe hatte. Unsere aktuellen Grundpreise bewegen sich auch derzeit erst im unteren Bereich des Rahmens vergleichbarer Städte. Die Schere zwischen verfügbarem Haushaltseinkommen und den Preisen von Eigentum geht jedenfalls sehr rasch auf.
In St. Pölten hatten wir bis vor einigen Jahren ein sehr hohes Bauvolumen, welches den Markt kurzfristig gesättigt, teilweise sogar übersättigt hat. Aktuell sehen wir, dass die Nachfrage nach Miete sehr gut ist und das derzeitige Neubauvolumen vom Markt gut aufgenommen wird.

Die Bautätigkeit der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften und der Wohnbauträger stoppt aber offensichtlich gerade. Warum?
Trotz der gegebenen Brisanz gibt es noch immer keine zielgerichteten Förderungsmaßnahmen. Denkbar wäre beispielsweise eine Abschreibungsmöglichkeit im Rahmen von Sonderausgaben für die Anschaffung von Wohnraum – wie bereits in der Vergangenheit gehabt; eine Entlas­tung bei der Grunderwerbssteuer – immerhin 3,5% vom Kaufpreis; eine Entlastung bei der Eintragungsgebühr ins Grundbuch – das wird derzeit von der Regierung zumindest angedacht, liegt aber nur bei 1,1%, Förderung von thermischen Maßnahmen und alternativen Energiekonzepten. Aber gerade dieses letzte Thema der Förderung ist weder von der Gemeinnützigen Wohnungswirtschaft und schon gar nicht von privaten Bauträgern zu lösen, welche im Übrigen in Niederösterreich noch immer de facto von größeren Förderungen für den Wohnungsneubau ausgeschlossen sind. Diese Themen sind ausschließlich von der Politik, und zwar rasch, zu lösen. Aufgrund der derzeitigen fehlenden attraktiven Förderungen und der hohen Baukosten und den daraus resultierenden Miethöhen ist jedoch zu befürchten, dass es einen weiter anhaltenden annähernden Stillstand bei Neubauten, vor allem im genossenschaftlichen Bereich, geben wird. Auswirkungen werden wir aber erst 2025/26 zu spüren bekommen, weil die Einreichungen von Bauprojekten derzeit größtenteils ausbleiben. Es ist hier nicht auszuschließen, dass die Miet- und Kaufpreise von Neubauwohnungen durch diese Verknappung steigen, was aus aktueller Marktsicht nicht wünschenswert ist.

Als Alternative zum Neubau werden jetzt immer wieder Sanierung von Altbau und Nachverdichtung von Städten genannt. Was bringt’s?
Sanierung und Nachverdichtung, insbesonders vertikale Nachverdichtung, sind natürlich nach wie vor wichtige und richtige Ansätze. Aber auch hier vermisse ich durchgreifende und durchdachte Ideen der Politik. Auch überbordender Bürokratismus bremst entsprechende Aktivitäten. Du musst dir zum Beispiel nur einmal ansehen, wie oft sich Investoren im Kreis drehen müssen, um endlich Gefallen vor dem Gestaltungsbeirat zu finden. Das ist schlichtweg kontraproduktiv. Bei Sanierungen und Nachverdichtungen schlagen die hohen Baukosten und Finanzierungskosten ebenfalls spürbar durch. Auch hier fehlen seit Jahrzehnten entsprechende und durchdachte finanzielle Anreize durch die Politik.

Fehlen Wohnungen in St. Pölten? Oder: Ab wann wird Wohnraum in St. Pölten fehlen?
Vielleicht eingangs noch ein paar Zahlen aus Wien: Der Wohnungsmarkt ist dort schmerzhaft eingebrochen. Wurden 2022 noch mehr als 15.000 Wohnungen gebaut – bei einem Bevölkerungswachstum pro Jahr von rund 50.000 Menschen – werden es im Jahr 2024 nur mehr rund 13.000 Wohnungen und 2025 überhaupt nur mehr weniger als 10.000 Wohnungen sein. Für 2026 ist die Prognose überhaupt desaströs: Nicht einmal 6.000 Wohnungen werden dann fertig gestellt. Und das bei einem unverändert hohen Zuzug.
Es ist nicht abzuschätzen, ob sich in St. Pölten ein ähnliches Schicksal abzeichnet.    Auszuschließen ist es aber seriöserweise nicht. Wenn die Politik also nicht endlich rasch und zielführend agiert, ist es bei den Wahlen im Herbst schon 5 nach 12!