MFG - (Kein) Bauernprotest
(Kein) Bauernprotest


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St. Pöltens gute Seite

(Kein) Bauernprotest

Text Beate Steiner
Ausgabe 03/2024

Europas Bauern protestieren: In Polen rollen riesige Traktoren durch die Hauptstadt, in Frankreich stürmen wütende Bauern eine Agrarmesse, in Rumänien und Bulgarien blockieren Landwirte mit ihren Maschinen die Grenze. In Österreich rumort es nur sanft am Land. Warum?


Unsere heimischen Bauern sind gut vernetzt, seit jeher tief in der Regierung verankert und können so ihre Interessen durchsetzen – im Gegensatz zum Beispiel zu den Kollegen in Deutschland. 1,7 Prozent der österreichischen Bevölkerung und 3,5 Prozent der Erwerbstätigen sind Landwirte. Das politische Gewicht der Bauernschaft ist ein Vielfaches. Allein der ÖVP-Bauernbund zählt mehr als 230.000 Mitglieder. Das ist offensichtlich ein Grund, warum bei uns sehr selten die Traktoren auffahren und könnte mit „Solidarität“ zusammenhängen.
„Richtig, die Bauern protestierten in Österreich deshalb nicht, weil der Bauernbund mit 18 Vertretern im Parlament seit Jahrzehnten in der Regierungsverantwortung sitzt. Dort wurden allerdings Strukturen gebildet, welche die derzeitigen Probleme in der Landwirtschaft erst geschaffen haben“, sagt Thomas Hubmann. Der Landwirt züchtet in Sasendorf Schweine, glückliche Schweine. Gemeinsam mit seinem Bruder Andreas setzt er auf mobile Freilandhaltung. Die Tiere haben ein Zelt als Unterstand und fühlen sich in der frischen Luft sauwohl. Ein weiterer Vorteil dieser regenerativen Agrarkultur: Der Schweinemist wird kompostiert und zu humoser, bester Erde. „Seit wir die Freilandschweine haben, können wir auf synthetische Dünger verzichten. Wir erhöhen die Bodenfruchtbarkeit und damit ist der biologische Kreislauf geschlossen“, so Hubmann. Er hat das System aus England und Deutschland übernommen und optimiert, ist ein Vorreiter. Die haben es nicht leicht in Österreich. Die Schweine-Freilandhaltung der Hubmanns wurde bis jetzt nicht behördlich genehmigt, mehrmals schon drohte die Schließung. Der Verein gegen Tierfabriken, Oppositionspolitiker und auch die Grüne Generalsekretärin Olga Voglauer unterstützen die Hubmanns. Jetzt soll gemeinsam mit Bezirkshauptmannschaft und der Universität für Bodenkultur eine Lösung gefunden und die bürokratischen Hürden entfernt werden. 

Bürokratie und Förderungen
Die überbordende Bürokratie, sie ist das Grundproblem, das die Bauern hemmt, davon ist Thomas Hubmann überzeugt. „Die österreichische Politik hat sich einen unüberschaubaren Haufen an bürokratischen Details geschaffen. Der Kampf dagegen gleicht dem Kampf gegen Hydra.“ Die Landwirte müssten erkennen, dass es nichts bringt, einzelne der tausenden Details zu überschauen und zu bekämpfen, sondern das Grundproblem, die Bürokratie selbst. Damit hängt zum Beispiel zusammen, dass Förderungen versickern und nicht zur Gänze bei den Bauern landen. Was VP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig bei einer der wenigen österreichischen Bauerndemos, der in Vöckla­bruck, vorgeworfen wurde. 
An EU-Subventionen stehen Österreich zwischen 2023 und 2027 8,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Ein großer Teil dieser Förderungen wird nach Betriebsgröße, also pro Hektar, vergeben. Das ist auch ein Kritikpunkt der Betroffenen: Große Betriebe werden begünstigt. Die Landwirtschaft ist übrigens der einzige Teilbereich der Europäischen Union, in dem es eine gemeinsame Politik der Mitgliedstaaten gibt. Und dabei haben sich die EU-Mitgliedsländer auf die Strategie für eine Agrarwende verständigt, den Green Deal: Bis 2030 soll die Agrarernährungswirtschaft umgebaut werden, mit Fokus auf gesunde, faire und umweltverträgliche Lebensmittel, auf Klima-, Tier- und Naturschutz. Die Landwirte in Europa müssen sich daher mit neuen Realitäten auseinandersetzen. Das Dieselprivileg wird hinterfragt. Mit Agri-Photovoltaik und Biomasse tun sich neue Energienutzungsmöglichkeiten auf. Mit den neuen Auflagen steigen die damit verbundenen Kosten und auch die Bürokratie. 
Österreichs Bauern sind beim Green Deal übrigens im Vorteil und daher weniger Demo-anfällig: Bei uns gelten bei zahlreichen Lebensmitteln höhere Qualitätsstandards, die auch kontrolliert werden. „Österreichs Bäuerinnen und Bauern produzieren höchste Qualität und setzen im Bereich Tierwohl im internationalen Vergleich hohe Standards in der Produktion um. So ist Österreich eines der wenigen Länder im EU-Binnenmarkt, das den Ausstieg aus Vollspaltenböden eingeleitet hat“, bestätigt der niederösterreichische Landwirtschaftskammerpräsident Johannes Schmuckenschlager. Dass ihnen daraus Nachteile erwachsen, befürchteten die demonstrierenden Bauern in Oberösterreich: Die Teilnehmer forderten eine Herkunftskennzeichnung für alle Lebensmittel und, dass für importierte Güter dieselben Standards wie in Österreich gelten sollen.

Tierwohl auch kaufen
Mit höheren Tierschutz- und Umweltstandards und damit höheren Preisen für Lebensmittel haben sich aber noch nicht alle Konsumenten angefreundet. Auch viele, die nicht jeden Cent umdrehen, kaufen Schnäppchenfleisch. „Wer mehr Tierwohl will, muss es auch kaufen“, sagt Schmuckenschlager. Daher sei es dringend notwendig, dass alle Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis zu den Konsumentinnen und Konsumenten, der Gastronomie sowie der öffentlichen Beschaffung diesen Weg mittragen und auch ihren Beitrag dazu leisten. „Die öffentliche Hand hat hier entsprechende Verantwortung, nimmt diese aber nicht wahr“, ärgert sich der Kammerpräsident, der dazu eine Rechnung angestellt hat: „Wenn nur zehn Prozent der Krankenhäuser, Seniorenheime und Schulen beste Lebensmittelqualität aus heimischer Produktion anbieten und wir den Anteil an österreichischen Lebensmitteln in den Großküchen erhöhen, werden 500 landwirtschaftliche Betriebe abgesichert.“

Wertschöpfung und Wertschätzung
Mit all den veränderten Rahmenbedingungen fühlen sich viele Bauern mit ihren Zukunftsfragen allein gelassen. Jahr für Jahr geben in Österreich rund tausend bäuerliche Betriebe auf, wegen unsicherer Wertschöpfung und mangelnder Wertschätzung. Denn vielen Schnäppchenjägern ist nicht bewusst, dass ihre Lebensmittel und damit die Arbeit der Bauern viel wert sind. „Als Subventionsempfänger und Tierquäler abgestempelt, und ohne Planungssicherheit verspüren viele Junge wenig Lust, die Höfe ihrer Eltern zu erhalten“, weiß Johannes Schmuckenschlager.  
Es gibt allerdings auch Landwirte, die neu beginnen und damit erfolgreich sind. Michael Kietreiber etwa hat seine „Marktgärtnerei“ 2018 gegründet, baut in Maria Jeutendorf Gemüse an und ist damit so erfolgreich, dass er nicht nur begeisterte Kunden versorgt, sondern auch die Top-Gastronomie rundum beliefert. „Wir vermarkten nah und direkt und haben daher keine Probleme.“ Auch deshalb nicht, weil er ohne Subventionen auskommt: „Ich wollte von Anfang an selbst überleben können.“

INTERVIEW JOE KRANAWETTER
Joe Kranawetter züchtet am Juniperhof in Radlberg die seltene Rasse der Turopolje-Schweine.

Was läuft denn in Österreichs Landwirtschaft unrund? Warum sind so viele Bauern unzufrieden?
Vielerorts sterben Familienbetriebe, weil die Öffentlichkeit dem Landwirt ein Versagen vorwirft, auf das er nur bedingt Einfluss hat. Da geht es etwa um den zu großen Bodenverbrauch oder um die Tierhaltung oder die Größe des Betriebs. Dann sind da noch die Konzerne mit ihren Inszenierungen in den Kampagnen für Lebensmittel und Regionalität, der Verwässerung von Gütesiegeln. Sie etablieren, ungescholten von ,ohnmächtigen‘ Interessenvertretungen, eine neue „Wahrheit“ basierend auf fragwürdigen Werbepartnerschaften. Der einzelne Landwirt weiß um seine Ohnmacht und um die Macht der Konzerne, daher schweigt er, und es sterben jeden Tag weitere Betriebe und damit ein Teil der Identität unseres Landes. 

Was sagen Sie zu den aktuellen Entwicklungen in der EU?
Die Entwicklung ist ein Spiegelbild der Nationalstaaten und der Gegenwart. Fördergelder werden auf Basis von Kreditgebern, Beratern, Influencern und Lobbyisten verteilt, die wie Händler von gefälschten Uhren ihren Mantel jedem öffnen, der ihren Dienst sucht. Die Gegenwart verspielt vieles, was uns der EU-Beitritt gebracht hat. Ich vertraue auf unsere Jugend, die sich positioniert und einen Weg für ihre Zukunft finden wird. 

Österreichisch ist die Diskussion um die Vollspaltenböden, also um die Tierhaltung – was könnte da die Lösung des Problems sein?
Was gut gemeint ist, hat für Konsumenten, denen höheres Tierwohl wichtig ist, nur wenig Mehrwert, denke ich. Der zusätzliche Aufwand der Betriebe steht in keiner Relation dazu. Die Folge werden verstärkte Importe sein. Davon profitierten vor allem Industriebetriebe, die nicht nur Fleisch aus Österreich verarbeiteten. Gewerbe und Markenartikel im Lebensmittelbereich wurden ruiniert und durch „Geiz ist geil“-Preise und Eigenmarken ersetzt. Jedes Kilo Fleisch, das ohne Herkunftsbezeichnung verkauft wird, unterstützt jene, die auf Transparenz und Haltung pfeifen. Jedes Kilo Fleischersatz treibt die Gewinne der Lebensmittelhändler in die Höhe. Beim als Fleischer verkleideten Schauspieler oder sprechenden Schweinderl ist jedenfalls keine Lösung des Problems zu finden. Vielleicht denken wir auch darüber einmal nach.

Was soll/wird sich in den nächsten Jahren/Jahrzehnten in der Landwirtschaft ändern?
Wir müssen erkennen, dass wir Produkte aus anständiger Tierhaltung nur mit starken Gütesiegeln beziehen können. Die Landwirtschaft in Österreich kann nur dann qualitätvoll produzieren, wenn sich die Produktion nach der Natur richtet und nicht nach der Bürokratie oder den Marketingideen der Konzerne.