Lies dich woke!
Text
Thomas Fröhlich
Ausgabe
Eigentlich freue ihn das Schreiben nimmer, beklagte sich neulich ein befreundeter niederösterreichischer Genre-Autor, der auch öfters in St. Pölten Lesungen abhält, bei einem Treffen in kleiner Runde. Regelmäßig bekomme er vom Verlag Listen von Dos und Don’ts, die unbedingt einzuhalten seien: eine Weiße mit Rastazöpfen etwa gehe gar nicht – kulturelle Aneignung: pfui! Keine diskriminierenden Ausdrücke mehr, auch wenn sie der/die geschilderte Böse (als Zeichen der Niederträchtigkeit) in den Mund nähme – wenn doch: Riesenpfui! Und im Grunde sollten ausschließlich Frauen über Frauen oder Migranten über Migranten schreiben, da nur diese über die nötigen Erfahrungen verfügten. Was dann die Frage aufwerfe, wie in Zukunft mit der Schilderung von Serienkillern oder Nazis zu verfahren sei.
Noch schlimmer ist’s bei der Literaturpreis-Literatur: Hier gilt ja PC urbi et orbi mit Queer-Garantie; andernfalls darf man mit einem Shitstorm der Guten rechnen. Klassiker (wie etwa die genialen Donald-Duck-Übersetzungen von Erika Fuchs) werden im Nachhinein textlich auf Woke getrimmt, um die Lesenden nicht zu harsch aus ihrem Dauerschläfchen in der Komfortzone zu wecken. Bei Schriften früherer Jahrhunderte schützen mittlerweile schon Beipack-Hinweise die wehrlosen Rezipienten vor den Hervorbringungen skrupelloser, womöglich weißer, männlicher Autoren (Megapfui!!!). „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“, meinte weiland Franz Kafka. Derzeit haben wir’s eher mit aufgewärmter Eiscreme zu tun. Schmeckt nach nix, ist aber voll korrekt.