MFG - Gestorben geht immer!
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St. Pöltens gute Seite

Gestorben geht immer!

Text Thomas Fröhlich
Ausgabe 12/2023

Die Keramikerin Larissa Wagner stellt seit einiger Zeit gerne Urnen her. Üblicherweise handelt es sich bei diesen Einzelstücken um Auftragsarbeiten von Menschen, die sich mit ihrer eigenen Endlichkeit auseinandersetzen. Thomas Fröhlich traf die Künstlerin im Kaffeehaus. Endlich.

Betrachtet man ihre Arbeiten, so denkt man möglicherweise, es handle sich bei Larissa Wagner um eine weltabgewandte Düsterfrau, die ihre Erdentage am liebsten in halbdunklem Eremitendasein, angetan mit aschenen Gewändern, verbringt. Trifft man die Künstlerin hingegen, wie heute, im Kaffeehaus, lernt man eine dynamische Frau kennen, die gern unter Menschen ist, „sofern sie echt und authentisch“ sind. Doch sie gibt zu: „Gelegentlich hab‘ ich auch meine misanthropischen Phasen. Und wenn ich viel mit anderen unterwegs bin, brauch‘ ich dann auch wieder Zeit für mich.“ Und beim Töpfern könne sie dann ihre Gedanken zentrieren, „sowie man auf der Töpferscheibe den Ton zentriert.“ Das habe beinahe etwas Meditatives an sich.
Bei den Urnen, die sie seit drei Jahren herstellt, handelt es sich ausschließlich um Auftragsarbeiten. „Es ist eine Auseinandersetzung mit dem Tod.“ Für Wagner letztendlich genauso wie für ihren Auftraggeber. „Wir glauben ja alle, wir leben ewig. Ist aber nicht so.“ Und mancher denke halt schon zu Lebzeiten an eine personalisierte Urne. „Gestorben wird immer.“ Und vom Menschen bleibe ja nichts übrig. „Mit Urne bist du gleichsam unsterblich. Die findest du in tausend Jahren immer noch, wie wir ja von Ausgrabungen wissen.“ Urnen beschreiben also gleichsam Geschichte. 
Ins Leben und in die Welt sprang die Künstlerin 1970 als neuntes von zehn Kindern. „Ich habe einige Berufe gelernt und unter anderem auch Soziale Arbeit studiert.“ Ansonsten las sie viele Bücher und machte sich einen eigenen Reim auf die Welt. Was nicht immer mainstreamkonform sein muss, eher das Gegenteil. Beruflich betreut Wagner derzeit ein Frauenprojekt – von ihrer eigenen Keramik kann sie einstweilen (noch) nicht leben.
Zur Keramik kam sie im Grunde durch einen Zufall. „Ich ging bei einem Keramikstudio vorbei – und dort las ich ‚Hilfskraft gesucht‘. Und nach Kurzem merkte ich dann, he, ich hab‘ ja Talent!“ Jahrelang arbeitete sie als Keramikerin, etwa im Bereich Kachelöfen. „Ich hab‘ eine Mappe abgegeben, in der mein Meis­terstück dabei war: die Front eines Kachelofens mit einer Oberfläche, die es damals noch nicht gab. Es waren handgeschlagene Kacheln, die nicht geschnitten, sondern gebrochen wurden, mit grober Struktur und trotzdem feinen bunten Intarsien, die bei den Kunden ziemlich gut ankamen. Die Kommission der Bundesinnung kam zur Überzeugung, ich sei geeignet, das Handwerk auszuüben, und ich wurde der Meisterin gleichgestellt.“ Aber auch in anderen Handwerksbereichen war die Künstlerin nicht untätig. „Ich mag das Haptische und setze das gerne handwerklich um.“ Im Alter von Fünfzig wollte Larissa Wagner es dann wissen: Ein von ihr entworfenes flexibles Regalsystem (namens Fidan, Wagners zweiter Vorname) wurde mit dem Austrian Interior Design Award ausgezeichnet, „als einzige Berufsfremde“, wie sie nicht ohne Stolz erwähnt. Schon ein Jahr davor erhielt sie dafür den Design Award, den Publikumspreis der Neuen Wiener Werkstätte. Das Regalmotto lautete damals: so wandelbar wie das Leben selbst! „Passt sich jeder Lebenssituation und jedem Raum an.“ 
Aktuell arbeitet sie an so genannten Nobs: „‚No obsolescence!‘ Dieser Begriff stammt von einer Kärntnerin, Andrea Urank. Sie hatte das Wort und ich hatte die Nobs. Ich verwende da nur Abfälle, keine neuen Materialien.“ Aus 2.500 Champagner-Agraffen etwa stellte sie einen Luster her, der derzeit in Saschas Art Zone in Traismauer hängt und den Raum wahrlich zum Strahlen bringt. „Ich mag es nicht, wenn wertvolle Ressourcen im Müll landen.“
Und jetzt eben – auch – Urnen.  Etwaige Texte, die dann auf den Urnen zu lesen sind, werden üblicherweise von den Kunden beigesteuert. Auch die Künstlerin selbst hat sich schon einen solchen zurechtgelegt: „So zerstreut war sie noch nie.“ Sie lacht. Es ist ein ansteckendes Lachen, das gut tut. 
Ob ihr etwas einfiele, was sie, als Künstlerin, als lebensfrohe wie nachdenkliche Frau, die auch die dunklen Seiten und letztlich die Endlichkeit des Lebens akzeptiert, den MFG-Leserinnen und -Lesern gerne mitgäbe? „Ja. Seid’s lieb und ehrlich zueinander! Es gibt eh schon mehr als genug Übel auf dieser Welt.“
Das wird wahrscheinlich auf keiner Urne stehen. Aber als Aufforderung ans Leben kein schlechter Schlusssatz!