MFG - Mit dem Rücken zur Wand
Mit dem Rücken zur Wand


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Mit dem Rücken zur Wand

Text Michael Müllner
Ausgabe 12/2023

Es ist eigentlich ein alter Hut. Wenn die Rathausmächtigen über das Gemeindebudget sprechen, führen sie aus, dass Gemeinden wie St. Pölten zu wenig von den Einnahmen des Staates bekommen. Nun haben sich Bund, Länder und Gemeinden auf einen neuen Finanzausgleich geeinigt – ein Regelwerk, wie die Steuern verteilt werden. Aus Sicht von St. Pölten wurde das Geldproblem aber wieder nicht gelöst.


Vielmehr sei die finanzielle Lage in den kommenden Jahren sogar noch schlimmer als bisher. Ein Grund dafür ist laut Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ), dass der Verteilungsschlüssel nicht angepasst wurde. Die Gemeinden erhielten zu wenig vom Steuerkuchen, weil zu viel an Bund und Länder wandert. Stadler ist auch Niederösterreich-Vorsitzender des Städtebundes und kennt somit die Meinung anderer Städte. Gerade die bevölkerungsreichen Statutarstädte, die auch die Aufgaben von Bezirksverwaltungsbehörden wahrnehmen und eine Zentrumsfunktion haben, seien aufgrund der steigenden Landesumlagen benachteiligt. Die Idee dahinter ist, dass größere, vermeintlich finanzkräftigere Städte Umlagen an das Land zahlen und das Land dieses Geld wieder auf kleinere Gemeinden aufteilt. Diese Umverteilung soll den Vorteil ausgleichen, den größere Städte aus ihrer „Zentrumsfunktion“ haben. Jedoch ist umstritten, wie relevant der vermeintliche Größenvorteil wirklich ist. Laut Stadler stellen unter anderem diese Umlagen die Städte: „Mit dem Rücken zur Wand. Am Beispiel der Sozialhilfe reden wir in St. Pölten von einer Steigerung um 20 Millionen Euro auf fast 70 Millionen Euro – bei einem Gesamtbudget von 200 Millionen Euro ist das langfris­tig nicht leistbar.“
Experten im Bereich Gemeindefinanzierung findet man im „Zentrum für Verwaltungsforschung“, kurz KDZ. Für deren Geschäftsführer Peter Biwald ist der beschlossene Finanzausgleich „weder innovativ noch zukunftsorientiert“ und er merkt an, dass „wichtige Reformen erneut nicht umgesetzt wurden.“ So fehlen eine Reform der Grundsteuer, eine Entflechtung der Transferleis­tungen und ganz allgemein mehr Aufgabenorientierung im Finanzausgleich. Die zusätzlichen Mittel sind zwar eine Verbesserung für die Gemeinden, „jedoch werden sie nicht reichen, um die Mindereinnahmen durch Steuerreform & Co. abzufedern“, hält Biwald fest. Für das Finanzproblem der Gemeinden sieht er zwei Hauptfaktoren. 
Einerseits brauchen Gemeinden mehr Geld für steigende Kosten. Inflationsbedingt steigen Sach- und Personalkosten, aber auch die Beiträge an die Länder. Das KDZ erwartet, dass Umlagen für Sozialhilfe in den nächsten zwei Jahren um jeweils fünfzehn Prozent steigen, bei Umlagen für Krankenanstalten werden mehr als zehn Prozent erwartet. 
Andererseits bewirken die Steuerreform sowie Entlastungspakete des Bundes, dass die Ertragsanteile nur um zwei bis fünf Prozent steigen werden. Mit rund 40 Prozent der Gesamteinnahmen sind diese aber die wichtigste Einnahmequelle für Gemeinden. Steigen die Löhne zukünftig um neun Prozent, führt dies (nach Abschaffung der „kalten Progression“) nun nur mehr zu einem Anstieg der Einkommenssteuer von drei bis vier Prozent. Somit steigen die Ertragsanteile durch die inflationsbedingten Lohnerhöhungen nicht mehr so stark wie früher. Für 2023/24 geht das KDZ davon aus, dass diese auf dem Niveau von 2022 stagnieren werden. Biwalds Fazit: „Mit einer erwarteten Einnahmensteigerung von vier bis fünf Prozent pro Jahr lassen sich die Ausgabensteigerungen von sechs bis zehn Prozent nicht bedecken.“
In seiner Dezember-Sitzung wird der St. Pöltner Gemeinderat einen Budget-Voranschlag beschließen, bei dem die Stadt plant, um 27 Millionen Euro mehr auszugeben als einzunehmen. Das Minus wird ausgeglichen, indem man Reserven aus früheren Jahren auflöst. Auch wenn in der Regel der Rechnungsabschluss danach meist besser aussieht, als der Voranschlag davor, ist doch davon auszugehen, dass mit den aktuellen Rahmenbedingungen die Stadt zusehends verschuldet. Bei der Voranschlagspräsentation merkte Stadler an, dass die Stadt sowie ihre Gesellschaften weiterhin kräftig investieren, schließlich gehe es darum, eingegangene Verpflichtungen einzuhalten und den Bildungs- und Wirtschaftsstandort auch für die Zukunft abzusichern.

FINANZDIREKTOR THOMAS WOLFSBERGER
Ein Programm zur Ausgabenreduktion 

Im Rahmen der Präsentation des Voranschlags 2024 wurde von Ihnen und Bürgermeister Matthias Stadler darauf hingewiesen, dass die Kommunen mit dem Rücken zur Wand stehen. Während die Einnahmen um zwölf Millionen Euro steigen, würden die Aufwendungen um doppelt so viel steigen. Was treibt diese Aufwendungen so stark an, vor allem im Vergleich zu den Einnahmen?
Der größte Posten ist das Personal. Wir haben eine deutliche Steigerung bei den Dienstposten im Kindergartenbereich. Aber auch die Lohn- und Gehaltserhöhungen machen sich deutlich bemerkbar. So sehr ich jedem ein höheres Entgelt vergönne, so massiv wirken sich die Erhöhungen bei den Vertragsbediensteten im öffentlichen Dienst aber auch für uns als Gemeinde im Budget aus. In Summe reden wir da von einem Plus von elf Prozent zum Vorjahr beziehungsweise einem Mehraufwand von 6,8 Millionen Euro. 
Der nächste große Posten sind die Umlagen an das Land Niederösterreich, diese steigen zwischen 7,5 und 23 Prozent, was ein Plus an 6 Millionen Euro bedeutet. 
Natürlich steigen auch die Zuschüsse an unsere Tochtergesellschaften – die haben ja die gleichen Themen mit Steigerungen beim Personal, den Baukosten oder etwa den Kosten für das Kulturhauptstadtjahr. Dort erwarten wir plus 45 Prozent bzw. 6,4 Millionen Euro Mehraufwand. 

Gemeinhin nimmt man an, dass die allgemeine Teuerung die Einnahmen für den Staat, insbesondere durch Einkommenssteuer und Umsatzsteuer, deutlich erhöhen. Wieso kommt dieser „Spielraum“ beim Einnahmenplus bei der Stadt St. Pölten nicht ausreichend an?
Wir reden bei zu geringen Einnahmen fast ausschließlich von den Ertragsanteilen, die sind aber der mit Abstand größte Einnahmen-Posten. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 hatten wir 91,4 Millionen Euro, für 2023 sind es voraussichtlich 89 Millionen Euro. Österreichweit ist das ein Rückgang von 3,7 Prozent! Für 2024 werden zwar 94,4 Millionen Euro prognostiziert, die Steigerung erfolgt aber überproportional, vor allem wegen des Bevölkerungswachstums in St. Pölten. Wieso ist das so, obwohl die Steuereinnahmen ja mit dem nominellen Brutto-Inlandsprodukt korrelieren sollten? Weil die Steuermaßnahmen so viel Geld kosten und die Spielräume des Bundes extrem einschränken: Die Abschaffung der kalten Progression kostet alleine 2024 2,8 Milliarden, das steigert sich bis 2027 auf 8,5 Milliarden Euro! Da bleibt dann nicht mehr viel zum Verteilen. 

Um wie viel Prozent steigen die Landesumlagen an? In einer Aussendung wird angeführt, die Umlage für Sozialhilfe steige um 20 Millionen Euro auf knapp 70 Millionen Euro. 
Die Umlage für Sozialhilfe steigt von 2023 auf 2024 von 15,6 Millionen auf 19,2 Millionen Euro. Bei der Jugendwohlfahrt steigt sie von 3 auf 3,7 Millionen Euro. Beim NÖKAS, also dem Krankenhaus, geht es von 21,9 auf 23,6 Millionen Euro. Der Standortbeitrag erhöht sich von 2,9 auf 3,2 Millionen Euro. Im Mittelfristplan steigen die Umlagen ohne der Berufsschulumlage gerechnet von 2023 bis ins Jahr 2028 von 43,4 Millionen auf 68,8 Millionen Euro an – das ist dann ein gewaltiges Plus von 58,2 Prozent.

In den letzten Jahren wurde im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich und den Stadtbudgets wiederholt kritisiert, dass die Verteilung aus Sicht der Stadt St. Pölten nicht fair ist. Die Lage wurde immer wieder als angespannt und schwierig dargestellt. Was unterscheidet sich nun heute von der Situation früherer „Warnungen“?
Zur Verteilung der Steuermittel muss man aus Sicht von St. Pölten sagen, dass es generell das Thema gibt, dass beim Finanzausgleich die Städte und Gemeinden im Westen mehr bekommen als im Osten und Süden. Das ist historisch bedingt, etwa durch den Getränkesteuerausgleich, et cetera und wird seither mit Fixschlüsseln betoniert. 
Ja, die Lage ist angespannt. Mit der Corona-Pandemie brachen 2020 die Ertragsanteile extrem ein. Die Lücke ist seither auch nur einmal, nämlich 2022, geschlossen worden. Teuerungen treffen die Städte massiv, während von den Steuern weniger Geld verteilt wird. Das Auseinanderklaffen zwischen zu wenig Einnahmen und zu hohen externen, und damit nicht beeinflussbaren, Ausgaben war noch nie so groß! Zudem hat St. Pölten viele große Projekte zu finanzieren. 

Da die Stadtgemeinde ihre Einnahmen ja nicht in der breiten Masse selbstständig erhöhen kann, bleiben einnahmenseitig nur Gebührenerhöhungen, oder? Erwarten Sie als Leiter der Fachabteilung für Finanzen eine Erhöhung der gemeinde-eigenen Abgaben und Gebühren und wenn ja, wann sollte diese durch den Gemeinderat beschlossen werden? 
Zweckgewidmete Gebührenerhöhungen gibt es natürlich, das hat aber nichts mit den allgemeinen finanziellen Engpässen zu tun. Wir haben in den Gebührenbereichen Wasser, Abwasser, Müll natürlich auch extreme Kostensteigerungen. Beim Müll sind diese stark personallastig, beim Wasser und Abwasser baukostenlastig. Personal und Baukosten sind aber extrem gestiegen. Es wird zukünftig eine jährliche Kalkulation der Gebühren geben, damit die Steigerungen in Zukunft dann jährlich nicht so intensiv ausfallen. Durch die entsprechenden Landesgesetze sind wir verpflichtet in den Gebührenbereichen kostendeckend zu sein! Beschlossen wird das wohl im Dezember 2023 für Erhöhungen ab 2024. Aber da die Erhöhungen stark sind, soll ein Dämpfungspfad mitbeschlossen werden. Das heißt 2024 wird nur auf die Hälfte der notwendigen Erhöhung angepasst, 2025 dann auf drei Viertel und erst 2026 die volle Erhöhung.

Wenn die Einnahmen stagnieren, steigen wohl die Schulden?
Die Schulden steigen nur aufgrund der Investitionen. Grundsätzlich dürfen Gemeinden Abgänge nicht durch Schulden finanzieren, als Statutarstadt wären wir von dieser Regel aber ausgenommen. Wir machen das dennoch nicht, weil wir noch genug Reserven mittelfristig haben. Aber: Wir müssen die Zeit nutzen, um wieder auszugleichen. Das geht nur mittels Ausgabenkürzungen, darum erarbeiten wir bis Sommer 2024 ein Programm zur Ausgabenreduzierung, das für die Budgets ab 2025 wirken soll.