MFG - Das Rauchertagebuch oder "Fangen Sie besser gar nicht erst an!"
Das Rauchertagebuch oder


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Das Rauchertagebuch oder "Fangen Sie besser gar nicht erst an!"

Text Althea Müller
Ausgabe 04/2009

14. Mit drei Freundinnen in St. Pölten unterwegs, hu, große Stadt. Damals rauchte ich die erste Zigarette meines Lebens. Ich hustete, dann flog ich, dann wurde mir schwindelig. Danach kaufte ich mir meine erste Packung Tschick. Weil’s ohne eigentlich nicht geht. 13 Jahre und tausende Euro später dann der Entschluss: Vielleicht geht’s doch ohne. Die folgenden Aufzeichnungen? Ein Tagebuch des Grauens. Eine Warnung an nachkommende Raucher-Azubis? Mitnichten – die größten Fehler muss schließlich jeder selbst machen. Hugh, ich habe gehustet.

2008
10.11.
Hab mal wieder eine dieser Halsentzündungen, die ich in letzter Zeit ständig habe. Arzt ist nicht nett gewesen. Hat gemeint, ich solle zum Rauchen aufhören. Als ob ich das nicht wüsste! Rauche wirklich viel zu viel. Sind zwischen 18 und 25 Stück täglich. (Notiz für den Hinterkopf: Ich verbringe meine Zeit damit, mir auszurechnen, wie viele Zigaretten ich am Tag rauche.) Nur: Der Arzt weiß nicht, dass ich einer der wenigen Menschen auf der Welt bin, die viel zu süchtig sind, um aufzuhören. Er hat leicht reden. Alle haben leicht reden.
17.11. Ich spucke beinahe Blut. Zumindest aber besteht mein Inneres augenscheinlich gerade zu etwa 80 % aus Schleim. Muss echt zum Rauchen aufhören.
20.11. Aaaaah gelobter Körper! Hab mich endlich wieder erholt. Mein Hals ist frei, mein Rachen purer Honig. Ich danke Gott, dass ich jetzt wieder rauchen kann.
29.11. Zuviel Monat für zu wenig Geld. Plündere meine Kleingeld-Dose. Dose ist fast leer und ich frage mich, warum. Ein Packerl geht sich aber noch aus. Draußen regnet es in Strömen. Ich fahre zehn Minuten zum Tschickautomaten. Tschickautomaten sind meine Freunde.
30.11. Bin schon wieder ziemlich verkühlt. Mein Gesicht ist grau. Verdammtes Wetter.
3.12. Die ganze Wohnung stinkt, das Auto auch. Rauchen ist irgendwie nicht mehr zeitgemäß. Wär ganz fein, mal aufzuhören mit dem Scheiß. Da ich ein willensstarker Mensch bin, wird mir das auch gelingen. Werde die Ferien nutzen, um mirnix-dirnix zum Rauchen aufzuhören.
4.12. 22 Stück. Guter Schnitt, so kurz vor Weihnachten. Das stresst mich ja immer so. Alles stinkt. Mein Hals fühlt sich an wie glühende Kohlen. Ich kaufe mir eine Stange und teile mir die Tschick jetzt strategischer ein. Kann nicht sein, dass ich mein ganzes Geld zum Fenster rausrauch. … Später: Ah, Kaffeehaus, schön! War ein entspannender Nachmittag. Zigaretten sind fast alle, aber ich kann nicht plaudern ohne zu pofeln. Macht einfach keinen Spaß. Reiße das zweite Packl aus der Stange an. Fühle mich wie Gott in Frankreich mit dem Tschickvorrat.
15.12. Meine Freundin erzählt mir, dass die weibliche Gebärmutter bis zu zehn Jahre braucht, um sich nach der letzten Zigarette zu erholen. Ich nicke ernst und lenke das Thema dann geschickt auf Wichtigeres – Penelope Cruz, weil mir nichts Besseres einfällt.
20.12. Habe begonnen, zum wiederholten Male das Carr-Buch „Endlich Nichtraucher!“ durchzuackern. Habe es in den letzten zwei Jahren bereits zweimal gelesen, aber da wollte ich ja nie wirklich aufhören. Jetzt will ich aber wirklich. Male mir ein Leben nach dem Rauch aus, so, wie es auch in dem Buch steht: wie der Teint neu durchblutet wird, die Nägel sich wieder menschlich färben, das Haus von einem überirdisch rauchfreien Duft durchzogen wird, aaahhh! Herrlich!
22.12. Bin jetzt bei der Mitte des Buches. Habe bis zur ersten Jännerwoche Zeit, mir das Rauchen abzugewöhnen. Wird ein Kinderspiel. Hab schon ganz andere Sachen geschafft, zum Beispiel fällt mir jetzt keine ein.
23.12. Bin aufgeregt wegen des Weihnachtsmannes. Weil ich ein Kind des Kabelfernsehens bin und deshalb an Coca Cola statt an das Jesuskind glaube. Und daran, dass die Helden im Spätfilm besonders heroisch mit der Tschick in der Pappn rüberkommen, tja. Hab mich und die Maschinerie der Tabakindustrie also schon durchschaut, jawohl! Verdammte Gehirnwäsche. Von wegen – Rauchen ist cool, nein, ich bin doch kein Trottel! Gut, jetzt rauch ich noch. Aber in wenigen Wochen – aus die Maus.
30.12. Liege seit zwei Tagen im Bett, schwere Grippe. Hab mein Buch ausgelesen, aber noch eine Woche Zeit, um mit dem Rauchen aufzuhören. Kein Problem. Schleppe mich ins Wohnzimmer und zünde mir vorsichtig eine an. Auch wenn sie mich gerade fast umbringt. Aber das ist wohl nur die Grippe.

2009
6.1.
So, heute ist mein letzter Tag als Raucher. Mein aller-allerletzter Tag, an dem ich mir eins dieser stinkenden, bösen, grauslichen, auszehrenden Dinger in den Mund stecke, um mich selbst zu vergiften. Ich tue keinen Schritt mehr, ohne das Carr-Buch am Körper zu tragen. Ich freue mich auf meine Zeit als reicher, gesunder, nicht stinkender Mensch. Das Leben wird ein Fest! Um zehn Uhr abends drücke ich sie also aus – die letzte Tschick meines gesamten Lebens. Ein sehr erhebendes Gefühl. Ich werde noch meinen Enkeln davon erzählen.
7.1. Ah, endlich rauchfrei! Habe alle Aschenbecher entfernt und die Schachtel damit in die Garage gestellt. Dieses Haus braucht keine Aschenbecher mehr im Wohn- und Arbeitszimmer, auch nicht mehr im Bad oder in der Küche, ne. Wenn man nicht raucht, braucht man keine Aschenbecher. Ich atme viel freier, mein Hirn funktioniert besser, und das schon nach einem Tag!
8.1. Ich hasse mein gesamtes Leben. Ich hasse es, fernzusehen, autozufahren und in die Schule zu gehen. Ich hasse es, morgens aufzustehen. Ich hasse es, zu essen, Kaffee zu trinken und einzukaufen. Ich hasse die Ascher in der Garage und die Feuerzeuge, die in der Lade ganz hinten liegen. Außerdem hasse ich jeden einzelnen Menschen. Kann mich auf nichts konzentrieren. Mein Kopf ist völlig zu – vor dem inneren Auge tanzen Zigaretten miteinander. Sie tragen Frack und Abendkleid und sind wie Engel. Gestern war schöner. Früher war besser. Ich möchte die ganze Zeit nur noch weinen. Sicher war der Zeitpunkt schlecht. Ich hätte noch ein paar Wochen warten sollen mit der verdammten Idee, nicht mehr zu rauchen.
9.1. Nichts macht Sinn. Mein Leben ist ein düsteres Trauertal. Nicht mal Musik kann ich ausstehen. Musik triggert mich. Gott hat die Musik, wie ich sie liebe, nicht geschaffen, um ihr zuzuhören, ohne dabei zu rauchen.
10.1. Der Nebel lichtet sich. Die Maschinerie der Sucht hat mich fest in ihrem Kern eingeschlossen, klar, darum auch die Depressionen, aber ich schaffe es – bin ja ganz eine Kluge! Ein paar Tage noch, dann bin ich drüber. Bin dann endgültig ein glücklicher Nichtraucher. Kaufe mir jetzt nur wirklich sicherheitshalber eine Packung Zigaretten. Das macht ja nichts. Die Kleingeld-Dose ist voller als je zuvor. Eine Packung. Ich öffne sie ja nicht mal. Ich trag sie nur bei mir. Meinen kleinen, kostbaren Schatz.
13.1. Habe Streit vom Zaun gebrochen, um wütend in den Garten rausrennen zu können. Setze mich in die Gartenhütte. Mache mir nichts vor: der Streit jetzt war so arg, so schlimm, dass ich zumindest eine Zigarette brauche. Eine. Weil der Streit so schrecklich war. Ein Vogel am Baum schaut mich schief an: „Wenn du die rauchst, waren die letzten Tage fürn Hugo“, sagt er. Aber ich schüttle nur den Kopf. Außerdem können Vögel nicht sprechen. Von 20 Tschick runter auf eine einzige, das allein ist schon ein Riesenfortschritt. Ich zünde das goldene, leckere Zigaretterl an. Freue mich diebisch, als mir schwindlig wird – ist das geil oder was? So schwindlig war mir das letzte Mal mit 14. Ich paffe glücklich. An den Streit kann ich mich gar nicht mehr erinnern.
14.1. Eine. Eine einzige am Tag, das bringt mich nicht um. Und ist ein guter Schnitt, immer noch. Da ich sehr gerne rauche und extrem süchtig bin, ist eine einzige Tschick eine gute Sache. Ich sollte einen Lorbeer-Kranz kriegen.
16.1. Endlich mal wieder ein Kaffeehaus-Tratscherl. Ich lege meine Zigaretten auf den Tisch. „Hier ist seit 1.1. Nichtraucher“, sagt meine Freundin. Sie bedauert mich, das sehe ich. Ihr Mitgefühl tut gut. „Kein Problem“, sage ich, weil ich der Checker bin, „ich rauche ja eigentlich eh nicht mehr.“ – „Und ich hab mir grad ein Schokoladen-Verbot auferlegt“, tröstet sie mich. Wir sitzen alle im selben (verschissenen) Boot. Schließlich bestellt sie sich ihr zuliebe einen großen Kakao mit Schlagobers und danach verlassen wir das Raucher-feindliche Café mir zuliebe schnell, um eine halbe Stunde lang in klirrender Kälte am Parkplatz weiter zu plaudern. Ich rauche jetzt drei Zigaretten am Stück. Gute Vorsätze sind etwas, das man ohne Weiteres kübeln könnte, eigentlich.
19.1. Das Studium stresst mich unsäglich. Der einzige Lichtblick sind die Rauchpausen. Mein Schnitt ist immer noch voll okay: Ich bin jetzt auf sieben Zigaretten täglich. Höchstens 15. Immer noch weniger als früher, ha! Das wird schon.
23.1. Scheiße, ich habe Stress mit meinen letzten Abgaben! Ich sperre mich jeden Nachmittag ins Arbeitszimmer ein und schreibe, schreibe, schreibe. Es ist zum Schaffen, aber nur mit Zigaretten. Da die Wohnung nun aber rauchfrei bleiben soll, rauche ich nur in diesem einen Zimmer. Da ich nicht stinken will wie ein Räucherlachs in einem Meer aus Teer und Nikotin, ist das Fenster hier ständig gekippt. Es ist saukalt. Ich trage: einen Schal, ein zweites Paar Socken und eine Kapuzenjacke. Mit der Kapuze am Kopf und zitternden Fingern schreibe ich meine Arbeiten fertig, Nacht für Nacht. Es ist sowas von kalt! Aber dafür kann ich rauchen.
27.1. Schnitt: 30 Zigaretten. Da ich zurzeit nur noch vier Stunden täglich schlafe, um meine Prüfungen doch noch alle zu schaffen, zählt das aber nicht so. Gell. Außerdem höre ich in den Semesterferien sowieso wieder auf.
29.1. Hab alles gut hinter mich gebracht und jetzt eine eitrige Angina. Schuld daran ist sicher nur das offene Fenster. Arme Frau, ich. Ich kräu rüber ins Arbeitszimmer, um eine entspannte „Ich hab das Semester geschafft“-Zigarette zu rauchen. Blaugraue Schwaden kräuseln sich aus dem gekippten Fenster in die Winterluft hinaus. Hmmm.
5.2. Nach Jahren besuche ich eine alte Freundin. Schon beim Reingehen ahne ich Böses: es riecht viel zu gut hier drin. Und die Frau – sie kocht gerade etwas mit Gemüse! „Übrigens: vor einem halben Jahr hab ich zum Rauchen aufgehört“, strahlt sie.  Zitternd stehe ich alle Viertelstunden auf ihrer Terrasse, weil die Wohnung jetzt rauchfrei ist. Mitfühlend legt sie mir eine Decke über die Schultern. „Es ist gar nicht so schwer!“ Bin sauer.
11.2. Erfahre zufällig, dass ein Musiker einer Lieblingsband vor kurzem an Lungenkrebs gestorben ist. Da steht, dass er ein Jahr vor seinem Tod zum Rauchen aufgehört hätte. Zu spät. Ich setze mich hin und zähle alle näheren Verwandten zusammen, die in meiner eigenen Family an Lungenkrebs gestorben sind. Es sind fünf. Das ist doch alles Kacke. Ich muss was ändern, dringend. Will mein Leben nicht für die verdammte Tabakindustrie hingeben.
14.2. Schnitt: 18 bis 25 Stück täglich. Normaler Schnitt in einem normalen Leben. Kein Kleingeld left. Ich bin deprimiert.
20.2. Habe Entschluss gefasst: Werde ernsthaft zum Rauchen aufhören. So richtig. Hals ist dauerentzunden und ich trau mich fast gar nicht mehr zum Arzt zu gehen. Werde es diesmal richtig angehen. Mit Yoga, eventuell. Und das Buch werde ich noch einmal lesen, aber jetzt mit mehr Ernsthaftigkeit. Hab doch schon ganz andre Dinge fertig gebracht. Wär ja gelacht. Ha. Haha.