MFG - Love to hate you
Love to hate you


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Love to hate you

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2022

Viele Jahre wurde das Internet als Hort der Freiheit und freien Meinungsäußerung gefeiert – was es auch ist. Zugleich werden aber auch die Schattenseiten immer offensichtlicher, weil Freiheit oft mit Anarchie verwechselt und auf unterschiedliche Weise missbraucht wird, bis hin zu Menschen, die glauben, alles ist erlaubt und jegliche Schranken von Unrechtsbewusstsein und Anstand fallen lassen.


Welche Auswüchse das Phänomen hierzulande bereits angenommen hat, wurde mit dem Suizid von Dr. Lisa-Maria Kellermayr, die als Impfbefürworterin im Netz von einem radikalen Coronaleugner-Mob vor sich her und – wie viele meinen – letztlich in den Tod getrieben wurde, auf erschütternde Weise evident. 

Verschärfte Gesetze
Auf rechtlicher Ebene wird seit geraumer Zeit versucht, die bislang nachhinkende und teils vage Gesetzeslage auf die Höhe der Zeit zu bringen, um Hass im Netz effektiver bekämpfen zu können. So trat in Österreich erst im Vorjahr das „Hass im Netz“-Gesetzespaket mit zahlreichen Nachschärfungen in Kraft (siehe Kasten), diesen Juli brachte das Europäische Parlament den Digital Services Act (DSA) auf den Weg. Ganz grundsätzlich geht es dabei um einen besseren Schutz von Usern im Netz im Hinblick auf digitale Dienste, wobei insbesondere das Thema „Hass im Netz“ einen der fundamentalen Fluchtpunkte in der Ausarbeitung darstellte. Die Europäische Kommission folgt dabei, wie es in einer Pressemitteilung heißt, dem Grundsatz „Was außerhalb des Internets verboten ist, sollte auch im Internet illegal sein. Mit der Verordnung sollen die Bürgerinnen und Bürger und ihre Grundrechte im Internet besser geschützt und insbesondere Hass und politische Radikalisierung eingedämmt werden. Das Gesetz erleichtert die Entfernung illegaler Inhalte und schützt die Grundrechte der Nutzer/innen – etwa die Redefreiheit – im Internet. Außerdem sorgt es für eine strengere Beaufsichtigung von Online-Plattformen, insbesondere von Plattformen, die mehr als zehn Prozent der EU-Bevölkerung erreichen.“ Mit letzterem sind vor allem Big Gambler wie META (u. a. facebook, instagram, whatsApp), Google, youtube, TikTok & Co. gemeint, die bislang – um es einmal euphemistisch zu formulieren – wenig Engagement und Konsequenz beim Löschen illegaler Inhalte, in Sachen Erreichbarkeit oder bezüglich Userfreundlichkeit beim Vorgehen gegen Hass im Netz zeigten. In vielen Fällen gelingt es Betroffenen nicht einmal Ansprechpartner zu finden, geschweige denn eine Eingabe zu machen. All dem will die EU in Hinkunft auch durch die Androhung hoher Geldstrafen bei Nichteinhaltung der neuen Regelungen Abhilfe schaffen. Ob mit Erfolg bleibt fraglich, wenn etwa von einem Messenger-Dienst wie telegram nicht einmal ein Impressum bekannt ist.

„Man muss nicht allein bleiben!“
Man folgt mit diesen Schritten vielfach den Empfehlungen diverser mit der Materie vertrauter Experten, Forscher und Vereine, deren steter Zuwachs in den letzten Jahren selbst schon wieder Indiz für den gestiegenen Handlungsbedarf bezüglich Hass im Netz ist. So bietet etwa der Verein ZARA (Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit), der sich ursprünglich insbesondere dem Kampf gegen jedwede Form von Rassismus widmete, seit 2017 auch eine eigene, explizite Beratungsstelle für Hass im Netz an und bringt zudem alljährlich den „#gegenHassimNetz-Bericht“ heraus. Den oft als schwammig empfundenen Begriff definiert man dabei wie folgt: „Hass im Netz umfasst verletzende, erniedrigende oder herabwürdigende Online-Inhalte, die sich gegen Einzelpersonen oder Gruppen richten. Diese Inhalte beziehen sich häufig auf Merkmale oder Zuschreibungen wie ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Religion, Behinderung, soziale Herkunft oder Alter. Mitumfasst sind auch Cyber-Mobbing und Cyber-Stalking.“
Prinzipiell geht es – entgegen dem vielfach gezeichneten Bild in der Öffentlichkeit – also vordergründig zunächst nicht darum, ob gleich ein Strafrechtsdelikt wie z. B. gefährliche Drohung oder Verhetzung vorliegt, sondern ob man sich durch die hasserfüllten Äußerungen verletzt und bedroht fühlt – mit dementsprechenden schädlichen Auswirkungen auf Psyche und das eigene Sicherheitsgefühl. In diesem Fall sollen sich Hatespeech-Opfer immer, wie Ramazan Yıldız von ZARA empfiehlt, Hilfe holen – etwa bei einer Vertrauensperson, bei psychosozialen Diensten oder bei professionellen Einrichtungen, die auch im Hinblick auf das weitere – möglicherweise auch juristische – Vorgehen individuelle Lösungen mit den Opfern ausarbeiten. „Man muss nicht allein bleiben!“

Das sieht auch der Leiter des Landeskriminalamtes Niederösterreich, Brigadier Stefan Pfandler, so, der Betroffenen rät, sich jedenfalls bei der Polizei zu melden. „Sobald in sozialen Netzwerken oder anderen Kommunikationsplattformen derartige Sachverhalte festgestellt werden, sollten sich Betroffene umgehend an die nächstgelegene Polizeidienststelle wenden, und diesen vorbringen.“ Dort wird nicht nur der Sachverhalt aufgenommen und etwaige Beweismittel wie z. B. Screenshots, Kommunikation etc. gesichert, sondern in Folge – je nach Beurteilung – weiter im Rahmen der polizeilichen Möglichkeiten ermittelt „und anschließend das Ergebnis in schriftlicher Form der zuständigen Staatsanwaltschaft zur weiteren strafrechtlichen Beurteilung vorgelegt. Den Betroffenen werden von Seiten der Polizei dabei in persönlichen Gesprächen auch Informationen über besondere Rechte als Opfer vermittelt, sowie schriftliches Informationsmaterial und Verhaltensweisen zu dieser Thematik ausgehändigt.“ Leitet die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein, ermittelt häufig die Kriminalpolizei weiter. Mit welchen Methoden, diesbezüglich will sich Pfandler nicht in die Karten schauen lassen. „Ich ersuche um Verständnis, dass in diesem Zusammenhang die weiteren Schritte und Möglichkeiten der Kriminalpolizei nicht näher erläutert werden können.“ Man nehme jedenfalls alle Eingaben ernst, weshalb der Landeskripo-Chef auch den medial im Zuge des Kellermayr-Falles aufgetauchten Vorwurf gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft, dass es quasi für Betroffene eine Art Glücksspiel ist, ob man an einen Beamten gerät, der Hass im Netz ernst nimmt, oder einen, der das Phänomen eher als Kavaliersdelikt abtut, ganz klar zurückweist. „Diese Kritik kann von Seiten der Kriminalpolizei – für den Bereich der Polizei in Niederösterreich – nicht nachvollzogen werden, da diesbezüglich in den letzten Jahren alle Exekutivbediensteten auch ein spezielles Lernmodul absolvieren mussten, das genau für diese Thematik entwickelt wurde, und daher eine entsprechende Sensibilisierung erfolgte!“ Überhaupt wurden, wie der Brigadier weiter ausführt, „sowohl in Bezug auf ‚Cybercrime‘ als auch in Bezug auf ‚Hatecrime‘ im Speziellen von Seiten des BMI in den letzten Jahren bereits große Anstrengungen unternommen, um die Bediensteten in Bezug auf diese Kriminalitätsform zu schulen bzw. entsprechendes Fachpersonal auszubilden und Strukturen anzupassen.“

Zivilgesellschaft gefordert
Auch Ramazan Yıldız ortet durchaus Fortschritte, hält die Anstrengungen aber für weiter ausbaufähig. So fordert er etwa eine noch stärkere „Sensibilisierung der Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte zum Thema Hass im Netz. Wir sehen aus einigen Beratungsfällen, dass eine Anzeige mehrere Anläufe braucht, bis sie aufgenommen wird.“ Außerdem plädiert er dafür, dass „Beratungseinrichtungen, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte finanziell, personell und equipmenttechnisch so aufgestellt sein müssen, dass sie die gesellschaftlichen Auswirkungen von Hass im Netz effektiv bekämpfen und Betroffene gut begleiten können.“ 
Zugleich nimmt Yıldız auch die Zivilgesellschaft in die Pflicht und fordert mehr Solidarität mit den Opfern ein, die bereits im Netz beginne. „Gegen Hassrede steht zumindest immer das Mittel der Gegenrede zur Verfügung. Jeder User und jede Userin hat die Möglichkeit einzugreifen und digitale Courage zu beweisen – etwa durch aktives Gegenposten bei Falschinformationen oder durch Solidaritätsbekundungen mit den Betroffenen!“ Häufig ist aber fast das Gegenteil zu orten, werden Opfer nicht wirklich ernst genommen.  „Immer wieder findet man etwa eine Art Logik: ‚Wenn es nicht strafrechtlich relevant ist, ist es nicht so arg – stell dich nicht so an‘“. Oder es kommt gar zu einer Art Täter- Opfer-Umkehr, wenn man quasi die Schuld bei den Opfern sucht: „,Wenn du nicht online wärst, wäre das gar nicht passiert.‘ Die Verantwortung liegt aber immer bei Täterinnen und Tätern. Es ist nicht die Verantwortung von Betroffenen, etwas gegen Hass im Netz zu tun!“, betont Yıldız. Sondern es ist eben eine gesamtgesellschaftliche, weshalb ein solides Gesetz, auf dessen Grundlage man sich wehren kann, ebenso notwendig ist, wie ein breites Sample an Hilfestellungen – von Stellen, wo man (auch anonym, wenn gewünscht) Vorfälle melden und dokumentieren kann über Beratungsgespräche und Hilfestellung bei Löschanfragen, Interventionsschreiben und juristischen Fragen bis hin zu psychosozialer Hilfe oder, wenn es juristisch hart auf hart geht, kostenlose Prozessbegleitung.
Auch den häufig von Außenstehenden erteilten Ratschlag, dass sich Betroffene ganz aus dem Netz zurückziehen sollen, wenn sie Opfer von Hassrede werden, erteilt Yıldız eine Absage, „weil er demokratiepolitisch problematisch sein kann.“ Hassrede – oft akkordiert vorgetragen von bestimmten Kreisen – zielt nämlich häufig ganz bewusst auf sogenanntes „Silencing“ ab, „also bestimmte Stimmen, Gruppen und deren Anliegen in der öffentlichen Diskussion weniger sichtbar zu machen“ oder gar ganz zum Schweigen zu bringen. 
Schweigen ist daher die schlechteste aller Optionen. Dem Hass im Netz muss sich die Gesellschaft wehrhaft entgegenstellen, vor allem muss sie aber, wie Yıldız überzeugt ist, ihren prinzipiellen off- und online Umgang miteinander überdenken. „Eines muss klar sein: Strafrecht löst gesellschaftliche Probleme nicht! Auf lange Sicht brauchen wir wirklich viel Energie im Präventionsbereich, also etwa in Sachen Empathie und Medienkompetenz sowie im Erlernen konstruktiver Konfliktaustragungsformen!“ Und die Leute müssen begreifen, dass das Netz kein abstrakter Raum ist, sondern „online ist reale Lebenswelt!“

HASS IM NETZ-GESETZ
Stell dir vor, es gibt ein neues Gesetz und keiner weiß, was drinnen steht. In etwa so stellt sich die Situation beim „Hass im Netz“-Gesetz dar, das bereits seit 2021 in Kraft ist, aber erst im Zuge des Kellermayr-Falles stärker in den Fokus geriet.

Dabei ist es durchaus „eine gute Grundlage, um gegen Hass im Netz vorzugehen und Betroffenen von Gewalt Online sowie Offline zu helfen“, wie Ramazan Yıldız von ZARA urteilt. Und auch der Leiter des Landeskriminalamtes, Brigadier Stefan Pfandler, bestätigt: „Aus polizeilicher Sicht stellen die in den letzten Jahren diesbezüglich geschaffenen Regelungen eine solide Basis für effiziente Aufklärung derartiger Straftaten dar.“ Ein Blick, was drinnen steht, und was sich gegenüber Vorgängergesetzen geändert hat. 

Gerichtliche Löschung von Hasspostings mittels Mahnverfahrens
Postings, welche die Menschenwürde verletzen, können nun rasch gelöscht werden. Dazu ist es möglich, beim Bezirksgericht ohne vorangehende Verhandlung einen Unterlassungsauftrag zu erwirken. Das Formblatt für die Klage und den Antrag auf Erlassung eines Unterlassungsauftrags steht auf justizonline.gv.at zum Download zur Verfügung.

Erleichterte Ausforschung von Täter:innen bei Privatanklagedelikten
Die typischen Hasspostings erfüllen in der Regel die Straftatbestände der „üblen Nachrede“ oder der „Beleidigung“. Dabei handelt es sich um Privatanklagedelikte, bei denen Opfer auf meist kostenintensivem Wege Täter:innen selbst ausforschen mussten. Dies wurde geändert. Nun forschen die Behörden die beschuldigte Person aus, sofern dies beim Landesgericht beantragt wird.

Entfall des Kostenrisikos für Opfer
Das Kostenrisiko im Fall eines Freispruches oder einer Einstellung lag bisher beim Opfer, das die Prozesskosten zu bezahlen hatte. Auch hier schuf das neue Gesetzespaket Abhilfe.

Ausweitung der Prozessbegleitung
Eine vermehrte psychosoziale und juristische Prozessbegleitung soll Opfer von Hass im Netz dabei unterstützen, mit der außerordentlichen Belastung eines Strafverfahrens besser umgehen zu können.

Höherer Schadenersatz im Medienrecht
Wenn Menschen durch ein Medium in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt werden, können sie nun mit einer höheren Entschädigungssumme rechnen.

Cybermobbing bereits ab dem ersten Posting
Früher war das Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen einer Person im Internet nur strafbar, wenn es „fortgesetzt“ erfolgte. Nun kann bereits eine einmalige Tathandlung ausreichen, um sich strafbar zu machen. Ein Beispiel wäre das Posten eines Nacktfotos ohne Einverständnis der betroffenen Person.

Tatbestand der Verhetzung ausgeweitet
Hetze und öffentliche Gewaltaufrufe gegen Einzelpersonen wegen ihrer (z. B. ethnischen oder religiösen) Gruppenzugehörigkeit sind künftig vom Verhetzungstatbestand umfasst. Früher war es erforderlich, dass sich derartige Angriffe gegen die gesamte Bevölkerungsgruppe richten.

Transparentes Meldeverfahren
Auf den jeweiligen Plattformen befindet sich eine ständig erreichbare und leicht handhabbare Meldemöglichkeit. Gemeldete Inhalte müssen je nach der Eindeutigkeit des strafbaren Inhaltes innerhalb von 24 Stunden bis zu 7 Tagen von den Plattformen gelöscht werden. In einem weiteren Schritt steht der Gang zur behördlichen Beschwerdestelle der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH offen.

Zustellungsbevollmächtige:r
Plattformen sind nun verpflichtet, eine:n Zustellungsbevollmächtigte:n als Ansprechperson für österreichische Behörden, Unternehmen und Bürger:innen zu benennen.

Empfindliche Geldbußen
Bei systematischem Versagen der Plattformverantwortlichen gegen Hass im Netz drohen Geldbußen bis zu 
zehn Millionen Euro, damit auch Milliardenkonzerne den Opferschutz ernst nehmen.

Ausgewählte Rechtsfragen zu „Hass im Netz“ im Überblick
Hasspostings können unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen und durchsetzbare Ansprüche auslösen. Häufig kann ein Hassposting sowohl zivilrechtliche, als auch straf- oder medienrechtliche Konsequenzen haben. Beispielsweise könnten durch ein Posting Straftatbestände wie Cybermobbing oder Verhetzung erfüllt werden. Zugleich könnte das Posting einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch und einen medienrechtlichen Entschädigungsanspruch des Opfers auslösen.

Seit Ende 2020 werden in Österreich alle unter die Definition „Hate Crime“ fallenden gerichtlich strafbaren Handlungen speziell erfasst und somit in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik eigens ausgewiesen. Für den Zeitraum Jänner 2021 bis Dezember 2021 wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik 2021 in Niederösterreich 809 „Hate Crime“ Straftaten angezeigt. Die Aufklärungsquote liegt dabei im Jahr 2021 in Niederösterreich bei 70%.

(Quelle Bundesministerium Justiz)