MFG - Reiselust meets Sesshaftigkeit
Reiselust meets Sesshaftigkeit


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Reiselust meets Sesshaftigkeit

Text Andreas Reichebner
Ausgabe 06/2022

Im Spannungsfeld zwischen streng umzäunter, gartenzwergdurchsetzter Kleingarten-Siedlungs-Romantik und stetig wechselnden Campingplatzfreunden zeigt sich Camping am See in St. Pölten als veritabler und angenehmer Erholungsplatz. Zwei junge Pächter, Florian und Lukas Winter, haben vor Kurzem die Aufgabe übernommen, diesen großzügigen Platz für Zelt und Wohnwagen attraktiver auszurichten.


Schon bei der Ankunft und Betrachtung wird einem augenblicklich gewahr: Der Campingplatz in St. Pölten ist nicht so wie die meisten anderen seiner Zunft des naturverbundenen Reisens, denn bei der kleinen Zufahrtsstraße ist schon beim großen Schranken vorerst einmal Schluss. Die letzten Meter bis zum kleinen Anmeldehäuschen muss der frisch angekommene, potenzielle Campingplatzbesuchende einmal zu Fuß gehen. So wie Mathilde, die holländische Camperin, die sich, gerade als der Schreiber dieser Zeilen begann, mit einem der neuen Pächter Florian zu plauschen, mit ihrem Mann Gert für einen Stellplatz anmeldet. Angelockt durch einen Rabatt einer Campingvereinigung, wo auch der St. Pöltner Platz Kooperationspartner ist, und der Aussicht auf wunderschöne Tage in Niederösterreichs Hauptstadt nebst Baden im direkt danebengelegenen See. Dieser ist übrigens das absolute Highlight hier in St. Pöltens Campingwelt. So sieht das auch der 24-jährige St. Pölt­ner Florian Winter, der mit seinem jüngeren Bruder Lukas nun für den Campingplatz zuständig ist: „Die Lage, der See und auch der gute Preis sind sehr gute Argumente, hier mit Zelt, Campingmobil oder -wagen vorbeizuschauen.“

Der See ist das Highlight
Und genau das denkt sich auch Mathilde, die nun zur Anmeldung schreitet: „Ein See in einer Hauptstadt und der gleich neben dem Campingplatz, das hat man nicht so oft.“ Obwohl erst kürzlich Campingplatzpächter, empfängt Florian die neuen Mieter in einer routinierten und freundlichen Art und Weise. Man erkennt gleich seine Ausbildung in der HTS St. Pölten,  und seiner Arbeit als Geschäftsführer von „Drink Cocktails“. Mit Eselsgeduld erklärt er der Holländerin, wie das geht mit dem Chip, der gleichzeitig nicht nur die Eingangstür und das große Tor, sondern auch die Toiletten öffnet. Denn ohne Chip oder den Schlüssel zur einzigen Tür, die zum See führt, gibt es kein Hereinkommen in den Campingplatz oder auch kein Wasser lassen. Das erinnert an das berühmte gallische Dorf – uneinnehmbar, außer man meldet sich an. Und so sind auch die beiden holländischen Campinggäste dann höchst erfreut, sich einen passenden Stellplatz zu suchen. Aber nicht bevor sie Florian nach allem gefragt haben, was halt so Camper fragen – hier ein kleiner Auszug: Wie viel Ampere-Strom gibt es am Stellplatz? Wo kann man gut essen gehen? Was kann alles in St. Pölten besichtigt werden? Gibt es frisches Gebäck in der Früh? „Da ich aus der Gastrobranche komme und auch schon in Hotelrezeptionen eingesetzt wurde, machen mir die vielen Fragen nichts aus, die Arbeit spiegelt meine Ausbildung in der Tourismusschule wider“, so Florian, der auf alles eine Antwort hat. Auch Lukas, der jüngere Bruder, bläst ins gleiche Horn: „Ich bin es gewohnt, mit Leuten in Kontakt zu treten.  Die Arbeit hat viel mit Organisatorischem, eben wie in einer Rezeption, zu tun.“ Beide haben im ersten Monat als Campingplatzpächter die Erfahrung gemacht, dass die Camper „an sich nette und kontaktfreudige Leute sind.“

Sehr privat
Aber kommen wir ganz kurz zurück zu den beiden Campingfreunden aus Holland, denn Gert parkt gerade sein mit allem Drum und Dran ausgerüstetes Campingmobil in einer der äußerst großzügigen Stellflächen ein und ist sehr entzückt. „So viel Platz hat man selten“, freut er sich und muss nicht unzählige Male, wie zumeist auf den Campingplätzen in anderen Gegenden, hin und her reversieren. Und auch von der dicht gewachsenen Hecke sind die beiden begeistert. „Die durch die Büsche abgetrennten Parzellen, die 80 bis zu 130 Quadratmeter Größe haben, sind ein weiteres Plus unseres Campingplatzes“, weiß Lukas, „da sind die Gäste auf ihren Platzerln sehr privat.“ 

Dauercamper gehören zum Inventar
Diesen Vorteil nutzen auch die Dauercamper, die schon viele Jahre die äußeren Parzellen, die wie ein Bollwerk gegen die „außercampierende“ Welt fungieren, ihr mieteigen nennen „Die sind 50 plus, die meisten schon in Pension, kommen aus der Umgebung oder aus Wien, Krems und Tulln, aber auch aus St. Pölten. Für viele ist es ein Gartenersatz, sie leben eigentlich wie in einer Kleingartensiedlung und gehen uns an sich nichts an, denn sie mieten ihre Parzellen direkt beim Campingplatzbetreiber, der städtischen Immobilien GesmbH & Co KG, müssen auch ihren Rasen selbst mähen“, so Florian, der aber mit den meisten schon per Du ist. Auch mit dem St. Pöltner Andreas Jahodinsky, der mit seiner Gattin Patricia schon 18 Jahre einen Dauerstellplatz innehat. „Wir sind so oft es geht hier, im Sommer schlafen wir auch da“, so der Dauergast, „dann fahre ich vom Campingplatz gleich direkt zur Arbeit.“ Früher sind die beiden mit dem Wohnwagen „quer durch ganz Europa“ getingelt, aber jetzt haben sie ihre beiden mobilen Behausungen, quasi wie ein „Campingvierkanter“ mit Innenhof und dem obligatorischen Zäunchen als Einfassung davor, gegenübergestellt. Während Enkerl Adrian beim Rasensprenger Abkühlung sucht, erzählt Andreas von der Vergangenheit: „Früher hatten hier lauter Polizisten ihre Plätze, haben die Hecken gepflanzt, aber auf einer Seite einen Laufweg gelassen. Da konnten sie sich gegenseitig besuchen und dabei ist einiges konsumiert worden.“ Besonders wenn sie auch beim damaligen Wirt und Pächter, dem Draxler Helmut, seines Zeichens auch legendärer „Cabrio“-Wirt und Manfred Deix-Freund, zusammenkamen. Für Jahodinsky ist hier „das Paradies inmitten der Stadt“, auch wenn er sich manchmal über die Lärmbelästigung durch die Modellmotorboote aufregen muss. Dagegen sind die Triathleten, die an einem bestimmten Mai-Wochenende, an dem die STP Challenge stattfindet, für eine volle Auslastung am Campingplatz sorgen, ruhige Zeitgenossen. „Die stehen zeitig in der Früh auf, sind dann mit ihren Rädern weg oder laufen, und am Abend schlafen sie schon sehr früh ein.“

Einige Fahnen wehen
Natürlich sind dort, wo der Atem der Kleingartenwelt haucht, auch unzählige Gartenzwerge zu finden. Und so finden sich hier die kleinen Gartenfreunde in allen Variationen wieder, ob gießend, auf Schnecken reitend oder fröhlich einen hebend,  sie sind überall. Sie bevölkern den perfekt rasengetrimmten, penibel aufgeräumten Platz ebenso wie den absolut naturgewachsenen und auf den ersten Blick die Seele eines typischen Kleingartenfreundes zum Kochen bringenden Wildwuchsgarten. Der liegt gleich neben der Anmeldung und wehrt sich gegen jede Art von Plastik. An Fahnen, die über den Dauercamperparzellen wehen, fehlt es auch nicht. „Früher hatten wir eine Österreichfahne, jetzt weht Blau-Gelb über unserem Grund“, erzählt Jahodinsky, „aber demnächst wird es die St. Pöltner Flagge sein.“ Warum aber am Grund gegenüber das Banner der US-Marines im Winde segelt, weiß niemand so ganz genau. Ehe Florian Winter wieder seine Runde, in der er kontrolliert und begutachtet, ob alles so passt, fortsetzt, bekommt er einen kleinen Tipp mit: „Wenn der Campingplatz bummvoll ist, müsst ihr schauen, dass das Klopapier nicht ausgeht.“

Bei Null gestartet
„Bei Null gestartet“ haben die jungen Neupächter, „vom Vorpächter nichts übernommen, nicht einmal eine Kundenkartei.“ Am Campingplatz gibt es einiges zu tun, ob es nun der Abtransport der vor den Containern irrtümlich platzierten Müllsäcke, das Mähen der riesigen Rasenflächen, die Instandhaltung der Anlagen, das viele organisatorische Drumherum und so weiter ist. „Ich fahre gerne mit dem Rasenmähertraktor, das ist fast wie Urlaub“, sagt Lukas und lächelt, denn die beiden können sich auch auf ihren Vater Thomas, der eine Werbeagentur besitzt und das Magazin „SCHAUrein!“ herausgibt, verlassen: „Wir möchten uns das einmal anschauen, wie es läuft, die Auslas­tung erhöhen, die Website modernisieren, in Zukunft einen Check-In für Spätankommende oder vielleicht ein kleines Café einrichten“, so Florian, der mit Lukas den Platz auf ein Jahr gepachtet hat und beim Anmeldehäuschen auch frisches Gebäck, lokale Spezialitäten wie Weine aus dem Traisental und köstliche Cocktails von der hauseigenen Firma „Drink Cocktails“ anbietet. Beiden ist in Zukunft zuzutrauen, den Campingplatz weiter in Richtung „Paradies inmitten der Stadt“ aufzuwerten. Dann werden sich nicht mehr nur „Fuchs“ und „Henne“, zwei Camping-Pods, eine Mischung aus Zelt und Hütte, die seit Jahren hier von Gästen bezogen werden können, und die Dauercamper „Gute Nacht“ sagen, sondern auch immer mehr internationale Campingfreunde.