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St. Pölten – Eine Studentenstadt?


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St. Pöltens gute Seite

St. Pölten – Eine Studentenstadt?

Text Leonie Danek , Andreas Reichebner
Ausgabe 09/2021

Als junger Mensch stolpert man von einem großen Meilenstein im Leben zum nächsten. Der erste Schultag, das erste Zeugnis, Lehre und Arbeit oder weiter in der Schule bis zur Matura. Tja, und irgendwann landet man vielleicht in St. Pölten – um zu studieren.

Tatsächlich hat sich die nieder­österreichische Kapitale – wenn man jetzt einmal rein von der Zahl der Studierenden ausgeht – seit den 90er-Jahren zur Studentenstadt entwickelt. Über 4.200 junge Menschen – Tendenz steigend – treiben sich hier mittlerweile in den Hör- und Seminarsälen von Fachhochschule, New Design University oder – jüngstes Hochschulbaby – Bertha von Suttner Privatuni herum. Das sind immerhin fast so viel wie 10% der hiesigen Bevölkerung. Nur, und das ist das Paradoxe: Die Studenten werden im Stadtbild nicht sichtbar – wie ist das möglich?
Die Sache mit der Geografie
Ein Grund, der schon beim Standortentscheid für die FH Thema war, betrifft die Geografie. „Wir sind hier in der Pampa“, bringt es Alexander trocken auf den Punkt. Tatsächlich sind sowohl FH als auch NDU nicht zentrumsnahe, sondern eher an der Peripherie situiert. Und auch wenn – wie in diversen Masterplänen eingeräumt wird – der tatsächliche Weg von der FH zum Bahnhof „nur“ in etwa 10-15 Minuten in Anspruch nimmt, so ist er doch für viele zu weit „um etwa in einer Freistunde schnell in die Stadt zu huschen, eine Kleinigkeit zu essen oder sich auf einen Kaffee zusammenzusetzen. Das geht sich nicht aus!“
Die Sache mit dem Pendeln
Ein anderer Aspekt betrifft St. Pölten als „Studenten-Wohnstadt“. Zwar kommen viele mittlerweile aus ganz Österreich und teils der Welt, es wird auch laufend das Angebot an Studentenwohnheimen, Studentenzimmern und billigen Wohnungen in der Umgebung ausgebaut, aber dennoch pendeln viele lieber zum Studium als sich in St. Pölten anzusiedeln. Oder – noch schmerzhafter – manche nehmen sich zwar zu Studienbeginn eine Bleibe, brechen nach dem ersten Semester aber die Zelte wieder ab und pendeln lieber von – meistens – Wien ein. „St. Pölten ist halt klein und die Optionen sind begrenzt“, findet Hanna. „Große Städte wie Wien, Graz oder Linz können ihren Studenten vom kulturellen Angebot über allgemeine Freizeitmöglichkeiten bis hin zum Nachtleben einfach viel mehr bieten!“
Die Sache mit der Infrastruktur
Womit man zu Faktor drei kommt. Viele bemängeln Angebot und Infrastruktur. „Das beginnt vor allem schon bei uns rund um den Campus. Bis auf ein Lokal, das ‚Rosis‘, und die Mensa sieht es etwa mit Essensmöglichkeiten oder alternativen Gegebenheiten in direkter Umgebung wirklich schlecht aus“, beklagt Petra. Auch die Nachtgastronomie, für junge Menschen klarerweise ein wichtiges Thema, bekommt von den Studenten ein eher ernüchterndes Zeugnis ausgestellt. „Wenn du Party machen willst, dann gibt es eigentlich nur das Studentenheim oder das La Boom und Warehouse – und die sind am anderen Ende der Stadt!“, so Alexander, und Anna ergänzt „das ist für zu Fuß einfach zu weit weg.“ Und was ist mit den Öffis, der LUP fährt doch mittlerweile sogar in den Abendstunden? „Ja, aber nur bis 22.30 Uhr. Danach fährt kein Bus mehr. Viele Studenten feiern aber vor, die sind um die Zeit noch gar nicht unterwegs. Und nachhausekommen in der Nacht ist dann sowieso eine Challenge.“ Dass es auch ein Anrufsammeltaxi gibt, das man in der Nacht bestellen kann, davon hören die meisten zum ersten Mal. Andere, wie Peter, sind vom Konzept für seine Zwecke nicht überzeugt „weil ich weiß ja eine halbe Stunde vorher noch nicht, dass ich nachhause will – da dann vorbestellen oder so, funktioniert nicht.“ Bleibt als Alternative nur mehr das Taxi, „aber das jedes Mal in Anspruch nehmen belastet das Budget doch sehr.“
Und wie steht es um das allgemeine Angebot, auch so tragisch? Diesbezüglich fällt auf, dass es im Gespräch durchaus Punkte für St. Pölten auf der Habenseite gibt. „Die Seen sind zum Beispiel super. Mit einer Decke im Gepäck, lässt es sich gut für ein paar Stunden an der frischen Luft lernen“, so Anna. Auch das Kinoangebot mit Megaplex und Cinema Paradiso sei „durchaus okay.“ Was freilich einmal mehr als Kritik kommt – in unmittelbarer Nähe sehe es mau aus. Vielleicht auch, diesen Eindrucks kann man sich nicht erwehren, weil die Studenten viel zu wenig über die Möglichkeiten der Stadt Bescheid wissen.
Die Sache mit der Kommunikation
Versuche, diese bewusst zu machen, gibt es dabei durchaus. Die Studienvertretung ÖH etwa ist bemüht, immer wieder Angebote zu stellen und Benefits für die Studenten herauszuschlagen – von verbilligten Fitnessstudioabonnements bis hin zur Kooperation mit dem Landestheater. Und auch das offizielle St. Pölten startete 2018 gemeinsam mit der Fachhochschule eine Charmeoffensive und legte einen „Survival Guide“ auf, um den Studierenden die Stadt schmackhaft zu machen.  Außerdem werden aktuell auf dem Instagram-Account der FH einzelne Hotspots der Stadt präsentiert. Bemühungen sind also da, oft hat man aber den Eindruck, dass es sich eher um Eintagsfliegen denn um eine Dauerbrautwerbung handelt – und dieser bedürfte es. Überhaupt wenn man den Spieß einmal umdreht und die bald 5.000 Studenten auch als knallharten Wirtschaftsfaktor begreift. Dass man etwa von Wirtschaftseite und Kaufmannschaft her dieses Potenzial bislang kaum aktiv beackert, ist zumindest erstaunlich.
Die Sache mit der Zukunft
Oder ist es sowieso sinnlos? Muss man sich damit abfinden, dass viele Studenten St. Pölten zwar durchaus zum Studieren schätzen, es zum Leben aber „zu unsexy“ finden?
Muss man nicht! Erstens: Jede Braut lässt sich gern umgarnen und wird – bei richtigem Angebot und ehrlichem Interesse – vielleicht zumindest zeitweilig schwach. Dauerwerbung ist angesagt! Und zweitens kann auch die ursprünglich vermurkste FH-Standort-Wahl mit ihren dementsprechenden negativen Auswirkungen ausgebügelt werden. So entsteht am benachbarten ehemaligen Glanzstoff-Areal auf Sicht ein komplett neuer Stadtteil. Die FH wird dann nicht mehr am Rand liegen, sondern – wenn geschickt umgesetzt – Teil eines neuen Bezirks sein. Die gut 5.000 Studenten und ihre Bedürfnisse sollte man daher in den Planungen von Anfang an berücksichtigen. Sie könnten das Lebenselixier für das neue, hippe Glanzstoffviertel werden, und vielleicht wird dann auch die studentische Kritik an der Stadt weniger, weil St. Pölten endlich nicht nur mehr von der Studierendenzahl, sondern auch vom Herzen her eine richtige Studentenstadt geworden ist.

STUDIEREN IN ST. PÖLTEN
• Fachhochschule St. Pölten, ca. 3.500 Studierende. Studiengänge in den Bereichen Medien, Digitale Technologien, Wirtschaft, Informatik, Bahntechnologie und Gesundheit.
• New Design University, ca. 600 Studierende. Studiengänge in den Bereichen Design, Technik und Business.
• Bertha von Suttner Privat-universität, ca. 100 Studierende. Studiengänge in den Bereichen Psychotherapie, Soziales, Pädagogik und Wirtschaft.

„DASS IN ST. PÖLTEN NICHTS LOS IST, ZÄHLE ICH ZU DEN URBAN LEGENDS“
St. Pölten zeigt sich gerne als Schul- und Studentenstadt. Schüler sieht man viele in St. Pöltens Zentrum, aber wie ist das mit den Studierenden? Erstreckt sich ihr Wirkungsbereich vorderhand zwischen Bahnhof und FH? Wir haben Jugendgemeinderat Gregor Unfried (SPÖ) gefragt, was die Stadtpolitik so im Austausch mit Studierenden unternimmt.

Gibt es seitens der Stadtpolitik eine Agenda für die Zielgruppe FH-Studenten, NDU ...?

Prinzipiell wird versucht, in St. Pölten beste Ausbildungsvoraussetzungen für Studierende zu schaffen. Mit dem neuen Campus bei der FH wird dieser Bereich auf ein neues, sehr hohes Niveau gehoben.
Steht man mit dieser Gruppe in Kontakt, gibt es ein aktives Zugehen?
Wir stehen durchaus mit der studentischen Szene in Kontakt. Studierende sorgen für viele Facetten im St. Pöltner Kunstbereich. Die NDU bespielt ja in der Wiener Straße einen Galerieraum und auch im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung haben sich Studenten sehr eindrucksvoll eingebracht. Gerade fand etwa hinter dem Bahnhof das Projekt North Side Gallery von Nord­rand Mobile Jugendarbeit statt, wo es um die Gestaltung der Mauern mit Graffitis gegangen ist, auch hier haben FH-Studenten mitgewirkt. Man kriegt sie schon wohin. Und so trifft man Studenten natürlich auch in der St. Pöltner Gastronomie und in den Veranstaltungsräumlichkeiten zum Diskurs.

Warum, glauben Sie, sind Studierende in der Stadt nicht wirklich sichtbar?

Empfinde ich nicht so. Vor Corona hatten wir das Beislfest, wo wir mit dem Bummelzug und extra Guides, wie etwa dem Hennes Beitl, Studenten von der FH in die Innenstadt gebracht haben. Obwohl das Wetter schlecht war, wurde die Aktion gut angenommen. Am Riemerplatz gab es dann ein großes Abschlussfest.
Ist aus Ihrer Sicht St. Pölten eine Stadt zum Leben auch für Studentinnen und Studenten? Und wenn ja, warum?
Auf jeden Fall, schon allein wegen der Natur und des kulturellen Angebotes. Von den Freizeitmöglichkeiten her spielt St. Pölten alle Stückerl. Auch die Beislszene ist gut, und wenn man wirklich eine riesengroße Party feiern will, Wien ist auch schnell erreichbar. Dass in St. Pölten nichts los ist, zähle ich übrigens zu den „urban legends“.
Wie holt man sie ab bzw. könnte die Politik sie abholen?
Vor dem Lockdown war eine Beisltour geplant, wo man Studierenden das gastronomische Angebot von St. Pölten näherbringen wollte, das konnte leider nicht durchgeführt werden. Aber die FH veranstaltet immer wieder Welcome-Feste. Die Gruppe der Studierenden ist ja nicht homogen, manche studieren berufsbegleitend, einige sind nur unter der Woche da und viele pendeln von Wien hierher. Die schnelle, öffentliche Anbindung in die Bundeshauptstadt ist dabei Fluch und Segen. Aber am Campus selbst, im Domus, geht es schon lebhaft zu.
Was kann ein Jugendgemeinderat bewirken?
Ich bin ja selbst erst einige Monate Jugendgemeinderat, möchte gerne die Beisltouren wieder aufleben lassen, wenn es coronabedingt geht.
Spielt das Potenzial von einigen tausend jungen Menschen in der Stadt eine Rolle?
Früher ist man zum Studieren nach Wien gegangen und dort auch geblieben. Aber ich sehe, dass zum Beispiel in meiner Generation viele, die in Wien studiert haben, jetzt wieder nach St. Pölten zurückkommen. Diesen Zwischenschritt zu vermeiden, wäre schön, aber da sind wir auf gutem Wege. Mit den SMARTUP Stipendien geben wir Studierenden die Möglichkeit, sich in der Wirtschaft zu etablieren. St. Pölten bietet auch viele Praktikumsmöglichkeiten für Studierende, gerade auch im sozialen Bereich in den verschiedenen Jugendzentren und -organisationen. Unser Ziel ist es, nach St. Pölten eine öffentliche Volluniversität zu bekommen, dafür setzt sich der Bürgermeister besonders ein, um den „Brain drain“ vermehrt hierher zu lenken. Die FH ist auch einer der größten Arbeitgeber in St. Pölten und ist international extrem anerkannt, hat viele internationale Kooperationen. Gerade im Bereich der IT-Security und Mobilität, also zukunftsorientierter Studienrichtungen, sind wir sehr gut aufgestellt.

Wie kann man diese Gruppe vielleicht zum hier Wohnen und Bleiben bewegen?

Wir haben in St. Pölten große Studentenwohnheime mit günstigen Mieten und auch WGs, hier kann man noch um einiges billiger wohnen als in Wien.