MFG - Trauriger Tiger toastet Tomaten
Trauriger Tiger toastet Tomaten


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St. Pöltens gute Seite

Trauriger Tiger toastet Tomaten

Text Corina Muzatko
Ausgabe 03/2017

Am 27. März macht die Wanderausstellung „Buchstäblich Anders“ in der Niederösterreichischen Landesbibliothek Station. Die Initiative „Zeit Punkt Lesen“ holt damit ausgefallene Alphabet-Bücher aus aller Welt nach St. Pölten. Wir sprachen mit Nicole Malina-Urbanz, Abteilungsleiterin für Leseförderung von „Zeit Punkt Lesen“, über die Hintergründe.

Was darf man sich von dieser Ausstellung erwarten?
Es handelt sich um eine Wanderausstellung, die in der Internationalen Jugendbibliothek in München zusammengestellt wurde. Es werden insgesamt 80 Bücher in 22 Sprachen zu bestaunen sein, wobei die Grundausstellung noch durch Werke der Niederösterreichischen Landesbibliothek erweitert wird. Egal ob Englisch, Spanisch, Französisch, Arabisch aber auch Koreanisch, es sind viele Sprachen quer durch die Welt vertreten. Es werden verschiedene ABC-Bücher, alle mit einem anderen Fokus, zu sehen sein. Einerseits gibt es klassische ABC-Bücher in verschiedenen Sprachen, andererseits Bücher mit Wortspielen, Wortreihen und Nonsens-Reimen wie zum Beispiel „Trauriger Tiger toastet Tomaten“. Das ist besonders witzig, wenn man sich die Ausstellung mit kleinen Kindern anschaut, diese finden daran großen Gefallen. Alphabetbücher haben viele Illustratoren dazu inspiriert sehr kreative Umgänge zu finden und es sind auch wirkliche Kunstbücher entstanden. Teilweise auch Pop-Up Bücher mit denen ganz neue und einzigartige Welten entstehen.

Die Bücher kommen ja aus aller Welt, sind in verschiedenen Sprachen verfasst – welche kulturellen Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten kann man finden?
Viele Gemeinsamkeiten! Besonders ist es, dass eben immer dieser kreative Umgang eingebaut wird. Egal um welche Sprache es sich handelt, es sind immer spielerische Elemente verankert. Diese sind natürlich kulturell geprägt, beispielsweise mit irgendwelchen Sprachwitzen, die vielleicht nicht eins zu eins ins Deutsche übersetzbar sind, aber in anderen Sprachwelten geflügelte Worte sind. Wovon wir auch überzeugt sind, ist die Vielfalt, das Gemeinsame und auch diese gemeinsame Vielfalt zu feiern, die wir ja auch hier in Österreich haben. Das Thema der Vielfalt und auch der sprachlichen Vielfalt ist in Österreich ja auch topaktuell. Wir haben bunte Klassen und dementsprechend auch viele Expertinnen und Experten für verschiedene Sprachen, die ja auch ihr Fachwissen bei der Ausstellung kundtun können.

Zu den Büchern der Ausstellung wird es auch begleitende Workshops geben?
Ja, wir erweitern die Ausstellung mit einer gestalterischen Ebene und vielen Mitmach-Stationen. Die Bücher werden nicht nur einfach im Regal stehen, sondern die Besucher-innen und Besucher werden auch dazu animiert, etwas damit zu tun. Es wird ein Schreiblabor geben, wo man selbst verschiedene Fantasiealphabete zusammenstellen kann. Bei den Workshops fahren wir eigentlich zwei Schienen. Es gibt eine klassische Schiene, die sich an Kindergärten und Schulklassen richtet. Es werden ganz bewusst auch Kindergärten angesprochen, weil lesen ja eigentlich nicht erst in der Schule beginnt, sondern ab der Geburt. Es geht auch sehr stark um das Vorlesen innerhalb der Familie und um das Lesen von Bildern, deshalb gibt es ja auch diese vielen Pappbilderbücher ab null Monaten. Und es wird zahlreiche öffentliche Workshops geben – zum Beispiel laden wir den Autor Willy Puchner ein oder Renate Habinger vom Kinderbuchhaus Schneiderhäusl. Und Renate Stockreiter, zugleich auch unsere Ausstellungsgestalterin und Künstlerin, wird sich mit Kindern ab dem Volksschulalter Fantasiealphabeten widmen.

Früher war Lesen ein haptisches Erlebnis – man hatte das Buch oder die Zeitung in der Hand, heute lesen wir auch am Tablet oder E-Reader. Manche sprechen vom Ende der Kulturtechnik.
Also wir finden, dass analoges und digitales Lesen gleich viel wert ist. Die Hauptsache ist doch, dass gelesen wird. Es ist noch nie so viel geschrieben und gelesen worden wie heute! Trotz aller Studien, die uns immer das Gegenteil beweisen wollen, trauen wir uns das zu behaupten. Das Lesen ist, wie alles andere auch, im Fluss, und es gibt kein gutes oder böses Lesen, sondern es spielt alles zusammen. Was jedoch unserer Meinung nach sehr wichtig ist, ist der kritische Umgang mit Quellen. Man sollte sich bewusst sein, woher Informationen kommen und inwieweit ihnen vertraut werden kann. Es ist nicht nur die Lesekompetenz die Schlüsselkompetenz, sondern auch die Medien- und Informationskompetenz sind essenziell!

Hat das digitale Zeitalter das Leseverhalten verändert?
Das Lesen geht oft nicht mehr so in die Tiefe. Wir haben heute jedoch das Glück, zumindest in Österreich, dass wir uns Informationen von überall ohne Zensur holen können, was ja nicht selbstverständlich ist. Zugleich wird die Informationsflut aber auch gefiltert, denn unsere Zeitressourcen sind immer knapper und man ist verleitet weniger in die Tiefe zu gehen. Es ist sehr wichtig sich Räume zu schaffen, wo man sich wieder vertiefen kann. Man liest anders, weil auch viel mehr Lesemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Wie bei jeder technologischen Veränderung gibt es einerseits große Chancen und andererseits muss man darauf achten, dass man auch Kritik an Quellen übt. Wenn alles verfügbar ist, muss man sich bewusst werden, dass man kritisch mit den Informationen umgehen muss und nicht nur einer Quelle blind vertrauen kann. Man sollte die Informationen mehrerer Quellen immer vergleichen und sich auch ein Bild über die Plausibilität machen.

Wer ist Ihrer Meinung nach verantwortlich für die Weitergabe des Kulturgutes Lesen an die nächsten Generationen?
Alle! – und ganz im Kern die Familie! Lesen und Bildung werden zu einem Teil vererbt, und wenn Zuhause viel gelesen und auch vorgelesen wird, wenn überhaupt Medien verfügbar sind – egal ob Bücher, Zeitschriften oder auch ein Tablet – wenn es einem vorgelebt wird, ist es viel einfacher auch Freude daran zu entwickeln.

Welchen Stellenwert hat Lesen für Sie ganz persönlich?
Für mich ist Lesen sehr essenziell – es ist einerseits Informationsgewinn aber auch Entspannung. Also wenn man sich mit einem Roman zurückziehen kann und einfach mal vom Alltag loslassen und sich in eine Geschichte vertiefen kann. Die Abenteuer im Kopf beim Lesen regen sehr die Fantasie an. Lesen ist die Schlüsselkompetenz, damit wir überhaupt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Vor allem wenn man es unter dem erweiterten Lesebegriff versteht, wird einem bewusst, wie wichtig Lesen ist. Wenn wir jetzt beispielsweise nach Japan kommen, würden und die Informationsschilder oder Verkehrstafeln nicht lesen könnten, wären wir aufgeschmissen.
"Analoges und digitales Lesen sind gleich viel wert, es gibt kein gutes oder böses Lesen!" Nicole Malina-Urbanz