MFG - DER FEINE UNTERSCHIED, DER KEINEN MACHT
DER FEINE UNTERSCHIED, DER KEINEN MACHT


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

DER FEINE UNTERSCHIED, DER KEINEN MACHT

Text Johannes Reichl
Ausgabe 11/2015

Seinen Galgenhumor hat Wellenstein-Wirt Tezcan Soylu schon wieder gefunden: „Ich hab am 4. November mein 20 Jahr Jubiläum als Wirt gefeiert – damals, 1995, hab ich das Mittendrin eröffnet. Jetzt hab ich ein besonderes ‚Geschenk‘ bekommen – das erste, wofür ich bezahlen muss.“

Und zwar einige tausend Euro. Soviel kostet ihm nämlich das Urteil und die Folgen, dass er den Markennamen „Wellenstein“ fortan nicht mehr – zumindest alleinstehend – führen darf. Der deutsche Bekleidungsriese Wellensteyn, auch in Österreich mittlerweile mit drei Stores vertreten, hat Soylu nämlich auf Unterlassung geklagt. „Ende März etwa ist die Darstellung ins Haus geflattert – samt Kassenbeleg. Da hat also jemand gründlich recherchiert und muss vorort gewesen sein.“ Im Vorfeld gesprochen hatte mit Soylu diesbezüglich niemand. Der Wirt, ebenso wie sein Anwalt, waren jedenfalls einigermaßen perplex: Wie konnte sich ein großer deutscher Textilkonzern, der sich noch dazu anders, nämlich mit Y schreibt, daran stoßen, dass ein Kaffeehaus im kleinen niederösterreichischen St. Pölten den vom Gebäude historisch hergeleiteten Namen „Wellenstein“ trägt? Einigermaßen zuversichtlich machte man sich daher auf den Instanzenweg – Bezirksgericht, Landesgericht ... schließlich landete der Fall nach jeweiligen Einsprüchen und Gegeneinsprüchen beim Obersten Gerichtshof. Und der gab in seiner Begründung dem Textilhersteller recht, der sich nämlich den Namen nicht nur in seiner Kernbranche, sondern auch für den Dienstleistungssektor europaweit hatte schützen lassen, wenn er dort bislang auch gar nicht tätig ist – schon gar nicht in der Gastronomie. „Letztlich stieß man sich v.a. an der möglichen Verwechselbarkeit im Internet sowie dem Umstand, dass es akustisch ausgesprochen keinen Unterschied zwischen Wellenstein und Wellensteyn gibt!“ Stellt sich nur die Frage, wann es zu einer solchen Verwechslung überhaupt kommen könnte, denn Soylu hegt keinerlei Ambition, sein Kaffeehaus als Marke weiter hinauszutragen oder zu expandieren. Den Richtern wars egal. Was bleibt ist Ernüchterung. „Das ist mir zwar noch nie passiert, aber so ist es nun mal.“ Doppelt ärgerlich, weil Soylu vor Eröffnung des Lokales lange überlegt hatte, ob er es „Café im Palais Wellenstein“ nennen soll oder nur „Wellenstein“. „Letztlich hab ich mich damals fürs prägnantere Wellenstein entschieden. Wir haben damals auch recherchiert, ob es ein gleichnamiges Lokal in Österreich gibt.“ Dass er mit einem deutschen Bekleidungsriesen in Streit geraten könnte, so weit ging Soylus Fantasie hingegen nicht. „Jetzt muss ich halt Lehrgeld bezahlen.“ Angesichts des Umstandes, dass sich das Wellenstein gerade gut etabliert hat, ein herber, v.a. finanzieller Rückschlag. „Natürlich ist das eine Watschen. Aber ich habs 20 Jahre geschafft keinen Konkurs zu bauen, und ich werde auch das überleben“, so Soylu. Die Folgen werden sich jedenfalls sukzessive bemerkbar machen. Auf Facebook wurde der Name schon auf Café im Palais Wellenstein ausgebessert, Soylu muss den gesamten Auftritt – Häferl, Gläser, Verpackungen, Speisekarten, Zünder etc. – einstampfen und neu gestalten. Wie er nach außen auftritt, also ob es dem Urteilsspruch entspricht, dafür holt er sich fortan immer eine Zusage ein. Mit einem zynischen Lächeln meint er abschließend: „Da kann ich mir wohl in naher Zukunft keinen fetten Mercedes kaufen, sondern nur einen BMW ...“ Was er definitiv in Zukunft „nicht kaufen wird“, sind Jacken, Mützen, Schuhe, Pullis etc. der Marke Wellensteyn. Viele Gäste werden es ihm wohl gleichtun ...