MFG - Politische Stilblüten
Politische Stilblüten


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St. Pöltens gute Seite

Politische Stilblüten

Text Michael Käfer
Ausgabe 03/2013

Die Schattenfigur des Landeshauptmannes und ein alternder Millionär beherrschten heuer den NÖ Wahlkampf. Mehr noch als das Ergebnis, wird der Stil, mit dem dieser Wahlkampf geführt wurde, in Erinnerung bleiben. Eine Rückschau auf der Suche nach gegenseitigem Respekt.

Wir sind hier unerwünscht, weil wir politisch noch nicht stubenrein sind.“ Ein Satz der nicht etwa einem Kabarettprogramm entspringt, sondern zu Wahlkampfbeginn die Eingangstüre zum FP-Klub zierte. Gemeint waren die Grünen, ein Foto von Klubobfrau Madeleine Petrovic verdeutlichte die Botschaft. Ein deftiger Auftakt also, der die Latte für das noch Kommende bereits tief ansetzte. Die Reaktionen auf derlei Vorkommnisse sind berechenbar: Kurze öffentliche Empörung seitens der Medien, abschätzendes Kopfschütteln vom politischen Gegner und Applaus von der Klientel, die sich davon angesprochen fühlt. Der gemeine (Noch-)Wähler bleibt zurück mit einem Gefühl der leichten Irritation. Steht dieses Beispiel repräsentativ für den allgemeinen Stil, der mittlerweile in der Politik Einzug gehalten hat, oder sind diese Aussagen in Wahlkampfzeiten relativ zu sehen? Gottfried Waldhäusl, Klubchef der niederösterreichischen FP, meint jedenfalls: „Unser Stil ändert sich nicht, nur weil Wahlkampf ist.“ Heißt also, dass die aggressive Rhetorik auch außerhalb der Wahlkampfzeiten verankert ist. Das Bewusstsein für diverse Untergriffigkeiten scheint jedenfalls vorhanden zu sein. Die Schuld liegt jedoch bei den anderen. Gegenüber ORF NÖ sprach ÖVP Geschäftsführer Gerhard Karner beispielsweise vom „schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten.“ SPÖ-Spitzenkandidat Sepp Leitner meinte im „Presse“-Chat: „Das politische Klima ist durch Landeshauptmann Pröll und mittlerweile auch Frank Stronach sehr vergiftet. Die beiden Herren unterhalten sich über die Vergangenheit kombiniert mit permanenten Untergriffen und Beschimpfungen.“ Die Einschätzungen des jeweils anderen stehen also in krassem Gegensatz zur Beschreibung des eigenen Stils, der zumeist als sachlich und konstruktiv empfunden wird.
Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Wie kommt es, dass sämtliche Parteien ihren Stil im Wahlkampf nicht nur als sauber und fair bezeichnen, sondern sich auch einen ebensolchen wünschen, gleichzeitig aber allerorts, auch von den Parteien, über das Niveau lamentiert wird? Es scheint eine erhebliche Diskrepanz zu bestehen zwischen der Fähigkeit den Gegner zu attackieren und der Fähigkeit, seinerseits Attacken auf einer sachlichen Ebene zu verarbeiten. Der Landesgeschäftsführer der SPÖ, Günter Steindl, meint jedenfalls, dass es möglich sein sollte, in einer Demokratie Fragen zu stellen. Dabei bezog er sich auf die „Schattenplakate“, die den Schatten Erwin Prölls zeigten und mit der Frage „Zu viel Macht in einer Hand. Ist das gut für Niederösterreich?“ warben. Der angesprochene reagierte in Form einer Gegenaktion, geführt von der JVP. Das selbe Plakat, nur diesmal war der Inhalt gegen die SPÖ gerichtet. Markus Krempl für die Junge VP: „Die SPÖ NÖ plakatiert seit Anfang Jänner eine Schattenfigur des Landeshauptmanns und stellt grobe Anschuldigungen in den Raum. Alles kann man nicht unkommentiert stehen lassen, das war die Retourkutsche.“
Eine Trennung zwischen sachlicher und persönlicher Kritik scheint hier nicht möglich zu sein, was auch daran liegen mag, dass gerade der niederösterreichische Wahlkampf stark auf (zwei) Personen zentriert war,
andere Themen hatten, abgesehen von den Spekulationsvorwürfen, kaum eine Chance. Die Plakatlandschaft in St. Pölten vermittelte den Eindruck, dass die beiden Hauptprotagonisten Pröll und Stronach heißen. Ein Duell, das ähnlich glaubhaft ist, wie damals Häupl gegen Strache. So meinte auch Petrovic: „Die ÖVP instrumentalisiert dieses Duell, das es in dieser Form ja gar nicht gibt, wenn man sich die Umfragewerte anschaut. Das ist Schattenfechten, machtpolitisches Kalkül steht im Vordergrund.“
Auch medial verkaufte sich dieses Duell natürlich besser. Sachthemen werden von den Medien entweder nicht aufgegriffen, oder von den Parteien nicht nachhaltig genug vertreten. In diversen Zeitungen wie der Presse, dem Format oder Standard kam in einem Atemzug mit Berichten über den Wahlkampf der Stil zur Sprache, mit dem dieser geführt wurde. Auch in der sogenannten „Elefantenrunde“ im ORF war einer der Punkte der Stil, mit dem auf Plakaten und in Zeitungen für die eigene Position geworben wurde. Angesprochen auf den von der FPÖ getätigten Vergleich zwischen Pröll und dem nordkoreanischen Diktator, fand Rosenkranz nichts Verwerfliches, der Vergleich sei lediglich „zugespitzt“.
Wahlkampf der Argumente
Natürlich steht zur Debatte, inwiefern gerade im Wahlkampf durch sachliche Argumente beeindruckt werden kann. Plakate bieten keinen Raum für ausschweifende Diskurse und die TV Konfrontationen leben, wie man schon an ihrem Namen erkennt, von knackigen Aussagen und der künstlich herbeigeführten Duell-Situation. Doch wie sollte ein Wahlkampf geführt werden? Eine klare Trennung persönlich-emotionaler von sachlicher Kritik scheint vonnöten. Thomas Schäfer-Elmayer plädiert für eine Neuausrichtung von Stil und Anstand in der Politik [siehe Kasten]. Jedenfalls muss es möglich sein, sachliche Kritik vorzubringen ohne auf die persönliche Ebene zu gehen. 
Am Beispiel der Wohnbauförderungen zeigte sich dies sehr gut. Petrovic dazu: „Darauf hinzuweisen, dass durch Spekulationen in Niederösterreich Milliardenbeträge verspielt wurden, sehe ich nicht als persönlichen Angriff oder Schmutzkübelkampagne, sondern als harten Vorwurf“. Überhaupt schienen die Spekulationsgeschäfte das einzige Sachthema zu sein, das es öffentlichkeitswirksam in die Medien schaffte. Neben dem bloßen Vorwurf braucht es natürlich auch eine entsprechende Beweislast – die mag es geben – sie schaffte es aber aus diversen Gründen nicht an die Oberfläche. Es blieb beim Vorwurf, der strategisch kalkuliert rechtzeitig zur Wahl wieder aufgewärmt wurde, wie viel davon jetzt, nach der Wahl, im tagespolitischen Geschäft behandelt wird, bleibt abzuwarten.
Zugeben möchte das freilich keiner. Angesprochen auf den eigenen Wahlkampf beschreiben ihn die Parteien als durchwegs positiv und an Sachthemen orientiert. Walter Rettmoser, Pressesprecher von Team Stronach, meint: „Unser Stil orientiert sich an unseren Werten ,Wahrheit Transparenz und Fairness‘ und verpflichtet sich der Sachpolitik.“ Dem gegenüber stand ein zu 100 Prozent auf die Person Frank Stronach fokussierter Wahlkampf, dessen aufschlussreichste Erkenntnis die Entlarvung Erwin Prölls als „Schmähtandler“ zu sein schien. Diese Beispiele lassen sich fortführen, so spricht beispielsweise Steindl: „Wir halten nichts von unsachlichen Streitereien und untergriffigen Beschimpfungen. Ein respektvoller Umgang mit politischen Mitbewerbern und Andersdenkenden ist uns wichtiger als parteipolitisches Geplänkel.“
Inszenierte Empörung
Ein guter Vorsatz also, der in regelmäßigen Abständen durch die Praxis widerlegt wird. Vieles scheint gerade im Wahlkampf inszeniert. Themen werden selten um ihrer selbst Willen aufs Tapet gebracht, sondern um möglichst große öffentliche Wirkung zu erzielen. So tauchten die Spekulationsvorwürfe rund um die niederösterreichische Wohnbauförderung seit 2003 mit einer derartigen Kontinuität auf, dass es ans Absurde grenzt. Dass es ein derart wichtiges Thema nur in Wahlkampfzeiten an die Öffentlichkeit schafft, spricht für sich. Überhaupt scheint der Umgang der Parteien (und Politiker) untereinander zu größten Teilen inszeniert. Einerseits durch die Auslagerung und damit einhergehenden Professionalisierung der Wahlkampagnen, und andererseits durch diverse Rhetorikkurse der Politiker selbst. Das führt auch dazu, dass es vor dem Wahlkampf teils nicht möglich war, Statements zum generellen Stil in der Politik zu bekommen. So ließ Martin Brandl, Pressesprecher der ÖVP Niederösterreich, wissen: „Wir stehen gerne für ein Interview nach der Wahlentscheidung am 3. März bereit. Schon jetzt Statements abzugeben, die erst nach der Wahl veröffentlicht werden und wo noch nicht einmal ein Ausgang bekannt ist, halten wir nicht für zielführend.“ Was der Ausgang der Wahl mit einem konkreten Statement zum politischen Stil währenddessen zu tun hat, bleibt unbeantwortet.
Dies alles trägt dazu bei, dass Inhalt in Wahlkampfzeiten in den Hintergrund tritt. Wie es um den gegenseitigen Respekt der Politiker bestellt ist, zeigen die diversen Rhetoriken allerdings gut. Im Grunde muss es möglich sein in Wahlkampfzeiten Diskurse zu führen und den Gegner zu kritisieren, ohne dabei in einen von persönlichen und parteilichen Befindlichkeiten geprägten Stil zu verfallen. Wie der heurige Wahlkampf gezeigt hat, scheint es noch ein langer Weg zu sein, bis wir „Stubenreinheit“ auch in der Politik als Selbstverständlichkeit betrachten können. ALLES EINE FRAGE DER MORAL?
Ist im Wahlkampf eigentlich alles erlaubt oder gibt es auch verbindliche Spielregeln? MFG sprach mit Univ.-Prof. Herlinde Pauer-Studer, die sich in Publikationen mit Fragen der Ethik und Politischen Philosophie auseinandergesetzt hat.
Was ist politische Ethik eigentlich? Mit welchen ethischen Begriffen werden politische Debatten unserer Zeit beschrieben?
Man unterscheidet die persönliche Ethik von der politischen Ethik. Die persönliche Ethik beschäftigt sich mit korrektem Verhalten und moralischen Standards für Einzelpersonen. Verhält sich jemand falsch, etwa beleidigend oder diffamierend, dann muss er mit Sanktionen durch andere rechnen – etwa Kritik oder Ablehnung.  Die politische Ethik beschäftigt sich mit den Grundstrukturen des Staates und der gesellschaftlichen Institutionen. Auf staatlicher Ebene geht es um Rechte und Gesetze.
Was bedeutet das für die Praxis?
Die politische Ethik fragt z. B. nach der Gerechtigkeit, sofern sie öffentliche Institutionen wie Parteien betrifft. Parteien haben sowohl gesetzliche wie ethische Standards zu beachten, die ja auch im zwischenmenschlichen Bereich gelten, wie Respekt vor der Person und den Rechten anderer. In einer Demokratie vertreten verschiedene Parteien unterschiedliche Positionen. Trotz unterschiedlicher politischer Ziele sollten aber gewisse ethische Standards eingehalten werden. Macht sollte nicht zum Selbstzweck werden, eine gewisse Selbstkontrolle sollte nicht von überheblich-arrogantem Wahlkampfverhalten außer Kraft gesetzt werden.
Gibt es Normen und Handlungsrichtlinien, die Ethiker Politikern diesbezüglich anbieten können?
Manchmal täte es gut, wenn sich Österreichs führende Politiker gemeinsam für ein Wochenende ins Waldviertel zurückziehen – mit der einzigen Aufgabe zu lesen, was etwa Rousseau oder Kant über den Gesellschaftsvertrag schreiben. Teils haben sie die Grundprinzipien unserer Gesellschaftsordnung vergessen. Österreich ist eine Republik, in der alle gleich sind und gemeinsam ihre politischen Vertreter wählen. Die politischen Repräsentanten haben einen Auftrag und eine Rechtfertigungspflicht gegenüber der Bevölkerung.
Haben Sie diverse Wahlplakate aus dem niederösterreichischen Wahlkampf gesehen, die rein auf Diffamierung des Gegners abzielen ohne  konkrete Inhalte?
Nein, aber mir sind ähnliche Plakate aus anderen Wahlkämpfen bekannt. Es ist für mich ein wesentlicher Punkt, dass in Österreich die hohen Kosten, die Wahlkämpfe verursachen, mit öffentlichen Geldern getragen werden. Die Steuerzahler bezahlen die existierende Parteienvielfalt! Ich sehe das durchaus positiv – in den USA finanzieren oft einzelne Firmen oder Personen den Wahlkampf, in Österreich beteiligen sich alle. Daraus folgt aber eine Verantwortung und Rechtfertigungspflicht der politischen Parteien gegenüber der Öffentlichkeit. Polemik ohne sachliche Information ist kein verantwortungsvoller Umgang mit Wahlkampfbudgets – die Parteien vergessen in der Hitze des Wahlkampfs oft auf diese Verpflichtung. Auch der Bundespräsident hat die Parteien bereits abgemahnt.
Kann man diese Art von Wahlkampf überhaupt noch ethisch bewerten?
Schon im Alltag kann man reine Beleidigungen ethisch schwer rechtfertigen, auf öffentlicher Ebene ist das noch einmal schwieriger. Man muss auch die Vorbildwirkung berücksichtigen - ein respektvolleres Niveau wäre wünschenswert. Man sollte über Gesetze nachdenken, die gewisse Grenzen ziehen.
Hat diese Art der Wahlwerbung Tradition?
Nein. Es gab auch Wahlkämpfe, die mit Inhalten und Argumenten geführt wurden. In Österreich ist das Niveau in den letzten 20 Jahren deutlich gesunken.
Warum steht die Konkurrenz zwischen Parteien im Vordergrund und nicht die Kooperation?
Es geht um Machterhaltung, Wählerstimmen und Geld. Langfristig ist Kooperation auf privater wie auf öffentlicher Ebene für alle besser als Egoismus und die bedingungslose Verfolgung von Eigeninteressen.

IHR MÜSSTS AUCH EINMAL EIN BISSERL BRAV SEIN!
MFG sprach mit „Benimmpapst“ und Coach Thomas Schäfer-Elmayer über Etikette in der Politik und die Frage, ob im Wahlkampf wirklich alles erlaubt ist?
Herr Schäfer-Elmayer, Sie waren vor einigen Jahren Testimonial für die Werbekampagne einer Tageszeitung. Wahlspruch war: Mehr Anstand im Land! Wurde das Ziel erreicht?
Die Kampagne war ja wie gesagt eine Werbekampagne. Ich selbst habe nicht den Eindruck, dass in der Politik wirklich mehr Anstand oder Stil eingekehrt ist. Aber ich habe durch die jüngsten Korruptionsfälle eine gewisse Hoffnung, dass wir dort mehr Disziplin und Zurückhaltung erleben werden.
Was ist der Grund für Untergriffigkeiten wie wir sie beispielsweise heuer in Niederösterreich erlebt haben?
Im Wahlkampf, nicht nur bei uns, sondern international, sind die Töne deutlich rauher geworden. Was ich aber bisher auf den Plakaten gesehen habe, sind das nicht unbedingt Unhöflichkeiten, die dem anderen da vorgeworfen werden und haben daher weniger mit Etikette zu tun. Bei vielen Konfrontationen werden Untergriffe natürlich gezielt strategisch gesetzt. Manche Wortwahl kann hier durch Etikette beeinflusst werden, das Grundprinzip wird sich aber nicht ändern lassen.
Wie sehr zählt Inhalt in der Wahlkonfrontation? Wie wichtig ist Inszenierung?
Es kommt oft viel mehr auf die Körpersprache an, als auf die Worte selber. Wie jemand lächelt, schaut und sich bewegt steht im Vordergrund. Es kommt ganz stark auf die Ausstrahlung an. Den Spagat zwischen der aggressiven Rhetorik in der Diskussion und dem persönlichen Umgang miteinander schaffen einige Politiker ja erstaunlich gut. Öffentlich befetzen sie sich auf das Schärfste und hinterher gehen sie auf ein Bier miteinander und haben das gar nicht so ernst gemeint.
Stichwort Benimmtraining für Politiker, wird so etwas angeboten?
Benimmtrainings gibt es ja für alle Berufsgruppen und die sind immer sehr ähnlich mit verschiedenen Schwerpunkten. Ich selbst hatte schon Politker von den unterschiedlichsten Parteien, es könnten aber natürlich noch viel mehr sein.
Wie könnte ein optimaler Wahlkampf unter Einhaltung gewisser Anstandsgrenzen aussehen?
Der optimale Wahlkampf sollte sachlich, fair und konstruktiv sein, dass man wirklich versucht Dinge zu verbessern und nicht anzuprangern.
Der ideale Politiker?
Sollte ein wirkliches Vorbild sein, der nicht durch persönliche oder parteiliche Interessen gesteuert ist. Ein Idealist eigentlich.