MFG - Über den Wolken
Über den Wolken


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Über den Wolken

Text Johannes Reichl
Ausgabe 05/2007

So ein Kulturmanager hat’s auch nicht leicht. Wir „nerven“ Johannes Neubert gegen 18 Uhr in seinem Hotelzimmer in London. Sein Terminplan ist so rappelvoll, dass uns nur mehr dieser Weg bleibt. „Plaudern wir übers Festnetz, weil am Handy hoffe ich auf einen Anruf vom Flughafen – mein Gepäck ist nicht angekommen! Ich hab nur das, was ich am Körper trag, bei mir“, seufzt er und fügt hinzu. „Und morgen muss ich nach Dubrovnik weiter. Wenn die bis heute das Gepäck nicht finden, dann seh ich schwarz.“

Freilich, ein Schwarzseher ist der gebürtige Deutsche mit Wohnadresse Wien  keinesfalls. Die Tonkünstler Niederösterreich, heuer 100 Jahre jung, sind unter seiner Ägide flott fürs 21. Jahrhundert gemacht worden, und nun hat man ihm Niederösterreichs derzeit wohl prestigeträchtigstes Kulturprojekt anvertraut: Grafenegg. Um 25 Millionen wird dort nicht nur ein neuer Veranstaltungssaal neben der alten Reitschule gebaut, sondern auch eine Freiluftarena namens „Wolkenturm“, wo über die Sommermonate auch das „Musik-Festival Grafenegg“ über die Bühne geht. Was das „ambitionierte bis größenwahnsinnige Projekt“ (in etwa diesem Spektrum umreißen Insider das Projekt) wirklich wird,  dazu befragten wir den künstlerischen Geschäftsführer himself.
Was ist eigentlich ein künstlerischer Geschäftsführer, wie ihr Titel ja offiziell lautet? Immerhin gibt es mit Rudolf Buchbinder ja einen künstlerischen Leiter.
(lacht) Fragen Sie mich etwas Besseres. Das rührt noch von meiner Zeit her, als ich die Tonkünstler übernommen hab  – da stand dieser Titel in der Ausschreibung. Das hab ich sozusagen mitübernommen. Aber eigentlich hab ich darüber nie nachgedacht. Vielleicht war der Ansatz so gemeint, dass im Falle der Tonkünstler der Chefdirigent ja nicht alles abdecken kann, sozusagen ein Stückerl Künstlerisches für den Geschäftsführer überbleibt, deshalb der Terminus. Bei Grafenegg hingegen ist das nicht gegeben, da gibt es ja den Festivalleiter. Am besten, Sie nennen mich also einfach Geschäftsführer.
Wie ist eigentlich das Projekt Grafenegg ins Rollen gekommen. Da kursieren ja verschiedenste Gerüchte bis hin zur Behauptung, es sei eine Kopfgeburt des Landeshauptmannes selbst gewesen.
Eigentlich muss man von einem Tonkünstler-Prozess sprechen, weil das Orchester, die Musiker den Anstoß zum Projekt gegeben haben. Früher musizierten diese ja in Krems im Stadtsaal. Der war aber sehr klein und ungeeignet. Die Tonkünstler – ein Symphonieorchester – konnten nicht einmal das ganze Repertoire spielen, sondern nur in kleiner Besetzung auftreten, etwa nur mit der Hälfte der Streicher. Zudem war die Akustik schlecht. Deshalb begannen wir auch Konzerte in der Reitschule Grafenegg durchzuführen, bis wir für die Region überhaupt dorthin gewechselt sind. Aber auch die alte Reitschule ist nicht ideal, weshalb der Wunsch laut wurde, hier für die Abonnement-Konzerte einen entsprechenden Rahmen zu schaffen.
Gleichzeitig -  mit dieser Idee im Kopf - entstand auch die Vision, für die Tonkünstler eine Sommerresidenz zu schaffen, weil die Residenz Festspielhaus ja über den Sommer geschlossen ist und in dieser Zeit auch keine anderen Abo-Konzerte stattfinden. Es gab zwar andere Projekte wie Reinsberg, Allegro Vivo etc., aber nichts, das dem Charakter der Tonkünstler als Symphonieorchester gerecht geworden wäre.
Schließlich, und damit kommen wir zum Festival, soll dieses zudem ein Aushängeschild für die Tonkünstler sein, wofür Buchbinder das Programm kreiert hat.
A Propos Buchbinder. Warum ist die Wahl gerade auf ihn gefallen? Es ist ja nicht so, dass der Klaviervirtuose und Dirigent große Festivalerfahrung besitzt?
Nun, man hat für diese Aufgabe jemanden gesucht, der internationales Renommee genießt, der in der österreichischen künstlerischen Szene fest verankert ist, nicht zuletzt jemanden, der kraft seines Alters, seiner Ausstrahlung und seiner Persönlichkeit auch als eine Art Trademark für das Festival fungieren kann. Hierfür konnte keine bessere Wahl getroffen werden. Buchbinder ist ein absoluter Vollprofi. Ich kenne wirklich wenige Künstler, die es soweit gebracht haben, wie er.
Unter der Hand haben Vertreter anderer Institutionen des Landes, auch solche der gemeinsamen NÖKU-Familie, Bedenken geäußert, dass die Realisierung Grafeneggs indirekt auf Kosten ihrer Häuser gehen könnte? Was ist dran bzw. beschäftigt Sie das überhaupt?
Nun, ich kann nicht für die kulturpolitischen Entscheidungsträger sprechen, aber es war – abgesehen vom Festival – schon lange Wille, Grafenegg aus zuvor erwähnten Gründen als Standort auszubauen, um so dem Orchester in dieser Region eine Zukunft und einen repräsentativen Rahmen für die Abokonzerte zu sichern.
Und der Landeshauptmann hat im Zuge der ersten Pressekonferenz explizit darauf hingewiesen, dass die Realisierung der Projekte in Grafenegg nicht auf Kosten der anderen Häuser gehen wird. Deswegen findet das Festival ja etwa auch im Sommer statt, um bestehende Institutionen nicht zu konkurrenzieren.
Mit wieviel Budget ist das Festival eigentlich dotiert? Sind Sie damit zufrieden? Für gewöhnlich stimmen Festivalleiter ja gern das „Lied von zu wenig Geld“ an.
Für das Festival bekommt die Grafenegg Kulturbetriebsges.m.b.H. 1,5 Millionen Euro an Förderung, was ich für angemessen halte. Wir werden damit ein qualitativ hochwertiges Programm zusammenstellen, das ist eine Selbstverständlichkeit. Auch für 2008 wird uns da noch eine ganze Menge gelingen. Ich bin nicht unzufrieden.
Gibt’s eigentlich irgendwelche Vorgaben seitens der NÖKU, wie hoch die Auslastung sein muss oder prinzipiell Druck, dass Grafenegg quasi von Beginn weg ein Erfolg sein MUSS, oder lässt man euch da Anlaufzeit?
Wir haben selbst den Ehrgeiz, dass wir von Beginn an reüssieren und im Hinblick auf die zur Verfügung gestellten Mittel auch so etwas wie eine Verpflichtung. Einnahmenseitig sollte dies auch durchaus zu schaffen sein. Wir vom Management sowie die Künstler wünschen uns jedenfalls, dass die Veranstaltungen vor gut gefüllten Rängen vonstatten gehen – bei rund 1670 Sitzplätzen sicher keine leichte Aufgabe, aber wir sind optimistisch. Schon jetzt sind einige Konzerte praktisch ausverkauft.
Unsere primäre Aufgabe ist es, in einer ersten Phase den Standort an sich und das Festival von Rudolf Buchbinder im besonderen auf einer hochqualitativen Ebene zu positionieren.
Langfristig ist zudem die Bauentwicklung mitzuberücksichtigen, weil ja völlig neue Größenverhältnisse entstehen. Da ergeben sich für die Zukunft neue Perspektiven, die man natürlich schon jetzt mitbedenken muss. Das ist ein Quantensprung in eine neue Dimension. Früher haben die Tonkünstler hier vor fünf-, sechshundert Leuten unter nicht idealen Bedingungen gespielt. Da gabs oft platzmäßig Engpässe, im August mussten die Musiker bei 42 Grad im Konzertsaal spielen. Die Bühne war viel zu klein. Mit Frühjahr 2008 beginnt im Hinblick auf die Realisierung des neuen Konzertsaals eine neue Ära!
Nun sind die Leute ja unbescheiden. Schon geht die Rede von einem neuen Festivalstandort Marke Salzburger oder Bregenzer Festspiele. Ist das realistisch – auch programmatisch betrachtet? Worin unterscheidet sich Grafenegg überhaupt von anderen Festivals?
Der Vergleich mit Bregenz oder Salzburg ist in keiner Weise angebracht. Beide Festivals bestehen seit Jahrzehnten, beide haben ein Vielfaches an Budget, zudem ist gerade in Salzburg etwa der Hauptfokus auf Theater und Oper gerichtet, wo man wirkliche Akzente setzt. Konzerte hingegen laufen dort sozusagen im Zusatzprogramm. In Grafenegg hingegen sind die Konzerte das Entscheidende!
Erscheint es nicht ein bisserl altbacken, ein neues Festival zu kreieren und dann ausschließlich auf vermeintlich klassisches Repertoire zu setzen? Wo liegt das Unverwechselbare?
Das Besondere ist dabei die Location an sich, das Ineinander von Schloss, Natur und Kunst - das ist auch der bewusste Grundansatz des Gesamtkonzeptes: Wir wollen die Leute aus dem Konzertsaal rausholen. Die Kunst soll weg vom Rituellen, vom vermeintlich Elitären, soll nahbarer werden.
Wir stellen uns das eher so vor wie es Vorbilder im angloamerikanischen Raum vorexerzieren, etwa in Boston oder Los Angeles. Dort haben die großen Klangkörper auch Sommerresidenzen, etwa in der Los Angelas Hollywood Bowl. Das ist erfrischend!
Zudem setzt auch das Einführungsprogramm mutige Akzente. So haben wir mit Penderecki einen composer in Residence, der u. a. auch Neukomponiertes uraufführen wird.
Außerdem machen wir einen Sommernachtstraum in völlig neuem Kontext, wofür Franzobel einen Text schreibt.
Parallel dazu fahren wir die Konzertschiene „Prelude“, die im Preis für das „Hauptkonzert“ inkludiert ist.
Letztlich geht es um ein ganzheitliches Erlebnis. Vielleicht vorher ein Picknick im Park, mit Blick aufs Schloss, dann genehmigt man sich ein Glaserl Wein aus der Region und genießt anschließend eine Symphonie. Ein Slogan lautet nicht umsonst „Symphonie der Sonne“.
Sie haben den Park erwähnt. Die Reitschule wird neu gebaut, der Wolkenturm sticht hervor. Welche Rolle spielt in diesem Kontext eigentlich die Architektur, diese Spannung zwischen alt und neu?
Der Wolkenturm ist natürlich ein wichtiges Element, auch im Sinne eines unverwechselbaren Icons für Grafenegg. Prinzipiell muss man feststellen, dass wir mit den modernen architektonischen Akzenten nur das weiterführen, was Grafenegg immer ausgemacht hat – die Vielfalt der Stile. So stammen ursprüngliche Teile des Schlosses aus dem 14./15. Jahrhundert, weitere kann man dem Barock, dem Biedermeier und schließlich dem Historismus zuordnen. Es gab also immer wieder neue Ergänzungen. Wir führen das mit einer gegenwärtigen architektonischen Sprache fort.
Eine Befürchtung war auch die Infrastruktur rund um Grafenegg, dass dise etwa im Bereich der Beherbergung nicht so rasch mitwächst. Wie zufrieden sind Sie?
Das ist noch zu früh zu beurteilen. Alles muss ineinandergreifen. Beim Konzertsaal verfolgt man ja auch ein Mischkonzept, das heißt, er soll zudem als Raum für andere Veranstaltungen, genutzt werden. Auch andere Genres sollen hier passieren, Fremdveranstalter können sich einmieten.
Im Grunde genommen geht es um ein wechselseitiges Miteinader. Die Gastro ist sicher nicht das Problem, während die Bettenkapazität ohne Zweifel Entwicklungspotential hat. Aber das ist ja umgekehrt auch ein Ansatz des Gesamtprojektes, nämlich der regionalen Wirtschaft zu nutzen, etwas in Bewegung zu setzen.
Sie haben die Tonkünstler vom alten Mief befreit, ziehen jetzt Grafenegg auf. Was kommt als nächstes?
Mit St. Pölten und Grafenegg haben wir für die Tonkünstler jetzt eine solide Basis.
Die Eröffnung des Festspielhauses in St. Pölten war der wichtigste Schritt überhaupt, weil das Landesorchester damit im Bundesland selbst seinen fixen Standort bekommen hat. Das war ja ein Grundgedanke, quasi weg von Wien hinein ins Bundesland, wo sich ein Großteil der Konzerttätigkeit abspielt, um hier eine stärkere Identifikation für Bundesland wie Orchester gleichermaßen zu erreichen. St. Pölten war so betrachtet ein Quantensprung.
Ein ebensolcher ist auch Grafenegg, weil das Orchester jetzt zusätzlich ein internationales Schaufenster erhält, hier in einem Atemzug mit internationalen Gastorchestern spielt – das ist eine Riesenherausforderung, welche die Musiker zu 100% annehmen. Zugleich bedeutet es einen großen Entwicklungsschub!
Dieses Orchester ist schon jetzt um vieles besser, als es manche – die es noch nie gehört haben – glauben. Qualitativ ist es im europäischen Maßstab auf einem sehr guten Level. Wir haben aber den Ehrgeiz, zur Elite Europas aufzuschließen. Wo steht geschrieben, dass ein berühmtes Orchester immer aus einer großen Stadt kommen muss?! Ich denk da an Vorbilder wie etwa die Bamberger Symphonie. Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch schaffen können!