MFG - Die Legende lebt
Die Legende lebt


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Die Legende lebt

Text Johannes Reichl
Ausgabe 12/2007

Ich kann mich noch gut erinnern. „676 731 Mr., Mr., Mr. Udo Huber“ Die Großen Zehn, die ORF-Chartshow der 80’er Jahre, im Fernsehen. Udo Huber im weißen Overall, umringt von tanzenden Teenies in ebenso abstrusen Klamotten. Schwenk in die Discoarena – 3.000 Kids, die Party feiern. Und dann war da ein Schuss Neid, weil meine älteren Geschwister dort waren, während ich als Junggemüse mit der Mattscheibe vorlieb nehmen musste. Als ich dann selbst ins „Fortgehalter“ kam, war sie bereits Geschichte - die FABRIK. Und heute ist sie eine Legende.

„Was, du warst nie dort?“ Wenn man gesteht, ein Post-FABRIK-Mensch zu sein – quasi ein Nachgeborener – erntet man von jenen, die im wahrsten Sinne live dabei waren nur ein ungläubiges Kopfschütteln. Anschließend folgt ein mildes Lächeln mit einem Zug Mitleid um die Lippen. Da kommt man sich sogar als Mitdreißiger wie ein armes Hascherl vor. Nun weiß man natürlich, dass die eigene Jugendzeit gern schöngemalt wird, und das räumt auch Chris Müllner, der sich selbst als 2. Generation der FABRIK-Geher bezeichnet und einige Jahre dort auch jobte, ein: „Natürlich glorifizieren wir in wohl auch ein bisschen.“ Andererseits fügt er voll Überzeugung hinzu: „Aber wenn die FABRIK heut wieder aufsperren würd, wär ich der erste, der sofort wieder draußen ist.“ Auch SEGAFREDO Chef Christian Hautz, per Selbstdefinition „Fabrikgast der ersten Stunde! Das weiß ich, weil ich 1983 sechzehn geworden bin“, gesteht, den Blick gedankenverloren irgendwo in die good old times gewandt: „Das war eine der schönsten Zeiten meines Lebens!“ Attitüde? Mitnichten. Man glaubt es den Herren aufs Wort, ja, man fühlt ihre Sehnsucht richtiggehend, und so kann man auch Richie Ferkschneider, ebenfalls Fabrikworker der Anfangsära („Ich bin zwei Monate nach der Eröffnung dazugestoßen“) Glauben schenken, wenn er auf den Mythos FABRIK angesprochen meint: „Das Flair machte einfach die Einzigartigkeit aus. Es gab damals viele kleine Bauerndiscos, aber so was Großes wie die FABRIK hatte bislang einfach nicht  existiert – und zwar in ganz Österreich nicht!“ Dietmar „Hasi“ Haslinger, ein weiterer Local-Hero, der ebenfalls auch arbeitend die FABIK erlebte, bringt es auf den Punkt: „Man mag es glauben oder nicht. Aber der Nabel der mitteleuropäischen Disko-Welt lag damals tatsächlich in Radlberg!“
Österreichs modernste Disco
Wie das zuging? Wohl einfach eine glückliche Konstellation der Sterne. In gewisser Weise paarte sich gar nicht gewollter Unternehmermut (nicht gewollt, weil die Kosten explodierten) mit einem Gastrogenie namens Harald Schmidberger. „Das Gelände gehört Weinzierl und Haböck,  die wollten damals ihr Kapital investieren. Als sie die Disco zu bauen begannen, sind sie von 8 Millionen Schilling ausgegangen. Geworden sind es letztlich 30!“, weiß Richie, wobei auch die Gemeinde ihres zur Kostenexplosion beitrug. „Die Stadt wollte die FABRIK verhindern, hat immer neue Auflagen gemacht, zuletzt sogar eine Kläranlage vorgeschrieben – unglaublich!“
Edelschuppen
Zum anderen war Schmidberger vom Traum beseelt, die hippste Disco zu schaffen – und den verwirklichte er. Die Konsequenz: Das Beste war gerade gut genug. „Es gab einen eigenen Designer, Leute wie Bernauer Toni kreierten Karten.“ Zum „Beweis“ legt er ein paar Erinnerungsstücke vor, und Chris bestätigt: „Es war einfach alles vom Feinsten!“
Auch wenn ich die FABRIK nie erlebt habe, so gibt allein die Beschreibung des Raumkonzeptes einen Eindruck, was die beiden meinen: Die große Tanzfläche war zugleich Hebebühne „die sich pünktlich um 22 Uhr zur Musik ‚Also sprach Zarathustra’ hob“. Ringsum gingen arenaförmig Logen hinauf, „wobei ein Logen-Sitzplatz nur gegen zumindest eine große Flasche Hochprotzentiges zu bekommen war“, wie Hasi erklärt. Christian räumt ein, dass man mit dem Logenplatz auch seinen Sozialstatus definierte: „Je weiter unten man bei der Tanzfläche gesessen ist, umso besser situiert war man, um so mehr gehörte man dazu“ Drei große Bars sorgten für flüssigen Nachschub.
Auch technisch war die FABRIK damals richtungsweisend. „Die Scheinwerfer hatte Schmidberger irgendwo von der Flugzeugindustrie aufgetrieben und der Ton kam anfangs aus 2x6.000 Watt Boxen, die einen vier Meter hohen Turm bildeten.“
Oben, auf einem eigenen Balkon, werkten die DJ’s, allen voran Andy Edlinger „mit dem der Schmidberger öfter mal nach Londen ins Hippodrome gefahren ist, um die neuesten Trends kennenzulernen“ oder DJ Mike. „Die DJ‘s haben damals ja noch reingesungen und mitgeplärrt“, schwelgt Chris in Erinnerung. Ebenso Pflicht war ein Lichtjockey („Da gab es den Redi und den Stevie B.“), und natür-lich die berühmte Lasershow.
Im ersten Stock „wurde in der PIzzeria vom Italiener mit dem klingenden Namen Raffaelo Montefusco, ein Grantscherben, im Holzofen die beste Pizza der Stadt gebacken“, so Richie, und dann war da noch das Lokal Bierbrunnen, dessen Geschäfte ein gewisser Leo Zant führte „Das waren sicher über vier Jahre“, erinnert sich die Gastrolegende. Beim „Würstelstand“ werkte ein anderer Bekannter: Reini Dorsch, „der im Edel Outfit und dementsprechendem Gehabe Würstel ausgegeben hat.“ Und zwischendurch spielte Dorsch im VIP-Club auf. „Das war ein eigener Klub-Bereich, wo man nur mit VIP-Karte reingekommen ist. Drinnen war alles auf Edel: Weißes Leder, weißes Piano, eine eigene kleine Tanzfläche. Über eine Glasfront sah man hinunter auf die Tanzfläche.“
Alles hatte Style und Glamour. Von weißen Marmorböden, über Teppiche, die bei UV-Licht Sterne zeigten, bis hin zum legendären Penthouse Schmidbergers über der Disco. Ganz dem Klischee eines Disco-Königs entsprechend  „hatte er oben ein richtiges Loft - für damals eine Sensation. Offene Fläche, Sitzgelegenheiten aus weißem Leder, wohin er ‚Gäste‘ mithinaufbrachte. Auch einen Tresor gab es, den wir spaßhalber immer zu knacken versucht haben – ohne Erfolg“, lacht Chris.
Zeitgeist pur
Kein Wunder, dass die FABRIK Publikum in Massen anzog. „Der Parkplatz war voll mit Bussen! Die Leut kamen von überall her: Wiener, Linzer, und gar Grazer und Salzburger Kennzeichen waren die Regel – nicht die Ausnahme!“ An ein Kuriosum erinnert sich diesbezüglich Richie. „Der Schmidberger hat es zum Beispiel geschafft, beim Verkehrsminister durchzusetzen, dass ein fixer Shuttlebus zwischen FABRIK und Wien verkehrt.
Sie alle wollten den Zeitgeist aufsaugen, der hier auf wunderbare Weise verdichtet schien – vom Lifestyle über die Musik bis hin zum Outfit. „Wenn du heute so auf die Straße gehst, würde man dich in die Klapsmühle stecken“, lacht Richi. Wobei es in der FABRIK eigentlich keinen expliziten Dresscode gab. „Das war von der Willkür des Türstehers abhängig“, so Christian. „Ein Freund von mir hatte eine Lacoste Jacke, so eine blau-weiß gestreifte. Das war damals eine Sensation, die hat sicher 3.000 Schilling gekostet. Als wir zur FABRIK kommen meinte der Türsteher nur: ‚Was wüllst denn mit dem Trainingsanzug – so kommst nicht rein’“
Gekommen ist man übrigens nie alleine, sondern immer in der Clique. „Wir sind am Samstag – weil Freitag fortgehen war damals noch kein Thema – mit der Vespa rausgefahren. Das waren richtige Touren, auch im Winter. Da mussten wir vorher die Füße auftauen, bevor wir reingegangen sind, weil sie so steif geforen waren“, erinnert sich Chris mit einem seligen Lächeln auf den Lippen. Aufgetaut ist man drinnen freilich schnell, unter anderem durch die fetten Beats.  „Wir sind direkt ans Gitter der Boxen gelehnt gestanden, bis wir nix mehr gehört haben.“
Was zudem ausgelebt wurde, war eine gewisse Exaltiertheit und Dekadenz frei nach dem FALCO-Motto „Wer sich an die 80’er erinnern kann, war nicht dabei!“ „Wir waren schon richtige Gasgeber“, bekennt Chris, und Christian stellt fest, dass „man in der Fabrik verwöhnt wurde, sich viel erlauben konnte!“ Da wurde bei einer Schulabschlussfeier mit 3.000 Besuchern schon mal eine 24 Liter Mounier geköpft, „die man allein kaum halten konnte“, und punkto Aufrissfaktor war die FABRIK sowieso ein heißes Pflaster. „Damals bist du noch angebraten worden und hast nicht braten müssen“, so Christian, um augenzwinkernd hinzu zufügen. „Da haben wir aber auch noch anders ausgeschaut.“ 
Eine legendäre Episode, die den „Größenwahn“ von damals wunderbar dokumentiert, fällt ihm ebenfalls ein. „Eines Tages hieß es, alle müssen raus und den Parkplatz räumen. Dann ist der Feiersinger, der Erfinder des Papiersackerls, der in Loosdorf eine Fabrik aufgekauft hatte, mit dem Hubschrauber gelandet“ Im VIP-Club wiederum, so erinnert sich Hasi, „floss der Champagner sprichwörtlich in Strömen.“
Wer es sich leisten konnte, inszenierte sich als Star. Und die wirklichen kamen ebenfalls, sowohl als Gäste – wie zum Beispiel FALCO, Ambros, Fendrich, Deix & Co. – als auch als angesagte Acts „Z. B. FALCO, wobei der eigentlich nur ein Video gedreht hat. Schmidberger hat einfach plakatieren lassen, ‚FALCO kommt’ – die Hütte war gerammelt voll, und FALCO stocksauer. Alle haben ja geglaubt, der spielt ein Konzert, dabei hat er 500 mal ein- und denselben Song eingespielt und aufgezeichnet“, so Richie. Andere Live-Hochkaräter waren u. a. Kim Wilde, die damals aktuellen Flying Piquets („Die haben wir bei Krems aufgegabelt, weil sie nicht nach Radlberg gefunden haben) oder Modern Talking. Die sorgten für einen kleinen Skandal, weil „sie auf einer Gitarre ohne Saiten gespielt haben. Als das einer gemerkt hat, ist es zu richtigen Tumult-Szenen gekommen“, muss Chris lachen.
Eine Sensation für damals waren nicht zuletzt die Travestie-Shows von Madame Gigi aus Hamburg. „Die war damals weltberühmt. Ihre Outfits wurden im Truck gebracht. Das war Glamour!“
Ende der Party
Irgendwann Ende der 80’er kam dann der Filmriss, so als wäre der Champagner mit einem Schlag versiegt und die Musik abrupt abgedreht worden. Jede Party findet ihr Ende, und was bleibt ist Katzenjammer. „Nach ein paar Jahren begann es allmählich wegzuschwimmen. Es entstanden andere Groß-Discos nach dem Vorbild der FABRIK, die zum Teil besser, weil neuer – zugleich aber in der Ausstattung billiger waren. Die haben dann natürlich das Publikum abgezogen“. Schmidberger schied aus. Sämtliche Nachfolgeversuche scheiterten und waren im Grunde nur ein langsamer Abgesang. „Alles hat seine Zeit, so war es auch bei der FABRIK“, sinniert Richie. „Zwischenzeitig fiel der Betrieb an Weinzierl zurück, der das Teil ja gar nicht führen wollte, wobei seine Frau Bärbel das Haus auch Richtung Kultur öffnete und spannende Sachen machte.“ Ein weiterer Betreiber ließ die Disco „nocheinmal gänzlich in Originalzustand herstellen, so dass man glaubte, sie hätte erst eröffnet.“ Doch der Erfolg blieb aus.
Im Kampf ums Publikum ging man zuletzt immer abstrusere Wege. Der ehemalige Glamour rutschte am schmalen Grat ab ins Schmuddelige. „Am Schluss hat man das Niveau verloren, billige Lesbenshows und dergleichen veranstaltet, um die Bude irgendwie voll zu kriegen“, so Chris. Bis der letzte Betreiber der Disco den endgültigen Todesstoß versetzte. „Innerhalb einer Woche hat er die FABRIK komplett leergeräumt. Was nicht niet- und nagelfest war, wurde nach Polen abtransportiert. Das war das Ende!“
Zugleich der Beginn der Legendenschreibung und Glorifizierung. Heute wird die FABRIK – auf österreichische Verhältnisse umgemünzt – gar auf ein Podest mit Discolegenden wie dem Londoner Hippodrome oder dem New Yorker Studio 54 gestellt. „Tatsächlich war die Fabrik das im übertragenen Sinne für eine gewisse Zeit bei uns!“, so Richie.
Was bleibt ist Erinnerung
Letztlich fiel die FABRIK, discogewordener Zeitgeist, diesem selbst zum Opfer. Die Disco-Ära war ein eigenes Zeit- und Lebensgefühl, und dieses verschwand zusehends in der Mottenkiste der Geschichte: Was vor kurzem noch hipp war – weiße Overalls, Legwarmer, Hot Pants, Ohrschützer, Lacoste-Westen, Jogging High, weiße Ledermöbel, weiße Flügel, Champagnerduschen, Bundfaltenhosen, LP’s, Exaltiertheit und ein gewisser Schuss Größenwahn – war mit einem Mal peinlich geworden. Die nächste Generation stand vor den Toren und forderte ihre eigenen Moden und Helden ein, mit Bannerträgern wie Nirvana voran.  Die Titanen wurden von neuen Göttern gestürzt.
Was bleibt ist Erinnerung. Für jene, die dabei waren, eine, die die Seele wärmt und eine gewisse Wehmut an die „Glory Days“ hervorruft, zugleich aber auch ein Gefühl des Trostes in sich trägt: Nur die wahren Helden schaffen es ins Pantheon der Geschichte, und dort nimmt die FABRIK einen ihr gebührenden, unbestreitbaren Platz ein. Und zuletzt bleibt eine Gewissheit – man hat es erlebt, ist dabeigewesen!

The Dance Club 
Chris Müllner und Markus Berger bemühen sich seit diesem Jahr unter dem Motto „in memoriam Tanzfabrik“ die good old times wieder auf leben zu lassen bzw. daran in Würde zu erinnern. „Wir waren von der Tanzfabrik in Radlberg immer sehr angetan und haben uns deshalb das Ziel gesetzt, unser ‚Ideal’ fortzusetzen.“ Das Ergebnis ist der „Dance Club Fabrik“, der im Jänner im MUNDOS unter Teilnahme von Original DJ’s von damals erstmals über die Bühne ging – vor vollem Haus, was die Zugkraft der legendären Disco unterstreicht. Eine weitere Schiene der beiden ist der Tweety Club, der zuletzt im neuen Millennium-Live stattfand. Der von manchen gehegten Traum, derlei Veranstaltungen wieder in der FABRIK selbst zu erleben, wird freilich unerfüllt bleiben. Derzeit ist man auf der Suche nach einer Nachnutzung des Areals. Der legendäre Schornstein wurde im Sommer gesprengt. Aber das ist wohl auch ganz gut so...www.markchris-clubs.com