MFG - Mythos Voithplatz
Mythos Voithplatz


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Mythos Voithplatz

Text Thomas Schöpf
Ausgabe 12/2011

Neun Mal wird im kommenden Frühjahr noch am altehrwürdigen Voith-Platz professionell gekickt. Dann übersiedelt der SKN St. Pölten in die neue Arena im Norden der Stadt. Eine Euphorie wie einst der VSE werden diese „Wölfe“ wohl nie entfachen können.

Was auf dem Voith-Platz war, das wird’s nie wieder geben. Darüber sind sich alle einig. Alleine die Spielmacher, die hier waren: Antonin Panenka - Europameister 76 mit der CSSR und weltbekannt durch seinen Elfmeter-Schupfer im Finale – beim VSE St. Pölten in der Regionalliga. Mario Kempes – Weltmeister und WM-Torschützenkönig 1978 in Argentinien, „El Matador“ als Fädenzieher – beim Bundesliga-Aufsteiger VSE. Oder Lajos Detari – einst teuerster Spieler der Welt (1988 zahlte Olympiakos 17 Millionen Mark Ablöse) – beim Zweitdivisionär FCN St. Pölten.
Aber auch unzählige andere Kicker schrieben auf der Anlage neben dem Mühlbach Geschichte. Jungspund Ivica Vastic schoss in der Saison 1992/93 gleich 18 Tore für den VSE. Frenkie Schinkels und Leopold Rotter schafften es von hier aus ins Nationalteam unter Teamchef Ernst Happel. Die älteren Fans erinnern sich sicher auch noch gerne an den legendären Drei-Mann-Sturm, gebildet von Ernst Ogris, Franz Zach und Slobodan Brankovic, der den VSE (mit Kempes als Regisseur und dem beinharten Manndecker-Duo Leopold Rotter und Hans-Peter Frühwirth) zwischenzeitlich an die Spitze der Bundesliga schoss. Die legendäre ORF-Sendung „Sport am Montag“ verlegte damals ihr TV-Studio für eine Sendung ins Braustüberl von VSE-Hauptsponsor Egger, um gemeinsam mit Präsident Helmut Meder, Trainer Thomas Parits, Kempes und „Turbo-Rudi“ Steinbauer das sprichwörtliche Geheimnis des Erfolgs zu lüften.
Kult-Kicker Alfred Tatar (in den 80ern u.a. mit halbseitigem Bart und/oder schwarz lackierten Fingernägeln unterwegs) erinnert sich sehr gut. „23 Jahre ist es her. Mir ist es aber so nah, als wäre die Zeit stehen geblieben. Als ich gekommen bin, war der VSE Letzter in der zweiten Liga. Beim Training haben ein paar Leute zugeschaut, denen man angesehen hat, dass sie wirklich nichts Besseres zu tun hatten“, sagt Tatar und scherzt, „Mit mir und Kempes kam dann der Erfolg. Halt. Okay. In dem Fall kann man sagen: Mit Kempes und mir kam der Erfolg. Wir hatten auch das beste Publikum, das ich bis heute erlebt habe. Diese Fans sind immer voll zu uns gestanden, auch wenn es nicht gelaufen ist, und das auf so genannten Tribünen, die nicht mehr als aufgeschüttete Steinhaufen waren.“ Jene hatte Meder zu verantworten, der nach dem Meistertitel der 2. Division 1987/1988 binnen kürzester Zeit ein Stadion für die Bundesliga bauen musste. „Am Vormittag vor dem ersten Spiel gegen Rapid, habe ich selbst noch schnell die letzten Steine weggeräumt.“ Dann wurde der regierende Meister aus Wien vom Aufsteiger aus der „Provinz“ vor 7.000 Besuchern 1:0 (Tor: Kempes) bezwungen. Graben, statt „Affenkäfig“
Für den einzigartigen Graben rund um den Voith-Platz zeichnet sich auch Meder verantwortlich: „Einen Zaun so nah bei der Tribüne wollte ich nicht. Das wäre ja wie bei den Affen.“ Sieben Wochen später war auch das Flutlicht fertig und die „Wölfe“ spielten gegen die Austria vor 10.000 Besuchern 1:1-Unentschieden. „Wir hatten damals fast immer so viele Zuschauer“, erinnert sich Thomas Parits, „weil wir einen attraktiven Fußball gespielt haben. Den spielt der SKN St. Pölten heute zwar auch, aber da kommt kaum wer. Bei uns sind auch zu den Auswärtsspielen tausende Fans mitgefahren, einmal hat der Verein sogar einen Sonderzug nach Innsbruck organisiert. Nach zweieinhalb Jahren aber war ich ausgebrannt, auch weil ich täglich aus Siegendorf gependelt bin, und habe Meder um die Vertragsauflösung gebeten.“
Nach Parits’ Abgang setzte allmählich der mit steigenden Schulden korrelierende sportliche Abstieg des VSE ein. Dafür fanden vermehrt Eigenbauspieler ihren Weg in die Mannschaft, wie zum Beispiel der waschechte St. Pöltner Hannes Weber Hannes, der den Voith Platz von Kindesbeinen an kannte. „Ich habe gleich neben dem Voithplatz gewohnt, da sind wir als Jungs immer heimlich eingeklettert und haben gekickt –  bis uns der Platzwart verstampert hat“, erinnert er sich. Weber war es schließlich auch vorbehalten, am 8. Juni 1994 die letzten Bundesligatore am Voith-Platz zu schießen. Dank seines Doppelpacks siegte VSE St. Pölten gegen Sturm Graz 2:1.
Der „Nachfolgeverein“ FCN (Fußballclub Niederösterreich) St. Pölten schaffte es trotz Detari und Co. nie wieder zurück und ging ebenfalls in Konkurs. Nicht ohne vorher noch eine der peinlichsten Geschichten zu schreiben: FLASH. Präsident Franz Hein und sein Vorstand erlagen den Schalmeientönen eines Betrügers, der mit angeblichen Dollar-Millionen aus den USA die St. Pöltner in die Champions League führen wollte. Die Politik jubelte, mit dem deutschen Manager Rolf Rüssmann wurden Baugründe für ein neues Stadion inspiziert und eine lokale Wochenzeitung berichtete auf acht (!) Seiten über künftige Heldentaten. Letztlich kickte man dann aber weiter auf dem Voith-Platz, wie seit 2000 der neu gegründete SKN (Sportklub Niederösterreich) St. Pölten, der im Laufe der Jahre von der Landesliga bis in die Erste Liga durchmarschierte. Vornehmlich mit Spielern aus der Akademie, Heimkehrern wie Hannes Weber oder Thomas Nentwich, aber auch einigen tollen Verpflichtungen wie Markus „Magic“ Aigner, dem wieselflinken Sambo Choji oder dem Offensivgespann Heli Prenner und Christoph Knaller, das im März 2005 im Achtelfinale des ÖFB-Cups Austria Salzburg quasi im Alleingang 5:1 abschoss. Die Salzburgfans stürmten den Platz, "Feuer war am Dach", wie – im wahrsten Sinne des Wortes – auch bei einem Legendespiel mit Mario Kempes, "als ein Feuerwerk zu Ehren des Matadors außer Kontrolle geriet", erinnert sich das damalige Vorstandsmitglied Raphael Landthaler. Die Zukunft
Neues Feuer soll nun die Übersiedelung ins neue Stadion mit dem etwas sperrigen Namen „Niederösterreich Arena powered by die Niederösterreichische Versicherung“ bringen. Ein Fußballwunder wie beim VSE ist kaum zu erwarten. WM-Torschützenkönig wird für den SKN garantiert keiner kicken. So tief wird Thomas Müller (Titelträger 2010) nicht sinken und Miroslav Klose (2006) oder Ronaldo (2002) sind jetzt schon älter als Kempes zu Beginn seiner VSE-Zeit. Aus dem aktuellen Europameister-Land Spanien wurden immerhin schon Daniel Lucas Segovia (3. Liga) und Giovanni Perez Rodriguez (4. Liga) verpflichtet. Panenka kam damals ja auch nur aus der CSSR über Rapid zum VSE, weil es in seiner Heimat nichts zu verdienen gab. SKN-Trainer Martin Scherb – der übrigens 1988 als 19-jähriger Schützenkönig vom SC St. Pölten nach zweiwöchigem Probetraining beim VSE wieder „heimgeschickt“ wurde – rechnet nach der Übersiedelung in die 26 Millionen Euro teure Arena „mit einer zehnprozentigen Leistungssteigerung“ seines Teams, „alleine durch die Infrastruktur und die besseren Trainingsbedingungen.“ Meder begrüßt das Stadion prinzipiell, ist aber skeptisch: „Mit ein bis zwei Millionen Euro hätte man den Voith-Platz ausbauen können. Ich bin neugierig, ob die Leute, die hier herkommen, was trinken und dann heimgehen auch immer wieder in den Norden raus fahren.“ Ab kommender Saison, wenn sich das Kapitel Voith-Platz für immer schließt, werden wir es wissen.