WO GEHT’S HIER ZUM FÜNFTEN VIERTEL?
Text
Johannes Mayerhofer
Ausgabe
Neben dem Wald-, Wein-, Most- und dem Industrieviertel ist seit 2001 auch vom Zentralraum Niederösterreich als dem „Fünften Viertel“ die Rede. MFG hat sich erkundigt, was hinter dieser politischen Überschrift steckt.
Das Foto zum Beitrag will Herbert Wandl unbedingt vor dem Gemeindebus von Gerersdorf machen. „20 Freiwillige fahren von Montag bis Freitag, um die Mobilität im ländlichen Raum sicherzustellen“, erklärt der ÖVP-Bürgermeister der 1.000-Seelen-Gemeinde westlich von St. Pölten. Doch für Wandl ist der Bus ein Karosserie gewordenes Zeichen für regionale Zusammenarbeit. „Das Projekt wurde vom Regionalverband Niederösterreich begleitet, von den ersten Schritten bis hin zur Förderungsabwicklung.“ Damit meint Wandl den Verband NÖ.Regional, welcher 2001 gegründet wurde und als größtes Unternehmen in der Regionalentwicklung in Niederösterreich tätig ist. Seit 2015 servisiert NÖ.Regional auch den Regionalverband noe-mitte, der bezeichnenderweise am 11. September 2001 ins Leben gerufen wurde. Dessen Obmann heißt Herbert Wandl.
Die „Helden der Arbeit“ sitzen in den Gemeinden
Doch was hat es mit der Region NÖ Mitte, welche 2001 per Landtagsbeschluss explizit als Hauptregion verankert wurde, genau auf sich? Es ging darum, dem Kernraum NÖ nach der Hauptstadtwerdung St. Pöltens 1986 eine Identität zu geben und sich in strategischen Fragen gemeinsam zu positionieren. „Man hatte die Situation, dass gewisse Gemeinden thematisch weder ins Most- noch ins Weinviertel passten. Das war Teil der Motivation für die Zentralregion“, erklärt Wandl. Der Obmann unterstreicht aber, wie sehr dabei die Entwicklungen im Kleinen im Vordergrund standen und stehen. „Von entscheidender Bedeutung ist die Arbeit in den unzähligen Kleinregionen, die sich innerhalb der Hauptregion NÖ Mitte gebildet haben, wo Gemeinden in konkreten, themenbezogenen Punkten zusammenarbeiten. Da geht es manchmal um Technisches, dann wieder um Touristisches oder Infrastrukturelles. Wenn etwa ein Radweg existiert und die angrenzenden Gemeinden als Kleinregion kooperieren und entlang dieses Radweges kleine touristische Highlights, oder Raststationen oder regionale Info-Möglichkeiten organisieren, das wäre ein klassisches Beispiel.“ Seine eigene Rolle als Obmann des Regionalverbandes noe-mitte will Wandl dabei nicht überbetonen: „Die eigentlichen Helden der Arbeit sitzen in den Gemeinden selbst.“
Die Liste der Projekte im „Fünften Viertel“, die unter Trägerschaft des Regionalverbandes noe-mitte abgewickelt wurden, ist umfangreich. Sie umfasst regionale Einkaufsführer und Diplomarbeitsbörsen, Entwicklungspläne für den Wiener Wald als „Biosphärenpark“, Projekte zur Grundwasserbewirtschaftung im Unteren Traisental, Kooperationsprojekte mit führenden Metall-Betrieben der Region uvm. Nicht zuletzt geht es auch um die Vernetzung lokaler Akteure.
Viel konkrete Arbeit im Klein-Klein
Und gerade die Vernetzung kommunaler Akteure, ist einer der entscheidenden Aspekte für die Frage erfolgreicher regionaler Entwicklung. Das betrifft neben Funktionären aus der Zivilgesellschaft und dem lokalen Vereinswesen natürlich primär die Bürgermeister der Gemeinden und Ortschaften. So zeigt man sich in Tulln überzeugt von der Sinnhaftigkeit und Lebendigkeit des „Fünften Viertels“. „Tulln liegt im Grenzbereich zwischen Wein- und Mostviertel, teilt also viele Attribute dieser Regionen und die Zuordnung meiner Stadt zur Hauptregion NÖ-Mitte ist daher eine sinnvolle“, erklärt Peter Eisenschenk (ÖVP), Bürgermeister von Tulln. Er betont dabei die Wichtigkeit regionalpolitischer Vehikel wie der Hauptregion NÖ-Mitte und des Regionalverbandes noe-mitte bei der Umsetzung von Projekten und Kooperationen. Beispiele für Förderprojekte des Regionalverbandes noe-mitte wären etwa das virtuelle Tullner Stadtmuseum „Virtulleum“, die Neukonzeption des Römermuseums, Erweiterungen von Sportanlagen und Spielplätzen, Lückenschließungen im Fahrradwegenetz, die Förderung der „Sanften Mobilität“ und mehr.
Die regionale Entwicklung der zentralen niederösterreichischen Gemeinden in Abhängigkeit von einem abstrakten Gebilde eines „Fünften Viertels“ zu sehen, wäre allerdings grob unterkomplex, wie das Beispiel Tulln zeigt: „Die Stadt ist Teil der Region Wagram, der Region Tullnerfeld, der LEADER Region NÖ-Mitte, des Regionalverbandes noe-mitte und in touristischer Hinsicht Region Kamptal-Wagram-Tullner Raum.“ Tulln ist also an einem themenspezifischen Netz größerer und kleinerer Regional-Zusammenschlüsse beteiligt. Vor dem Hintergrund all dessen meint Eisenschenk: „Das ‚Fünfte Viertel‘ hat sich in der Praxis als durchaus eigenständiges und spürbar lebendiges Viertel entwickelt.“
Auch im West-Zipfel des NÖ-Zentralraumes sind kommunalpolitische Kooperation und regionale Entwicklung abhängig von den jeweiligen lokalen Konstellationen, Initiativen und Zusammenschlüssen. So betont Patrick Strobl, ÖVP-Bürgermeister der Stadt Melk, die bezirksübergreifende Kooperation der 14 Weltkulturgemeinden. „Wir haben etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, die einheitliche Busparkraumbewirtschaftung in den Gemeinden Melk, Spitz, Dürnstein und Krems initiiert. Des Weiteren sind wir in der Kleinregion ‚die Kulturregion‘, deren Sprecher und Geschäftsführer ich bin, und welche Melk, Emmersdorf, Loosdorf und Schollach umfasst, im ständigen Austausch. Konkret geht es dort um die Umsetzung von Projekten wie etwa des Anrufsammeltaxis“, erklärt Strobl auf MFG-Anfrage.
Lilienfeld betont enge Verbindung zu St. Pölten
„Wir als Lilienfelder fühlen aus verschiedenen Gründen eine Zugehörigkeit zum Zentralraum“, sagt Lilienfelds Bürgermeister Wolfgang Labenbacher (ÖVP). Zentraler Bezugspunkt ist für ihn hierbei St. Pölten. „Viele Leute aus der Stadt und dem Bezirk sind in St. Pölten in die Schule gegangen oder haben dort ihre Ausbildung gemacht. Lilienfeld ist gemeinsam mit St. Pölten auch in der Bildungsregion NÖ-Mitte. Geographisch gesehen verbindet uns der Fluss Traisen, und damit unter anderem, aber nicht nur, der Traisen-Wasserverband und der Abwasserverband an der Traisen.“ Lilienfeld habe St. Pölten bei seinen Bestrebungen hinsichtlich der „Kulturhauptstadt 2024“ unterstützt. Auch in den Bereichen Gesundheit und Wirtschaft seien die Verflechtungen stark: „Das Landesklinikum Lilienfeld und das Universitätsklinikum St. Pölten arbeiten eng zusammen. St. Pölten ist unser Schwerpunktkrankenhaus. Die wirtschaftliche Verbindung ist nicht nur auf den neuen Prefa-Standort in Hart zurückzuführen. Viele pendeln aus Lilienfeld in den Zentralraum zur Arbeit und umgekehrt.“ Gemeinsame Probleme sehe er vor allem bei der seiner Meinung nach mangelnden Verkehrserschließung in seinem Bezirk. Die Elektrifizierung und Verbesserung des qualitativen und sicherheitsmäßigen Angebotes der Traisentalbahn sollte laut Labenbacher unbedingt beschleunigt werden. Der Schnellstraßenanschluss des Traisentals sei für die Prosperität der Region notwendig. Verkehrspolitische Ambitionen gibt es auch auf der Achse Krems-St. Pölten. So richteten die Gemeinderäte beider Städte der Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) per Resolution ihre Forderung nach einer „leistungsfähigeren“ und „ökologischeren“ Bahnverbindung Krems – St. Pölten aus. Kürzere Fahrzeiten und Zugintervalle durch den Bau eines zweiten Gleises zwischen Herzogenburg und der Landeshauptstadt finden sich auf der Liste, ebenso wie eine Zugelektrifizierung und höherer Fahrgastkomfort.
Ja, es tut sich viel im „Fünften Viertel“. Überall gibt es regionale Klein(st)-Zusammenschlüsse, die konkrete Verbesserungen in verschiedensten Themenbereichen erarbeiten. Das Gebilde „NÖ Mitte“ jedoch auf wenige politische Grundinteressen herunter zu brechen, ist schwer. Denn der Bezugspunkt zur Großregion und die lokale Bedeutung für Bevölkerung, Vereinswesen und Lokalpolitik hängt stets von den Bedingungen und Vernetzungen vor Ort ab. So kann man sagen: „Das ‚Fünfte Viertel‘ lebt, aber es gleicht dennoch einem Mosaik.