MFG - Per Kreditkarte in den OP-Saal?
Per Kreditkarte in den OP-Saal?


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St. Pöltens gute Seite

Per Kreditkarte in den OP-Saal?

Text Johannes Mayerhofer
Ausgabe 05/2025

Der Fall eines Arztes am Landesklinikum St. Pölten, der mutmaßlich OP-Termine gegen Geld vergeben haben soll, beschäftigt mittlerweile die Ermittlungsbehörden. Auch die Erhebungen der NÖ Landesgesundheitsagentur sind noch nicht abgeschlossen.


Es war ein interner Whistleblower, ein Mitarbeiter des Landesklinikums St. Pölten, der die fragwürdigen Vorgänge Anfang März an die Öffentlichkeit brachte. Einem Neurochirurgen warf der geheime Hinweisgeber vor, OP-Termine mit extrem kurzen Wartezeiten als Gegenleistung für private Geldzahlungen vergeben zu haben – auf Kosten anderer Patienten. Allein zwischen Juni und Dezember 2024 soll es zu 40 bevorzugten Operationen durch den Arzt gekommen sein. Öffentlich wurden in dem Zusammenhang auch Listen, welche die teilweise gerade mal etwa eine Woche, anstatt den üblichen 46 Wochen betragenden OP-Fristen vieler Patienten des betroffenen Arztes zeigten. Und Honorarnoten denen private Geldzahlungen von 4.000 Euro an den Neurochirurgen zu entnehmen waren. Dieser verwies ebenfalls auf eben jene Honorarnoten, allerdings um sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. So wiesen die Papiere klar aus, dass die privaten Extragelder nicht für verkürzte Wartezeiten, sondern für „permanente direkte Verfügbarkeit vor und nach dem Spitalsaufenthalt“, „komplettes Management“ und „bedarfsweises Komplikationsmanagement für 12 Monate im ambulanten Bereich“ bezahlt worden seien. Weiters habe es schon seit längerem Hinweise auf „handwerkliche Mängel“ und „OP-Fehlleistungen“ des Neurochirurgen gegeben. Der Arbeitgeber, die Landesgesundheitsagentur (LGA) und der Mediziner einigten sich auf eine einvernehmliche Kündigung. Wie ging es seitdem weiter? Wird es auch strafrechtliche Schritte geben? Was sagen mutmaßliche Korruptionsfälle dieser Art über den Gesamtzustand des österreichischen Gesundheitssystems aus?

LGA prüft noch intern, doch WKStA ermittelt schon
Während Korruptions-Experten wie Martin Kreutner der LGA vorwerfen, den vermeintlich korrupten Arzt nicht angezeigt zu haben und durch die vermeintliche Affäre „durchzutauchen“, betont die LGA: „Wir haben uns keineswegs gegen eine Anzeige entschieden. Die diesbezüglichen Erhebungen sind allerdings noch nicht abgeschlossen.“ Nach dem Eingang einer anonymen Anzeigen zu diesen Vorwürfen hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft unterdessen das Bundeskriminalamt mit Ermittlungen gegen – vorerst – unbekannte Täter beauftragt, ein Anfangsverdacht liegt vor, es geht um Bestechlichkeit gemäß § 304 des Strafgesetzbuchs. 
Die LGA betont unterdessen, dass OP-Termine „ausschließlich aufgrund medizinischer Notwendigkeit  und Dringlichkeit“ gereiht würden. Für die krasse Differenz zwischen der normalerweise üblichen und der stark verkürzten Wartezeiten liefert die LGA keine Erklärung. Die Letztverantwortung für die Reihung der OP-Termine trage der jeweilige Abteilungsleiter.

Sonder-Deals als legaler Vorwand für Korruption?
Laut LGA dürfe in Privatpraxen ausgehandelte Sonder-Deals wie „ständige Verfügbarkeit“ die Tätigkeit im Rahmen des Dienstverhältnisses für die LGA nicht beeinträchtigen. So sei es auch in einem internen Verhaltenskodex der Agentur festgelegt. Dass der betroffene Neurochirurg tatsächlich 4.000 Euro für OP-Vorreihungen angenommen hat, dafür gibt es zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch keinen handfesten Beweis. Allerdings können privat bezahlte Vereinbarungen potentiell immer einen legalen Vorwand für in Wahrheit illegale Leistungen dienen. Ein kausaler Zusammenhang zu den stark verkürzten OP-Wartezeiten ist daher nicht leicht nachzuweisen. Was bleibt ist eine auffällig radikal verkürzte Warteliste als bloßes Indiz. Die LGA beteuert, eine interne Überprüfung der Warteliste des betroffenen Arztes habe ergeben: Die kurzen Wartezeiten waren medizinisch indiziert.

Patientenanwaltschaft verzeichnet aktuell (noch) keine Beschwerden
Die NÖ Patientenanwaltschaft ist eine unabhängige und weisungsfreie Einrichtung des Landes NÖ, die sich um die Rechte von Patienten und Pflegepersonen kümmert. Dort weiß man zu berichten: „Lange Wartezeiten in der Neurochirurgie sind immer wieder ein Thema.“ Eine konkrete Beschwerde bezüglich einer Nachreihung in diesem Bereich sei allerdings noch nicht vorgekommen. Das sei aus Sicht der Patientenanwaltschaft auch nicht verwunderlich. „Eine vorgereihte Person wird sich über ihre Vorreihung nicht beschweren, eine nachgereihte Person wird den wahren Grund der Verschiebung nicht erfahren.“ Ob sich dies in diesem relativ „prominenten“ Fall genau gleich abspielen wird, bleibt abzuwarten – vor allem, wenn sich tatsächliche Verdachtsmomente erhärten und eine Anzeige gegen den Neurochirurgen durch die LGA erfolgen sollte. „Die NÖ Patientenanwaltschaft kann Betroffene außergerichtlich und kostenlos bei der Prüfung und Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, zum Beispiel Schmerzensgeld, unterstützen.“

Ärztekammer für Transparenz, insgesamt aber eher wortkarg
Die Ärztekammer, welche sich in der Vergangenheit scharf gegen „Vorverurteilungen der Ärzteschaft“ in Bezug auf Korruption aussprach, verhält sich in Ihrer Antwort auf eine Anfrage von MFG eher wortkarg. „Uns Ärztinnen und Ärzten ist sehr daran gelegen, allen Patientinnen und Patienten den gleichen Zugang zur Medizin zukommen zu lassen. Sollte es im gegenständlichen Fall zu Vorreihungen gekommen sein, wird das von Seiten der Ärztinnen- und Ärztekammer für Niederösterreich klar abgelehnt“, sagt Harald Schlögel, Präsident der Ärztekammer für Niederösterreich. Damit derartige Vorfälle in Zukunft nicht mehr möglich sind, fordere seine Organisation eine Offenlegung von Wartelisten, keinerlei Duldung von Vorreihungen und somit mehr Transparenz im Gesundheitssystem. Eine weitere Nachfrage, an welchen (inter-)nationalen Best-Practice-Beispielen man sich orientieren könnte und wie sie zur mancherorts fundamentalen Kritik am Wahlarztsystem steht, welches derartige Begünstigungen vermeintlich erst ermögliche, gab die Ärztekammer NÖ keine Antwort. Dabei gibt es diese Beispiele zweifelsohne. So begann die Frauenklinik des Wiener AKH 2018 damit, Patientenakten aus Privatordinationen zu kennzeichnen. Bringt ein Arzt einen Patienten aus seiner Privatordination mit ins Krankenhaus, muss er per Dienstanweisung und Unterschrift garantieren, diesen keine bevorzugte Behandlung im AKH zukommen zu lassen. Er darf seine Privatpatienten auch nicht selbst operieren, lediglich assistieren.
Was aber hat ein strafrechtlich verurteilter Arzt abseits von den strafrechtlichen Konsequenzen zu befürchten? „Rechtskräftige strafrechtliche Verurteilungen eines Arztes können grundsätzlich Gegenstand eines Disziplinarverfahrens oder einer Vertrauenswürdigkeitsprüfung sein“, heißt es vonseiten der Bundes-Ärztekammer. Wird in diesem Verfahren festgestellt, dass der Arzt nur eingeschränkt oder gar nicht vertrauenswürdig ist, können Auflagen erteilt oder schlimmstenfalls eine Streichung aus der Ärztelis­te veranlasst werden.

Jeder zehnte Patient bekam schon Vorreihung angeboten
Wie groß das Phänomen erkaufter OP-Termine und Behandlungen ist, lässt sich schwer quantifizieren, weil viele Aspekte verdeckt ablaufen. So funktionieren Vorreihungen oft auf dem völlig legalen Weg der „Sonderklasse“. Dies bedeutet, dass Patienten Geld etwa für bessere Unterbringung, eine Zeitung am Nachtkästchen oder die Betreuung durch einen Arzt ihres Wunsches bezahlen. In Niederösterreich dürfen Krankenanstalten laut NÖ Krankenanstaltengesetz bis zu 15 Prozent ihrer Betten für diese „Sonderklasse“ reservieren. Wenn ein „Sonderklasse“-Patient früher operiert wird, dann wird dies offiziell damit begründet, dass „Sonderklasse“-Betten eben weniger stark ausgelastet seien, beziehungsweise schneller frei würden. Der frühere OP-Termin ist dann offiziell nur ein Nebeneffekt.
Dieses System stößt bei manchen Gesundheitsökonomen auf Kritik. „Ich lasse mir ja einreden, dass Sonderklasse-Patienten um wenige Wochen früher operiert werden, aber nicht um acht Monate“, sagt etwa Thomas Czypionka vom IHS zur Wiener Zeitung in Bezug auf einen Fall aus Oberösterreich. „Das würde bedeuten, die Sonderklasse sei leer, während die Allgemeinklasse heillos überfüllt ist. Dann müsste das Krankenhaus aber Sonderklasse-Betten für alle freigeben.”
Zur Frage, wie oft so etwas passiert gibt der IHS-„Health System Watch“ zumindest einen Anhaltspunkt. Im Rahmen dieser Studie aus dem Jahr 2020 wurden 285 Patienten befragt. Etwa zehn Prozent gaben an, zumindest einmal das Angebot eines früheren Operationstermins durch Geldzahlungen oder Besuche in einer Privatordination bekommen zu haben. IHS-Befragungen aus den Jahren 2007 und 2013 kamen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. So dies kein Massenphänomen ist, kann jedoch auch nicht mehr von „Einzelfällen“ gesprochen werden. 

EINGEMIETETE PRIVATORDINATIONEN SIND GESETZLICH GEREGELTER KRANKENHAUSALLTAG
Dass private Ärzte ihre Ordinationen in den Räumlichkeiten öffentlicher Krankenanstalten betreiben, ist im Bereich der LGA nichts Ungewöhnliches. Die Agentur verweist dabei auf das NÖ Krankenanstaltengesetz. Dort ist geregelt, dass Einmietungen von Fachärzten in Krankenhäusern möglich sind, solange der Betrieb der Krankenanstalt dadurch keine Einschränkung erfährt. „Dabei ist auf eine eindeutige kostenmäßige und organisatorische Trennung und Bezeichnung in Abgrenzung zum Krankenhausbetrieb zu achten. Dies betrifft neben der räumlichen Trennung auch die eindeutige Kennzeichnung der Ordinationsräumlichkeiten“, so die LGA. Das Entgelt sei zumindest kostendeckend, dazu zählen auch sämtliche benötigten und verbrauchten Ressourcen. Wie viele Ressourcen bereitgestellt werden, wird durch interne Vorgaben und Einzelverträge festgelegt. Sofern der eingemietete Arzt auch ein Dienstverhältnis mit der LGA hat, dürfen seine Ordinationstätigkeiten nur außerhalb der Dienstzeiten stattfinden. Außerdem müssen der private und der öffentliche Bereich organisatorisch und räumlich getrennt oder gekennzeichnet sein. Laut LGA gebe es zurzeit keine Einmietungen privater Ärzte in OP-Sälen.