Bernd Pinzer – Pinzer und ein neuer pinker Anlauf
Text
Michael Müllner
, Johannes Reichl
Ausgabe
09/2025
Bernd Pinzer ist bei den Neos ein Urgestein, in St. Pölten aber noch ein Jungspund. So wie es aussieht, wird er die liberale Truppe in die nächste Gemeinderatswahl führen. Der bisherige Neos-Gemeinderat Nikolaus Formanek kandidiert nicht mehr. Einen bleibenden Eindruck hat er eher nicht hinterlassen. Es sieht also wiedermal nach einem pinken Neuanfang in der Landeshauptstadt aus.
Sie möchten das St. Pöltner Neos-Team in die kommende Gemeinderatswahl führen. Wie sind Sie zur Politik gekommen?
Mit der Geburt meiner Tochter entstand der Wunsch nicht nur zu sudern, sondern mich politisch zu beteiligen. Mittlerweile ist sie sechzehn Jahre alt, ich habe also schon etwas Erfahrung. Ich erinnere mich noch, als ich damals am Wohnzimmerboden die Programme von allen Parteien aufgelegt hatte. Das von der FPÖ konnte ich rasch ausschließen. Bei den anderen fand ich den für mich entscheidenden Punkt dann schon in den Präambeln, sozusagen den Einleitungstexten der jeweiligen Parteiprogramme: ÖVP und SPÖ hatten alle eine Form von Kollektiv im Zentrum ihres Weltbilds. Beim Liberalen Forum hingegen stand der Mensch als selbstbestimmter Gestalter seiner eigenen Lebensbedingungen im Mittelpunkt – das ist für mich auch heute noch der springende Punkt in der Politik. Das Liberale Forum hat dann mit den Neos fusioniert, so kam ich in die Politik. Einerseits als Funktionär auf lokaler Ebene, andererseits als Klubsekretär im Nationalrat, als Wiener Büroleiter der EU-Abgeordneten Angelika Mlinar oder jetzt im niederösterreichischen Landtag.
Nach Ihrem Grundwehrdienst sind Sie der Landesverteidigung treu geblieben?
Ja, während des Grundwehrdienstes habe ich das große Potential im Bundesheer gesehen und blieb dort. Zuerst als Ausbildner bei der Pioniertruppe, dann im Bundesministerium für Landesverteidigung – insgesamt 23 Jahre. Ich kenne also das Leben als öffentlich Bediensteter, war in der internationalen Verrechnung von Auslandseinsätzen des Bundesheeres tätig oder später eineinhalb Jahre im Innenministerium für die Erlassung von Erstbescheiden im Asylwesen.
Befindet man sich nicht gerade als liberaler Mensch mit einem stark ausgeprägten Bewusstsein für die Idee universeller Menschenrechte in einem Spannungsfeld, wenn man Asylbescheide schreibt? Stichwort: politischer Wille?
Ich habe meine Bescheide aufgrund der Gesetze erlassen, demnach haben sie auch im Instanzenzug gut gehalten. Aus dieser Zeit nimmt man natürlich sehr viele Fallgeschichten dieser Menschen mit. Wir haben in Europa definitiv einen gravierenden Mangel an legalen Möglichkeiten der Migration. Die Menschen, die sich auf den Weg machen, sind meiner Meinung nach oft getragen vom Wunsch nach dem liberalen Streben nach einem freieren, besseren Leben. Das kann auch eine Chance sein.
Aber wieso stellt uns die Integration dieser Menschen, die ja gerade diese Freiheit unserer Gesellschaft anstreben, dann oft im Alltag vor Probleme?
Das ist ein Kernthema für uns Neos, es ist eine Bildungsfrage. Wenn man in seinem Leben ein einziges Buch in der Hand hatte und das ist religiös motiviert, dann müssen wir bei der Integration dieser Menschen sehr stark das Thema Bildung mitdenken. Nur auf Emotionen abzuzielen, wie es die Populisten machen, löst dabei nichts. Es braucht die komplexeren, schwierigeren Antworten – aber dann ist das auch lösbar. Ich selber sehe mich auch als konstruktiven, pragmatischen Menschen, so sollte man auch Politik machen und dem zunehmenden Vertrauensverlust der Menschen in die Politik entgegenwirken.
Woher kommt diese oft wahrgenommene, allgemeine Politikverdrossenheit?
Sie ist jedenfalls eine große Gefahr. Zuerst verlieren die Menschen das Vertrauen in die Politiker, dann in die politischen Institutionen selbst. Ich sehe dafür die Hauptursache in der Besonderheit der Zweiten Republik, dass alles in zwei Machtblöcke aufgeteilt wurde. Für jede Lebenslage gibt es einen roten und einen schwarzen Verein, vieles muss nach diesem Proporz gedacht und besetzt werden – dann beschäftigt sich Politik mehr mit den Institutionen als mit den Menschen. Das sogenannte Dritte Lager konnte seine Position in Österreich unter diesen Voraussetzungen leicht ausbauen, andere Parteien taten sich schwerer. International sieht man, dass gerade die Schwäche der Konservativen oft zum Erstarken der Populisten führt. Für uns als Neos ist die richtige Antwort das Gespräch an der Haustür, das bildet das Kernformat in unserem Wahlkampf, weil wir dabei echte Anliegen der Menschen erfahren, die sich gerade auf der lokalen Ebene ergeben. In der Fußgängerzone spricht man mehr über die allgemeine Politik. Aber im Gespräch an der Haustüre erfahren wir, wofür wir uns im Gemeinderat für die Menschen einsetzen sollen.
Was sind das für Themen? Wo drückt in St. Pölten der Schuh?
Sich für die St. Pöltnerinnen und St. Pöltner einzusetzen ist sicher eine fordernde Aufgabe, aber es ist keine Raketenwissenschaft. Ich sage immer: Man braucht nur einen funktionierenden Taschenrechner und die Website der Statistik Austria. Dann kann ich mir ausrechnen, wie viele Betreuungsplätze ich in den nächsten Jahren zusätzlich brauche, egal ob für Kleinkinder oder pflegebedürftige Senioren. Wenn ich einen Kassenvertrag mit einem Arzt abschließe, weiß ich wann er in Pension geht. Dass man immer wieder vom demografischen Wandel überrascht wird, lasse ich nicht gelten. Für die Stadt denke ich, dass sich mit dem Wachstum der letzten Jahre vieles zum Positiven verändert hat, bei einem zweiten Blick sieht man aber schon, dass die Infrastruktur nicht mitwächst und man den Eindruck hat, es wird zu wenig in den Bestand investiert, aber dafür zieht man neue Prestigeprojekte hoch. All die Hochglanzmagazine über Zukunftsvisionen sind mir zu wenig, ich erwarte vom Bürgermeister konkrete Projektpläne und Prioritätenlisten, was wir wann mit welcher Priorität in der Stadt umsetzen wollen – und was es uns kostet. Denn vieles von den Errungenschaften der letzten Jahre hatte seinen Preis, einen stark gestiegenen Schuldenstand der Stadt. Und jetzt, wo die Ertragsanteile nicht mehr wie verrückt anwachsen, brennt plötzlich der Hut?
Wie beurteilen Sie denn den beschlossenen Konsolidierungskurs der Stadt?
Das ist ein kompletter Blödsinn, wie wenn man den Struppi auf die Wurst aufpassen lässt, das hat noch nie funktioniert! Einen Abteilungsleiter zu fragen, wo er einsparen kann – das ist ja ein Irrsinn. Darf man das sagen? Wir hätten uns einen ehrlichen Kassasturz erwartet, Transparenz auch bei allen ausgelagerten Gesellschaften. Und dann muss man sich externe Profis holen, vom Landesrechnungshof, vom Bundesrechnungshof oder von ausgewiesenen Experten, die unabhängig aufzeigen, wie man einsparen kann.
Den Stadtrechnungshof haben Sie nicht genannt. Der wäre ja ein Organ des Gemeinderates, der immer wieder unabhängig Vorschläge macht, die der Gemeinderat dann umsetzen könnte.
Sobald ich im Gemeinderat bin, schau ich mir gerne die Arbeit des Stadtrechnungshofes an, ob er denn seinen Namen verdient und wirklich unabhängig arbeitet. Die sollen mich bitte überzeugen. Ich merke schon, dass ich dahingehend unvoreingenommen und unabhängig bin. Ich bin nicht in St. Pölten zur Schule gegangen, ich bin mit niemandem verwandt, ich bin niemandem was schuldig, ich brauche weder eine Förderung noch einen Job.
Was ist denn das Wahlziel?
Wir übergeben derzeit die Aufgaben laufend an das neue Team. Rund zehn Personen sind bereits unterwegs, gehen von Tür zu Tür, sprechen mit den Menschen und betreuen unsere Stände in der Innenstadt. Mit rund 20.000 Euro ist unser Budget bescheiden – aber transparent. Bei der Gemeinderatswahl möchten wir zumindest zwei Mandate erreichen – als Einzelkämpfer ist es immer viel schwieriger, als wenn du gemeinsam arbeiten kannst. Das Potential von Neos ist in St. Pölten groß, das wissen wir aus den vergangenen Ergebnissen bei Landes- und Bundeswahlen.
Wird die SPÖ ihre absolute Mehrheit verlieren? Wären Sie offen für eine Zusammenarbeit?
In Österreich kommen absolute Mehrheiten zwar demokratisch zustande, aber sie behindern dann die demokratische Kultur, weil sie den Kompromiss ausschalten. Natürlich wollen wir nach der Wahl mitgestalten und zum Positiven verändern können, demnach sind wir auch gesprächsbereit – aber über Inhalte und Zukunftspläne, nicht vorrangig über Funktionen oder Positionen. Die SPÖ wird wohl Stimmen verlieren, ob sie die Absolute halten kann, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Unabhängig davon gehe ich davon aus, dass es zwischen allen Fraktionen regelmäßige Treffen geben wird, in denen alle Gemeinderatsmitglieder informiert und eingebunden werden. (Lacht.) So oder so, ich freue mich jedenfalls schon riesig auf die regelmäßigen Jour fixes mit dem Bürgermeister, im Zuge dessen er laufend alle Gemeinderatsfraktionen informiert und es zu einem regen Austausch kommt.
Schauen wir uns die Neos-Standpunkte zu strittigen Themen in der Stadt an. Soll das REWE-Zentrallager wie geplant kommen?
Es ist richtig, dass man als Stadt an die wirtschaftliche Entwicklung denkt. Aber ich glaube nicht, dass der Standort für dieses Riesenprojekt geeignet ist – das Hochwasser im Vorjahr hat das bewiesen. Wir führen schon jetzt die Rankings beim Zubetonieren an, da wäre eine weitere Flächenversiegelung in dieser Größenordnung wirklich kein Renommee.
Braucht es die S 34?
Wenn wir über die Mobilität der Zukunft nachdenken, dann werden wir bei jedem Antrieb Straßen brauchen. Also eine Straße an sich ist ja nicht schlecht. Auch die S 34 soll gebaut werden. Aber das aktuelle Bauvorhaben basiert auf völlig veralteten Planungen und gehört redimensioniert – und womöglich auch über Gemeindegrenzen gedacht. Generell zum Verkehr: Wir wollen den öffentlichen Verkehr forcieren und – plakativ formuliert – einen Ausgleich schaffen zwischen den Ökoträumern am Lastenfahrrad und den Gewerbetreibenden in der Innenstadt. Kleinere Transporteinheiten könnten da flexibler und kostengünstiger sein, sie müssen aber auch für Leute einfach funktionieren, die nicht mit digitalen Lösungen großgeworden sind – ähnlich dem Anrufsammeltaxi-System. Diese großen Ideen müssen aber auch Hand in Hand mit kleinen Lösungen im Alltag gehen. Eine ältere Dame erzählte mir, wenn sie mit dem Taxi zum Arzt in der Innenstadt will, bräuchte sie einen Behindertenausweis. Das kann es doch nicht sein! Einerseits sperren wir die Taxis aus, andererseits steigen die Kosten für Krankentransporte, weil die Leute mit dem Roten Kreuz zum Arzt fahren.
Heftig umstritten sind auch der neue Domplatz und die Umgestaltung der Promenade zum „Grünen Loop“. Was halten Sie davon?
Auch da fehlt mir eine transparente Prioritätenliste. Was sind die Aufgaben der Stadt? Welche Leistungen wünschen sich die Bürger und welche Budgetmittel braucht man dafür? Bevor man als Prestigeprojekt die Promenade umbaut, sollte man mehr Stützkräfte in die St. Pöltner Schulen schicken, damit Junglehrer nicht ins Burnout schlittern. Ich denke da an die Londoner School Challenge, bei der gezielt jene Schulen mit mehr Mitteln gefördert wurden, in denen es Probleme gab, die Kinder schlechter abschnitten. Das löst rasch Probleme und schafft bessere Chancen für die Jungen. Zum Domplatz: Ich trage eine Smartwatch und habe sie an einem Sonnentag Ende August zwanzig Zentimeter über den Domplatz-Boden gehalten – es kam eine Warnmeldung ich soll den Ort verlassen und in den Schatten gehen, hier sei es gefährlich. Ich verstehe ja, dass der Denkmalschutz gewisse Vorgaben nötig macht, aber diese Betonwüste will keiner. Die Stadt sollte jetzt Expertenmeinungen von außen holen, die sollen Möglichkeiten ausloten, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Das stellt man dann den Bürgerinnen und Bürgern vor und die Mehrheit soll entscheiden, was umgesetzt wird. Ich verstehe nicht, wieso dieses Problem seit Jahren nicht gelöst wird. Die fünf verwordagelten, mobilen Bäume braucht jedenfalls keiner.
Was wären Ihnen denn Herzensanliegen und wo würden Sie einsparen?
Zwei Themen sind mir besonders wichtig. Das ist zum einen der Bildungsbereich. Da kann die Stadt im Bereich von Schulsozialarbeit beispielsweise ganz viel selber machen, auch wenn man den Mut hat die sogenannten Brennpunktschulen ehrlich zu benennen und sich ihrer anzunehmen. Wir brauchen eine zusammenwachsende Bevölkerung und keine sich spaltende. Wenn wir in Bildung investieren, die Kinderbetreuung ausbauen, dann hilft uns das auch beim Problem der weiblichen Altersarmut. Der zweite Bereich betrifft die Transparenz. Wenn ich höre, dass Sitzungen des Gemeinderates nicht mehr aufgezeichnet werden und die Bürger nicht mehr unkompliziert nachschauen können, was in diesem Gremium besprochen und beschlossen wird, dann frage ich mich: Cui bono? Wem nützt das? Natürlich der SPÖ, die anderen Argumenten und Meinungen keine Plattform bieten will und deren Mandatare nur dort sitzen, um im richtigen Moment die Hand zu heben. Das kann doch nicht ernsthaft geplant sein, dass man diese Übertragungen einstellt? Ich will sogar weitergehen und ein Wortprotokoll einführen, es soll einfach transparent sein, wer sich in diesem Gremium wofür einsetzt. Das schaffen andere Städte ja auch.
Und wo würden Sie sparen?
Klar definieren, was die städtischen Aufgaben sind und dann schauen, was man sich leisten kann. Die Prestigeprojekte der letzten Jahre sind ja bekannt. Das aus Trotz hochgezogene Tangente-Festival hat ja super geklungen, aber nach dem Auftakt beim Straßenfest habe ich nichts von ihm mitbekommen. Oder das Kinderkunstlabor – hätte man das Geld in ein Seniorenprojekt gesteckt oder würde man damit den Bildungs- und Sozialbereich stärken, es würde wohl mehr Menschen zugutekommen. Bei zukünftigen Investitionen muss also die Auswirkung auf die Stadtfinanzen mitbeurteilt werden. Ein schönes Beispiel ist ja die Linzerstraße, die ich auch als Anrainer sehr gut kenne. Da wird herumexperimentiert ohne die Beteiligten zu fragen, die aktuelle Begegnungszone braucht kein Mensch und ansässigen Gastronomen verwehrt man sogar einen Schanigarten.
Was passiert, wenn Sie den Einzug in den Gemeinderat nicht schaffen?
Auch auf die Gefahr hin, wie ein Politiker zu klingen: Wir werden ihn schaffen. Aber es gibt ja Gemeinden, in denen Neos nicht im Gemeinderat sitzt. Dort machen wir dann Politik vor dem Rathaus – so gut es eben geht. Mit dem neuen Informationsfreiheitsgesetz haben wir ja glücklicherweise auch etwas bessere Möglichkeiten auf Transparenz zu achten.
ZUR PERSON
Bernd Pinzer wurde 1968 in Villach geboren, seit 1988 lebt er in Wien bzw. Niederösterreich. Mit den Neos zog er 2015 in den Gemeinderat von Zwentendorf an der Donau ein. Seit 2018 arbeitet er als Klubdirektor der Neos im NÖ-Landtag. Seit drei Jahren lebt er in St. Pölten. Für die nächste Gemeinderatswahl wird er für die Neos an vorderster Front kandidieren.





