MFG - Kein Signa-Erdbeben in St. Pölten
Kein Signa-Erdbeben in St. Pölten


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St. Pöltens gute Seite

Kein Signa-Erdbeben in St. Pölten

Text Johannes Mayerhofer
Ausgabe 03/2024

Die Pleite des Signa-Konzerns lässt in Städten wie Hamburg oder München Projekte und Innenstädte kriseln, die aktuell absehbaren Folgen für St. Pölten sind jedoch begrenzt. Die „Rossmarkthöfe“ und die WWE-Wohnungen kommen, Kika/Leiner ist weitgehend stabil.

René Benko hat einen Teil seines Privatvermögens in diversen Privatstiftungen geschützt, gleichzeitig sorgt das Insolvenzgeschehen rund um sein intransparentes Immobilien-Imperium für Sorgenfalten in zahlreichen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wie geht es mit Galeria Karstadt Kaufhof weiter? Was wird aus Signa-Projekten wie dem Hamburger Elbtower? Werden manche Innenstädte empfindlich durch den Signa-Untergang leiden? 
St. Pölten ist mit der Signa-Gruppe vor allem durch drei Faktoren verbunden: das Wohnbauprojekt auf den WWE-Gründen, das Projekt „Rossmarkthöfe“ und das Kika/Leiner-Möbelhaus mit Zentrale in St. Pölten und bis letztes Jahr im Eigentum der Signa. Und gesamt betrachtet lässt sich (aus heutiger Sicht) sagen, dass die Landeshauptstadt vergleichsweise sehr glimpflich davongekommen ist.

WWE-Projekt in trockenen Tüchern, Baustart 2024 ist aber noch ungewiss
Was das Wohnprojekt auf den WWE-Gründen angeht, so zeigt man sich beim Co-Bauträger ARE gelassen und nüchtern. „Die derzeit erforderlichen operativen Schritte verlaufen plangemäß“, heißt es auf Anfrage des MFG-Magazins. ARE setze das Projekt schließlich nicht mit der von Insolvenz betroffenen BAI Bauträger Austrian Immobilien GmbH, sondern mit der BAI Invest GmbH & Co KG um. Ende Februar erfolgte eine Aufteilung der Baufelder zwischen ARE und der Signa-Firma BAI, die auch schon vor den Insolvenzen bei SIGNA und BAI in Planung gewesen sei. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass ARE aus der gemeinsamen Projektgesellschaft mit BAI ausgestiegen ist. Dies betrifft die Baufelder D1 und E. Die ARE-Anteile an der WWE wurden an BAI übertragen, welche nun Alleingesellschafterin in Bezug auf die Bauplätze A, B und C ist.
Auch am Umfang des Projektes werde sich nichts ändern. „Das Projekt ist nach wie vor mit insgesamt rund 500 Wohneinheiten geplant, wobei auf die beiden Baufelder der ARE rund 250 Wohnungen entfallen“, erklärt ARE. Einzig ob sich der ursprünglich anvisierte Baustart 2024 noch ausgeht, ist ungewiss.
Vonseiten der Stadt St. Pölten zeigt man sich ebenfalls unaufgeregt angesichts des vorbeiziehenden Signa-Insolvenzgeschehens. „Aktuell ist die BAI noch an WWE beteiligt“, bestätigt auch der städtische Pressesprecher Thomas Kainz. Die Stadt stehe in ständiger Abstimmung mit ARE, die Entwicklung des Projekts gehe „langsam aber stetig in die richtige Richtung.“ „Dass das Projekt tot sei, davon ist uns nichts bekannt“, so Kainz.

Zickzack-Kurs rund um Kauf und Verkauf der Bauflächen
Eine kurze Hintergrundgeschichte: Die WWE-Gründe befinden sich auf dem Gebiet der heutigen Traisen-Au neben dem Viehofner See und dem Glanzstoff-Areal. Im Jahr 2015 wurde ein EUROPAN-Wettbewerb für dieses Areal ausgerufen, aus dem das Projekt „Elastic City“ als Gewinner hervorging. Rund um das Projekt eines Stadtquartiers auf den WWE Gründen kam es in den vergangenen Jahren aber zu einem Hin und Her, sollten doch nach ursprünglicher Planung 720 Wohnungen bei dem Standort entstehen. Die politische Brisanz des Problems des Flächenverschleißes und die Kritik an „unkontrolliertem Stadtwachstum“ führten schließlich dazu, dass die Stadt St. Pölten rund 40.000m² vor allem im Süden des einst von  Grün- auf Bauland umgewidmeten Areals um etwa 1.75 Millionen Euro wieder zurück kaufte – selbstverständlich unter kritischer Beobachtung durch die politische Opposition. Die Zahl der zu errichtenden Wohneinheiten wurde auf 500 gesenkt.

„Kika/Leiner ist St. Pölten, St. Pölten ist Kika/Leiner“
St. Pölten und das Möbelhaus Kika/Leiner scheint es sich wie mit zwei Fingern an derselben Hand zu verhalten. Jedenfalls ist klar: Wenn bei dem Unternehmen mit Wurzeln und Zentrale in St. Pölten Turbulenzen auftreten, tangiert dies den Wirtschaftsstandort und ist ein Lokal-Politikum. „Kika/Leiner ist St. Pölten. St. Pölten ist Kika/Leiner“, bekräftigte die Stadt den Stellenwert des Unternehmens, als im Herbst 2018 bekannt wurde, dass man sich von rund 830 Mitarbeitern trennen wird, 50 davon in der Zentrale in der Landeshauptstadt. Dies geschah im Zuge des Kika/Leiner-Verkaufs durch den damaligen südafrikanischen Eigentümer Steinhoff International Holdings an den Signa-Konzern im Juni 2018. Exakt fünf Jahre später wiederholt sich das Szenario, allerdings mit weit schwereren Folgen für Unternehmen und Belegschaft. Die Signa-Gruppe verkaufte das Möbelhaus an die Grazer Supernova Invest GmbH. 23 der 40 Filialen mussten geschlossen werden, etwa die Hälfte der 3.900 Mitarbeiter zählenden Belegschaft wurde gekündigt. „Aktuell beschäftigt Kika/Leiner 1.900 Mitarbeiter“, bestätigt das Unternehmen.

Entlassungen im Logistikbereich, Standort bleibt erhalten
Wie hat sich die Lage für das Unternehmen und seine Belegschaft insgesamt und am Standort St. Pölten entwickelt? „Der Sanierungsplan, den der neue Eigentümer den Gläubigern vorgelegt hat, wurde mit Ende September von diesen angenommen und die Insolvenz wurde aufgehoben. Damit ist das Unternehmen seit Oktober 2023 wieder unter Eigenverwaltung“, wird auf Anfrage des MFG-Magazins resümiert. „Im Rahmen der erfolgreichen Sanierung von Kika/Leiner wurde der Bereich Logistik im Jänner 2024 nochmals evaluiert und die Geschäftsleitung hat die Entscheidung getroffen, einen Teil der Logistik an das Unternehmen JCL Logistics Austria auszulagern.“ JCL Logistics hat den Fuhrpark und Teile der Lagerlogistik mit März 2024 übernommen, 67 der bislang 431 Mitarbeiter des Logistik-Bereiches sind oder werden entsprechend der geltenden Fristen gekündigt. Ein Teil wird jedoch von JCL Logistics übernommen. Wichtig für St. Pölten: Der Standort mit Firmenzentrale, Filiale und Abhollager bleibt erhalten. Auf zweimalige explizite MFG-Anfrage, wie viele Mitarbeiter aktuell konkret am Kika/Leiner-Standort beschäftigt sind und wie viele von den aktuellen Logistik-Entlassungen betroffen sind, gab es vom Unternehmen lediglich einen erneuten Verweis auf die 67 gesamten Entlassungen. Bezüglich einer Einschätzung der aktuellen Marktlage heißt es vage: „Die Ergebnisse bewegen sich innerhalb des vorgelegten Sanierungsplanes. Die Geschäftsleitung ist mit dem Wiederaufbau von Kika/Leiner zufrieden, bessere Ergebnisse sind leider aufgrund der aktuell schwierigen Konjunkturlage nicht möglich.“

SÜBA kündigt Bodenentsiegelung bei Projekt „Rossmarkthöfe“ an
Und dann wäre da noch das Großprojekt „Rossmarkthöfe“ am St. Pöltner Rathausplatz. Der Verkauf des Projekts durch Signa an die Wiener SÜBA AG des Unternehmers und Investors Klemens Hallmann Ende 2022 war eines der ersten Anzeichen für den Zerfall des Signa-Imperiums. Die ursprünglichen Signa-Pläne sahen ein vielfältig nutzbares Stadtquartier auf einer Fläche von 9.000m² auf dem Areal des alten Leiner-Gebäudes bis hin zur Promenade vor. Geplant waren sowohl ein Hotel, ein Konferenzzentrum und 180 Wohnungen. In den 14 Monaten seit der Übernahme durch SÜBA AG hat sich hinsichtlich eines Baustarts allerdings noch nichts bewegt und das Unternehmen bestätigt, dass eine „umfassende Umplanungsphase“ voraussichtlich Ende 2024 abgeschlossen sein, die ersten Bagger also wohl im Jahr 2025 heranrollen werden. Dass auch die lokale Stadtpolitik aktuell kein Interesse an einer Großbaustelle in der Innenstadt hat, erklärt sich aus dem Umstand, dass St. Pölten 2024 Landeskulturhauptstadt ist.
Damit sind einerseits Gerüchte vom Tisch, Unternehmer Hallmann habe seinerseits Pläne, das Projekt erneut weiterzuverkaufen. Andererseits wird betont, dass bei den „Rossmarkthöfen“ viel Augenmerk auf Energieeffizienz und Nachhaltigkeit gelegt werden soll. Dies soll durch einen Verzicht auf fossile Energieträger erfolgen. Der Komplex soll einen „vielfältigen Nutzungsmix“ bieten und zur „Aufwertung des Areals“ beitragen. Weiters sollen im Rahmen des Stadtquartiers nicht nur der weiteren Flächenversiegelung Einhalt geboten, sondern zur Entsiegelung von Flächen beigetragen werden. Zwar ist es noch etwa ein Jahr bis zum Baustart, jedoch nennt die SÜBA AG auf explizite Anfrage des MFG-Magazins keine konkreten Maßnahmen, wie Energieeffizienz erreicht und Flächenentsiegelung gewährleistet werden soll. Auch die Frage, wie sich die aktuellen „Rossmarkthöfe“-Pläne von den ursprünglichen Vorhaben der Signa-Gruppe unterscheiden, bleibt vorerst durch das Bauunternehmen unbeantwortet.
Die Stadt St. Pölten betont die enge Abstimmung zwischen SÜBA AG mit den Behörden, auch mit dem Gestaltungsbeirat. Zwar habe sich auf den betroffenen Grundstücken vor allem im Bereich Rathausplatz baulich wenig getan. Eine Frist in Form eines Bauzwangs könne die Stadt über SÜBA AG nicht verhängen: „Solange nicht Gefahr im Verzug herrscht, gibt es bei privaten Grundstücken grundsätzlich keine Möglichkeit einzuschreiten.“

Opposition kritisiert Planung, Mehrkosten, und Profitstreben durch Immo-Firmen
Welche Stimmen sind dazu aus der St. Pöltner Stadtpolitik zu hören? Von „Projekten mit großer strategischer Bedeutung“ spricht VP-Klubobmann Florian Krumböck. Dies gelte vor allem für die „Rossmarkthöfe“. Er kritisiert jedoch schwache öffentliche Kommunikation der SPÖ-Stadtregierung und mangelhafte Informationen. „Abseits der notwendigen öffentlichen Verfahren zur Änderung des Bebauungsplans wurden die St. Pöltner im Dunkeln gelassen. Die Situation änderte sich auch mit dem Verkauf des Projekts an einen neuen Projektwerber nicht“, sagt Krumböck. „Ganz im Gegenteil: Schon jetzt gibt es wieder Gerüchte über mögliche Um- oder Neuplanungen aber keinerlei Diskussion innerhalb des Gemeinderats darüber.“ Mit Leiner sei „ein Flaggschiff des Handels“ aus der Innenstadt weggezogen, Tchibo und Libro seien gefolgt. „Das hat die Situation in der Innenstadt verschärft, der österreichweit von gewissen Frequenzbringern abhängig ist.“ Bezüglich des künftigen Stadtquartiers am Rathausplatz wünsche sich die Stadt-VP eine Ergänzung. So solle bei den „Rossmarkthöfen“ neben Wohnen, Gastronomie und Hotellerie auch ein Schwerpunkt für den Handel gesetzt werden.
Die zähe Umsetzung des WWE-Wohnprojekts sieht Krumböck durchaus positiv. „Als Volkspartei haben wir immer auf die fehlende soziale Infrastruktur im Norden der Stadt und die Überforderung für das Naherholungsgebiet verwiesen. Aus diesem Grund war die Verkleinerung des Projekts schon ein politischer Erfolg für uns.“
Heftige Kritik übt der Neos-Gemeinderat Niko Formanek: „Die Projekte WWE-Gründe und Rossmarkthöfe sind ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn intellektuell und wirtschaftspolitisch überforderte Politiker auf knallharte, skrupellose Immobilienentwickler, egomanische Bauunternehmer und eine veritable Wirtschaftskrise mit Inflation und aus dem Ruder laufenden Kosten treffen.“ An dem Projekt WWE-Gründe kritisiert er, dass anstatt der geplanten 25 Meter hohen Wohntürme nur eine gerodete Brachfläche zu sehen sei. Auch die Vorgänge um den Verkauf und Rückkauf der Baufläche durch St. Pölten sieht Formanek kritisch. „Plötzlich sollte das Projekt von 720 auf 520 Wohnungen reduziert werden, um mehr Grünflächen zu ermöglichen. Man hatte also Grund verkauft, bei dem man erst danach drauf gekommen ist, dass man Teile davon wieder zurückhaben möchte, um Proteste der St. Pöltner Bevölkerung zu befrieden.“ Ob es mittlerweile eine Einigung zwischen der Stadt und jenen zwei landesnahen Gesellschaften gibt, die jene Anteile halten, die St. Pölten für seine Pläne haben will, ist noch nicht bekannt. Gleiches gilt laut Formanek hinsichtlich des Preises.
Bezüglich der „Rossmarkthöfe“ konstatiert Formanek eine Schönwetter-Politik. „Solange die Wirtschaft brummt, ist alles möglich, weil Fantasiebewertungen von Immobilen für hohe Kredite sorgen, Zentralbanken Geld drucken, Länder und Gemeinden frisch fröhlich Kredite aufnehmen und sämtliche Folgen dafür auf nächste Generationen verschieben“, sagt der Neos-Einzelkämpfer. Erst wenn die Wirtschaft ins Stottern gerate und Folgen von Inflation, Energiekrise und Kriegen deutlich würden, werde klar, dass „auf Pump gebaute Immobilien sich nicht selbst finanzieren.“ Er betont, dass der ursprüngliche Baustart – damals noch unter Signa – für 2022 geplant war, nun aber bestenfalls erst 2025 erfolgen würde. Kritisch sehe er, dass von Bundes- bis zur Lokalpolitik vermeintliche Förder- beziehungsweise „Eigentumsprogramme“ (Wortkreation Karl Nehammers) in Milliardenhöhe in die Hand genommen würden, um die Immobilien- und Baustagnation zu lösen. „Die Regierung, Parteien oder Politiker nehmen gar nichts in die Hand. Die einzigen, die am Ende das Geld wirklich in die Hand nehmen werden und denen es auch gleich wieder entrissen wird, sind die Steuer- und Gebührenzahler, also wir.“
Die Grünen St. Pölten sehen bei beiden Projekten Profitstreben als Hauptmotiv. Bei den „Rossmarkthöfem“ sei eine „extrem hohe und dichte Bebauung“ geregelt worden, die Stadt habe es allerdings versäumt Qualitätsverbesserungen zu erwirken. So würde das Projekt keinen Mehrwert für die Bevölkerung bringen. „Nicht einmal eine einfache Maßnahme wie Dachbegrünung wurde vorgeschrieben“, kritisiert Grünen-Gemeinderat Walter Heimerl-Lesnik. 
Beim Projekt der WWE-Gründe befürchtet er Kosten für die Stadt in Millionenhöhe: „Im gültigen Flächenwidmungsplan ist unter anderem die Sanierung der Glanzstoff-Altlasten auf Kosten der WWE geregelt. Seit dem Ausstieg von Stadt und Land aus WWE gehören 60 Prozent der Anteile der Signa und 40 Prozent dem Bund. Im Zuge dieses Gesellschafterwechsels erwarb die Stadt einen Teil des Grundstücks einschließlich der Glanzstoff-Altlast.“ Offenbar beabsichtige die Stadt, die vertraglich zugesicherte Altlastensanierung durch die WWE zu streichen, da nach Aussage des Vizebürgermeisters die WWE nicht mehr dafür aufkommen werden wolle, wenn sie nicht mehr Eigentümer ist. Heimerl-Lesnik schätzt daher, dass Sanierungskosten von 1,5 bis 2 Millionen Euro auf die Stadt zukommen werden. Eine Rückmeldung der FPÖ kam nicht mehr vor Redaktionsschluss an.