MFG - Ende der Odyssee 2001
Ende der Odyssee 2001


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Ende der Odyssee 2001

Text Johannes Reichl
Ausgabe 03/2024
St. Pölten hat sich verändert. Zum Positiven! Ich kann mich noch gut erinnern, als ich im Vorfeld der Volkszählung 2001 als „Callboy“ Zweitwohnsitzer anrief, ob sie nicht quasi doch auf Hauptwohnsitz upgraden möchten. Geholfen hat es wenig (was hoffentlich nicht an meinen Keilerkünsten lag) – die Stadt fiel damals unter die ominöse 50.000-Einwohner-Marke, was mit einem Verlust sogenannter Ertragsanteile einherging. Anders ausgedrückt: St. Pölten erhielt weniger Geld vom Bund. Die Gesichter waren lang, die Stimmung depressiv, wieder einmal hatte sich das Image vom Provinznest bestätigt, wo es niemanden hinzieht, ja die Leute sogar das Weite suchen.
Mitte Februar dieses Jahres machte dann eine vermeintliche Frohbotschaft die Runde: St. Pölten war im Vorjahr mit einem Bevölkerungsplus von 2,1% die am stärksten wachsende Statutarstadt Österreichs. Knallten darob aber die Sektkorken, klopfte man sich anerkennend auf die Schulter, fiel man sich wie weiland Edi Finger,  Kollege Riepl und DI Posch um den Hals und busselte sich ab? Mitnichten. Stattdessen berief die ÖVP eilig eine „Hauptstadtkonferenz“ ein, um über „Wachstumsschmerzen“ zu philosophieren, und der Medienservice der Stadt, sonst nicht unbedingt ein Kind von Mitteilungstraurigkeit, verschwieg überhaupt die Nachricht und schickte stattdessen am selben Tag die packende Aussendung „Meisterkonzerte starten mit Jazz und Tanz in das Frühjahr“ aus. Was war da los? Warum die noble Zurückhaltung bis Distanzierung? Wollte man die Details nicht breitreten? So weist St. Pölten nach wie vor eine negative Geburtenbilanz auf, das heißt es sterben hier mehr Personen als geboren werden. Der Wanderungssaldo dahingegen ist positiv, es ziehen also mehr Menschen zu als wegziehen, und zwar sowohl aus Österreich als auch – in noch höherem Maße – aus dem Ausland. Und natürlich geht Wachstum mit Herausforderungen in Bereichen wie Verkehr, Wohnbau, Bildung, Integration etc. einher. ABER: Diese sind durch umsichtige Stadtplanung allemal in den Griff zu bekommen. Wir reden bitteschön noch immer von St. Pölten, einer überschaubaren Kleinstadt mit knapp 60.000 Einwohnern, nicht von Linz oder Graz, geschweige denn Wien – und die bringens auch auf die Reihe. 
Viel spannender ist doch die Frage, WARUM St. Pölten wächst? Die Antwort ist absolut positiv: Weil es schlichtweg an Ausstattungsqualität und Anziehungskraft gewonnen hat. Und zwar nicht nur für Menschen, die hier leben möchten, sondern auch für Betriebe, die ihrerseits das Gesamtpotenzial heben. Jüngstes Beispiel ist die Entscheidung des Vorarlberger Industrie-Konzerns Blum, in St. Pölten ein neues Werk zu errichten. In Wahrheit eine Sensation, an der nicht zuletzt auch das Land Niederöster-reich gehörig Anteil hatte, wie überhaupt das Bekenntnis des Landes zu seiner Landeshauptstadt einen der Erfolgsfaktoren der letzten Jahre darstellt. 2001 konnte man davon nur träumen. Am öffentlichkeitswirksamsten manifestierte sich das neue Miteinander in der gemeinsamen Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2017 – ja, so lange ist das schon wieder her – die zwar bekanntermaßen scheiterte, aber nun in einer Art Slimversion als „Kultur St. Pölten 24“ und „Tangente“-Festival an der Startrampe steht. Sie sollen die nächsten Trägerraketen für St. Pöltens Weiterentwicklung werden. Am 30. April wird die Tangente eröffnet, und wie ehedem die Zuseher vor der ersten Mondlandung sitzen wir quasi gebannt vorm Fernseher und fragen uns: Wird die Mission gelingen? Alles scheint möglich bei dem Projekt, das für viele nach wie vor nicht greifbar ist: Vom kapitalen Fehlstart über einen veritablen Crash bis hin – so die Hoffnung – zum erfolgreichen Einschwenken in eine neue, höhere Umlaufbahn, die St. Pölten endgültig zu den anderen Landeshauptstädten in Sachen Image aufschließen lässt. Eines steht fest. Die Odyssee 2001 ist zu Ende. Gut so! Jetzt beginnt eine neue Reise, und wer weiß – vielleicht dringen wir dabei in Galaxien vor, die St. Pölten nie zuvor gesehen hat. In diesem Sinne, frei nach Captain Jean-Luc Picard: Energie!