MFG - Warum die Klimakleber erfolglos bleiben
Warum die Klimakleber erfolglos bleiben


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St. Pöltens gute Seite

Warum die Klimakleber erfolglos bleiben

Text Georg Renner , Jakob Winter
Ausgabe 09/2023
GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger ist freier Journalist bei der Wiener Zeitung und DATUM.

Ich bin ja nicht sicher, ob es das ist, was die Klimakleber wollten. Aber immerhin haben sie es geschafft, dass meine Kinder am ersten Schultag 18 Kilometer Schulweg geradelt sind, statt mit dem Auto zu fahren. 
Wie alle Eltern bin ich von der panischen Angst verfolgt, meine Kinder könnten zu spät zur Schule kommen. (Sie wissen schon, man ist einmal unpünktlich, broken windows, das Abgleiten in die Gosse ist praktisch unumgänglich.) Insofern war die Protestaktion der Kleber am Europaplatz eine Woche vor Schulbeginn psychologische Kriegsführung vom Feinsten. Einschlägige Elterngruppen brodelten die Tage danach mit dem Gerücht, jemand habe fix gehört, dass die Jugendlichen just zu Schulbeginn eine neue Aktion planen würden.
Also ja, per Rad von der Stadtgrenze in die Schule. Ich mit zwei Schultaschen am Rücken, weil das war dem Nachwuchs dann doch nicht zuzumuten. Das Wetter war perfekt dafür, ein schönes Radeln der Traisen entlang, kann man empfehlen, den Kindern hat es auch gefallen. Vielleicht machen wir es öfter. Dass es dann am Tag selbst keine Klebe-Aktion in StP gab, geschenkt.
Das war die gute Seite. Die andere Seite ist, dass die Klimakleber eine Truppe sind, die nach unten tritt: Sie belästigen nicht die Regierung, nicht irgendwelche Ölkonzerne, niemanden, der unmittelbar etwas an der Situation ändern kann. Sie schaden Eltern, die ihre Kinder bringen wollen, Firmen, denen Auftäge entgehen, Arbeitern, die nach der Schicht nach Hause wollen. Das bringt das berechtigte Anliegen, mehr Klimaschutz zu fordern, völlig in Verruf, es schadet der Sache und ist menschlich elend. Ja, ihre Aktionen sind vom Versammlungsrecht gedeckt und das ist richtig so – aber nachweinen wird diesen Protesten keine Mensch. 
Dass wir das mit dem Treibhausgas-Ausstoß unter Kontrolle bringen müssen, bleibt trotzdem richtig, Fanatikern, die sich auf die Straße kleben, zum Trotz. (Justament zu sagen „z’fleiß tun wir jetzt nichts!“ wäre kindisch.) Und: Wir werden es auch schaffen. Zum Beispiel einfach mal öfter mit dem Rad fahren.

JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.

Protest kann eine starke Waffe bei der Durchsetzung der eigenen Interessen sein. So wie es die Klimakleber anlegen, wird daraus aber nichts.
Wie es besser ginge? Bewegungen können auf drei Arten Erfolg haben. Erstens: Als destruktiver Protest. Streiks von Piloten und Zugführern haben auf den ersten Blick viel mit den Klimablockaden gemeinsam. Menschen werden daran gehindert, von A nach B zu kommen. Allerdings nimmt das Flug- und Zugpersonal die Verspätungen der Passagiere bloß als Kollateralschaden in Kauf – ihr eigentliches Ziel ist, den Airlines und Bahngesellschaften Verluste zuzufügen, die ihre Reisegäste teuer entschädigen müssen. So bauten Beschäftigte bei Lohnverhandlungen immer wieder erfolgreich Druck aufs Management auf. Die Klimablockaden schaden allerdings nur den Verkehrsteilnehmern. Der Regierung – die das eigentliche Ziel der Aktion ist – können die Klebeaktionen ziemlich egal sein. Damit verpufft der intendierte Effekt nicht nur, die Blockierer ziehen auch den Hass der Blockierten auf sich und diskreditieren damit die Klimabewegung insgesamt. 
Zweitens: Als Massenprotest. Wenn Zehntausende zusammen auf die Straße gehen und im Kollektiv ihren Ärger entladen, ist das ein unüberhörbares Signal an Regierende, Medien und alle Bürgerinnen und Bürger des Landes. Die Demonstrationen gegen die Justizreform in Israel, gegen restriktivere Abtreibungsgesetze in Polen, aber auch die Gelbwestenproteste in Frankreich haben ihre Wucht durch die große Zahl ihrer Anhänger.
Drittens: Als Verhinderungskommando. Die Gründung der Grünen wurzelt in Österreich in dieser Protestform. Umweltschützer verhinderten durch die Besetzung der Hainburger Au, dass Holzfäller anrücken konnten, um die Bäume zu roden. Die Verzögerungstaktik funktionierte aber nur, weil sich auch die Stimmung in der Bevölkerung zugunsten der Besetzer drehte. Und die Regierung das Bauvorhaben abblasen musste.
Wenn es den Klimaklebern nicht gelingt, ihre Proteste an die Richtigen zu adressieren, werden sie ein Minderheitenprogramm bleiben.