MFG - Denken wir beim Einkaufen mittlerweile auch an morgen?
Denken wir beim Einkaufen mittlerweile auch an morgen?


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Denken wir beim Einkaufen mittlerweile auch an morgen?

Text Georg Renner , Jakob Winter
Ausgabe 03/2023
GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger arbeitet als Journalist bei der „Kleinen Zeitung“.

Für eine gute Sache bin ich durchaus bereit, manches bemühte Wortspiel zu vergeben – und die „Come Bäck“-Taschen der Bäckerei Hager sind so eine gute Sache. Um ein paar Euro verpackt die St. Pöltner Kette da übrig gebliebenes Gebäck vom Vortag und bietet es so noch einmal zum Verkauf an, statt es einfach zu entsorgen. Das ganze gibt es auch über die „Too Good To Go“-App, die anzeigt, wo es solche Sackerln zu erwerben gibt.
Wenn Kollege Winter und ich uns entscheiden, welchem Thema wir uns an dieser Stelle widmen, wird es üblicherweise schnell zynisch, unerfreulich, schadenfroh oder alles davon auf einmal. Wir hätten heute also über die SPÖ schreiben können, über die jahrzehntelangen Versäumnisse bei der Klimapolitik oder über den Europaplatz. Stattdessen würde ich diesmal gern etwas Positives hervorheben, bei dem ich bei allem Bemühen nicht viel auszusetzen habe.
Also: Dass ein regionales Unternehmen mit enormer öffentlicher Präsenz überzeugt ist, mit dem Thema Nachhaltigkeit zu punkten, ist eine super Sache. Die Frage, wie wir unsere begrenzten Ressourcen einsetzen – Nahrungsmittel ganz besonders – ist eine zentrale politische Frage. Wenn ein Betrieb jetzt von sich aus alte Weckerl in eine Ehrenrunde schickt (oder aus altem Brot neue bäckt), ist das ein kreativer Lösungsansatz für ein wirtschaftliches, letzten Endes aber auch moralisches Problem: Essen wegzuschmeißen ist ja weit über die CO2-Bilanz der Lebensmittel hinaus etwas, das es zu vermeiden gilt.
Denn Hagers Initiative steht nicht nur für ein Umdenken auf Unternehmerseite – sondern auch dafür, dass man mit einer solchen Aktion auch bei Konsumenten Meter machen kann. Das ist ein schönes Zeugnis dafür, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeitsfragen wächst: Wo kommt meine Jause her? Welchen Fußabdruck hinterlassen wir dadurch auf der Welt? Was geschieht mit den Resten? Früher waren das Orchideenthemen, jetzt rücken sie nach und nach ins zentrale Sichtfeld der Konsumenten. Und das ist eine grundgute Sache.

JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.

Ganz ehrlich – wer denkt schon im Supermarkt kurz vor Kassaschluss daran, was aus den Früchten, dem Gemüse und den Backwaren wird, die es nicht mehr rechtzeitig ins Einkaufswagerl schaffen? Dabei ist es nur logisch: Der Überfluss im Angebot muss hinterher als Überschuss aussortiert werden. 750.000 Tonnen an Lebensmittelabfällen kommen in Österreich jährlich zusammen.
Alle tragen ihren Mist zum tonnenschweren Haufen bei – die privaten Konsumenten, der Handel, die Landwirte und die Gastronomie. Da kommt ein Unternehmen gerade richtig, das verspricht, Essen vor der Mülltonne zu retten. Die „Too Good To Go“-Sackerln sind inzwischen berühmt, über die App können Gastrobetriebe, Bäcker oder Supermärkte ihre übriggebliebenen Lebensmittel als Überraschungspakete anbieten – Kunden zahlen nur ein Drittel vom Originalpreis.
Klingt zu gut, um wahr zu sein? Ist es auch. Zwar kann die App dazu beitragen, bei Konsumenten das Problembewusstsein für Lebensmittelverschwendung zu steigern. Aufessen ist besser als entsorgen, da sind sich wohl alle einig. Auf den zweiten Blick ist „Too Good To Go“ aber nicht der Gamechanger, für den das Unternehmen viele halten. Die App hat den Überschuss zur Ware gemacht, ihn neu verpackt und ins digitale Verkaufsregal gestellt. Am Überschuss an sich ändert sich nichts.
Um den Müllberg zu verkleinern, braucht es mehr als neue Kaufanreize. Es würde schon helfen, wenn Supermärkte ihre „nimm mehr, zahl weniger“-Rabatte reduzierten. Viele lassen sich zur Großpackung verleiten und werfen hinterher einen Teil davon weg, weil sie ihn schlicht nicht verbrauchen. Es würde helfen, wenn Verbraucher ihre Einkäufe mit mehr Vorausschau planten.
Und dann wäre auch ein politischer Maßnahmenplan gefragt. Der würde damit beginnen, die Lebensmittelverschwendung systematisch zu messen, mit entsprechenden Vorgaben an große Betriebe. Denn auch wenn wir lieber gar nicht wissen wollen, wie viel Essen entsorgt wird, ist eine solide Datenbasis die Grundlage für Verbesserungen.