MFG - Keine Pädagogen zweiter Klasse
Keine Pädagogen zweiter Klasse


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Keine Pädagogen zweiter Klasse

Text Sascha Harold
Ausgabe 11/2021

Sie sind essenziell für das Funktionieren von Ganztagsschulen, doch in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt. Die Berufsgruppe der Freizeitpädagoginnen und -pädagogen kämpft mit oft schwierigen Arbeitsbedingungen und strukturellen Problemen.

Der Ausbau der Ganztagsbetreuung wird schon seit längerem politisch gefordert und gefördert. Wenn Eltern berufstätig sind, braucht es Möglichkeiten, Kinder auch nachmittags betreuen zu lassen. Um diesen Bedarf zu erfüllen, gibt es seit einiger Zeit den Beruf der Freizeitpädagogen, die für „sinnvolle Freizeitgestaltung“ an den Schulen sorgen sollen. In St. Pölten gibt es derzeit an 19 Schulstandorten so eine Betreuung im Rahmen der schulischen Nachmittagsbetreuung, außerdem an allen Landeskindergärten in der Stadt. In ganz Nieder­österreich sind laut Bildungsdirektion über 650 Freizeitpädagoginnen und -pädagogen im Einsatz – mit sehr unterschiedlichen Arbeitsbedingungen.
Denn wie so oft, wenn es in Österreich um das Thema Bildung geht, spielen Bund, Länder und Gemeinden mit, wenn es in die Praxis geht. Knapp die Hälfte der niederösterreichischen Freizeitpädagogen sind über die NÖ Familienland GmbH, ein Tochterunternehmen des Landes, angestellt. Ausgebildet werden die meisten Freizeitpädagogen an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich und der KPH Krems. Zwei Semester dauert der Lehrgang dort, der Bedarf nach Absolventen ist groß. Denn aufgrund des Personalmangels sind nicht nur ausgebildete Freizeitpädagogen an den Schulen im Einsatz. „Entsprechend den Vorgaben des Schulorganisationsgesetzes arbeiten bei uns neben Absolventinnen und Absolventen des Hochschullehrgangs Freizeitpädagogik auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher im Freizeitteil der schulischen Tagesbetreuung“, heißt es seitens des Familienlandes NÖ. Das führt dazu, dass sich auch die Bezahlung des Personals, je nach Ausbildung, unterscheidet. Auch zwischen den einzelnen Bundesländern und Trägervereinen variieren Bezahlung und Arbeitsbedingungen wie die Schülerhöchstzahlen. Die Vereinheitlichung des Berufsbildes, die das Bildungsministerium durch die akademische Ausbildung zur Freizeitpädagogin erreichen wollte, ist also häufig nur ein frommer Wunsch.
Ein Lied davon singen kann Eva-Maria Kappelmüller, die an einer St. Pöltner Volksschule die Nachmittagsbetreuung leitet. Die akademische Freizeitpädagogin fühlt sich von der Politik im Stich gelassen: „Unsere Arbeitsbedingungen sind mehr als prekär. Das schon vor dieser unsäglichen Pandemie, in der wir oft einfach nur im Stich gelassen wurden. Vor allem der Bereich der schulischen Nachmittagsbetreuung ist ein ziemlicher Fleckerlteppich, in dem sich Vorgaben von Bund, Ländern und der Gemeinde oft spießen.“ Theoretisch betreut ein Freizeitpädagoge maximal 25 Kinder, das ist die Zahl an der sich die Bildungsdirektion Niederösterreich orientiert. In der Praxis sind es, zumindest am Standort der Pädagogin, deutlich mehr. „Ich betreue derzeit gemeinsam mit einer Kollegin 62 angemeldete Kinder, bei dieser Zahl ist keine pädagogische Arbeit mehr möglich“, so Kappelmüller. Dabei sollten Freizeitpädagogen ja nicht nur einfach beaufsichtigen, sondern sinnvolle Freizeitgestaltung ermöglichen. Seitens der Stadt will man das so nicht stehen lassen: „Der Betreuungsschlüssel an unseren Standorten wird durch die Bildungsdirektion vorgegeben und richtet sich nach den Klassenhöchstzahlen, über 25 Kinder werden nur in Ausnahmefällen, wenn das pädagogisch vertretbar ist, betreut“, heißt es von Schulamtsleiter Andreas Schmidt. Die Nachmittagsbetreuung werde, so Schmidt weiter, seit Jahren flächendeckend umgesetzt und funktioniere auch gut. Auch in Sachen Bezahlung tue die Stadt etwas: „Die Stadt St. Pölten hat bereits vor einigen Jahren die Pauschalen für die Freizeitpädagoginnen auf mindestens 25 bzw. 30 Stunden angehoben, um so das Berufsbild der Freizeitpädagogin noch interessanter zu machen“, erläutert Schmidt.
Dass Niederösterreich auf dem Gebiet nicht immer konkurrenzfähig ist, zeigt ein Blick nach Wien. Dort werden Freizeitpädagogen auf Basis des Kollektivvertrags der Sozialwirtschaft Österreich bezahlt. „Alle Freizeitpädagogen mit entsprechender Qualifikation, also dem Hochschullehrgang Freizeitpädagogik oder gleichwertige andere Ausbildungen, haben bei Vollzeit, ohne anrechenbare Vordienstzeiten, ein Einstiegsgehalt von etwa 2.400 Euro“, erklärt Mario Rieder, Geschäftsführer von Bildung im Mittelpunkt, dem Wiener Pendant zum NÖ Familienland. Das sind brutto knapp 600 Euro mehr, als Kappelmüller derzeit in St. Pölten verdient – obwohl sie dort die Leitung der Tagesbetreuung übernimmt. Auch der Betreuungsschlüssel wird in der Bundeshauptstadt niedriger angesetzt. Während beim NÖ Familienland im Schnitt 22,7 Kinder pro Gruppe betreut werden, sind es in Wien in den offenen Volksschulen maximal 19 Kinder pro Freizeitpädagoge. Der Bedarf ist weiterhin hoch: „Wir haben aufgrund des starken Wachstums und Ausbaus der schulischen Tagesbetreuung in diesem Jahr 250 neue Freizeitpädagoginnen und -pädagogen eingestellt und auch in den nächsten Jahren wird sich der Zuwachs auf diesem Niveau halten“, so Rieder weiter. Damit wären im nächsten Schuljahr über 2.000 Freizeitpädagogen in Wien beschäftigt.
Doch auch in Wien haben Freizeitpädagogen mit Problemen zu kämpfen. Das weiß Sylvia Nösterer, die an der pädagogischen Hochschule Wien den Hochschullehrgang für Freizeitpädagogik leitet. „Die personelle Integration der Freizeitpädagogik an Schulstandorten bzw. die wertschätzende Grundhaltung gegenüber dieser so wichtigen Berufsgruppe ist noch nicht flächendeckend so gegeben, wie ich mir das wünschen würde“, führt die Ausbildungsleiterin aus. Auch gemeinsame Weiterbildung mit dem pädagogischen Personal der jeweiligen Schulen sei nur schwierig machbar. Mit denselben Problemen haben auch die niederösterreichischen Standorte zu kämpfen. Für Kappelmüller bleibt nur, sich mit der Praxis zu arrangieren. „Ich weiß schon, ich könnte einfach kündigen, in Wien arbeiten und dort mehr verdienen – aber darum geht es mir ja gar nicht in erster Linie. Ich mag St. Pölten, es ist meine Heimatstadt und ich möchte hier gerne meinen Arbeitsmittelpunkt haben und meine Skills einbringen“, so die Freizeitpädagogin, die die mangelhafte Situation nicht auf ihren Dienstgeber schieben möchte: „Länder und Bund geben die Rahmenbedingungen vor, die Gemeinden dürfen die dann ausbaden und haben selbst oft wenig Spielraum.“