MFG - Wahl-Gag oder Substanz – kommt der Südsee?
Wahl-Gag oder Substanz – kommt der Südsee?


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St. Pöltens gute Seite

Wahl-Gag oder Substanz – kommt der Südsee?

Text Georg Renner , Jakob Winter
Ausgabe 11/2020
GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger arbeitet als Journalist bei der „Kleinen Zeitung“.

„Ein Hauch Paris für Süd-St. Pölten kann nicht schaden.“

Die soeben wiedergewählte Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, hatte im Wahlkampf mit einer charmanten Idee geworben: der „15-Minuten-Stadt“. Vereinfacht gesagt: Binnen 15 Minuten sollen die Bürger der Metropole zu Fuß oder per Rad alles erreichen können, was sie in ihrem Alltag so brauchen – Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung, aber natürlich auch Gelegenheiten zur Freizeitgestaltung.
Jetzt ist St. Pölten nicht Paris, offensichtlich (sorry) – aber ein bisschen darf man sich stadtplanerisch schon an solchen Ideen orientieren. Und wenn man die Idee vom neuen „Süd-See“ (kann er bitte wirklich so heißen, danke sehr) anschaut, dann passt sie ganz gut in dieses Schema: Der Norden der Stadt hat die Viehofner/Ratzersdorfer Seen, was Badegelegenheiten angeht. Das Zentrum der Stadt hat das Freibad; im Süden gibt es zwischen dem Ebersdorfer See (praktisch nur per Auto zu erreichen) in Obergrafendorf und dem Wilhelmsburger Freibad nichts dergleichen. (Nebenbei: Von der Aqua City zum Ratzersdorfer See ist es weniger weit – 3,6 Kilometer Luftlinie – als von der Aqua City zum geplanten Standort des neuen Sees, viereinhalb Kilometer).
Wenn man sich anschaut, wie St. Pölten und seine Dörfer entlang der Traisen (looking at you, Harland und Stattersdorf) in den vergangenen Jahren gewachsen sind, ist die Idee mit dem neuen Teich plötzlich gar nicht mehr so visionär – sondern, will man noch mehr Autoverkehr im Norden verhindern, sogar recht vernünftig.
Natürlich sind da noch viele Fragezeichen: Was kostet das Projekt, ist es umweltverträglich? Und: Wie wird der Süd-See öffentlich mit dem Rest der Stadt und den Nachbargemeinden verbunden? Die Fahrrad-Anbindung ist da, aber wie gedenkt die Stadt zu verhindern, dass Sonnenanbeter aus Pyhra, Wilhelmsburg, Obergrafendorf usw. per Auto an den See strömen? Die Vorlaufzeit jetzt sollte gleich mit genutzt werden, das zu bedenken.
Aber grundsätzlich eine schöne Sache, würde zwischen Hart und Altmannsdorf ein Freizeit-Cluster entstehen. Das sollte in 15 Minuten für viele zu packen sein.

JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.

„Das Credo im St. Pötner Rathaus lautet: Beton und Begrünung.“

Es gibt derzeit einen amüsanten Widerspruch in der Wahrnehmung St. Pöltens: Außerhalb der Stadtgrenze gilt die Kommune als verschlafenes Nest, in dem sich nichts tut. In der Stadt selbst haben einige genau den gegenteiligen Eindruck. Sie finden, die Stadt wächst zu schnell, es wird zu viel gebaut und zu viele Menschen ziehen zu. Sie fürchten, dass St. Pölten genau das verliert, wofür Wiener die niederösterreichische Landeshauptstadt belächeln: den beschaulichen Charme einer Kleinstadt.
Ein Wiener müsste vermutlich schmunzeln, bekäme er die heißeste politische Debatte St. Pöltens mit – die Wachstumsfrage. Weniger lustig dürfte die anhaltende Kritik am Baumboom der rote Bürgermeister finden. Er hat offenbar erkannt, dass all die Wohnungsprojekte in der Stadt eine seiner wenigen offenen Flanken sind, die er den Oppositionsparteien ÖVP, FPÖ und Grünen im Vorfeld der Gemeinderatswahlen bietet. Direkt geht der Bürgermeister auf die Kritik an der Betonwalze zwar nicht ein – aber indirekt. Er kündigte neue Parks an (etwa am ehemaligen Sturm-19-Platz) und präsentierte jüngst ein zentrales Wahlkampfversprechen, das ebenfalls ziemlich grün ist: einen neuen Badesee im Süden der Stadt. Es wirkt so, als wollten die Stadtverantwortlichen ein Signal aussenden: Auch wenn St. Pölten immer weiter wächst – die Erholungsgebiete wachsen mit. Das Credo im Rathaus lautet also: Beton und Begrünung.
Das Badeprojekt ist jedenfalls mehr als eine Beruhigungspille für Wachstumskritiker. Wer die Viehofner Seen an sonnigen Sommertagen kennt, der weiß, dass dort nicht nur bei den Parkplätzen dichtes Gedränge herrscht. Die Liegewiesen sind voll wie der Strand von Jesolo. Es spricht also wenig dagegen, auch im Süden einen See zu graben – zumal das Gewässer im Überschwemmungsgebiet liegen soll und dort ohnehin ein neuer Hochwasserschutz benötigt wird.
Als Bumerang könnte sich die See-Idee dann erweisen, wenn die Umweltverträglichkeitsprüfung negativ ausfällt. Glück für den Bürgermeister: Vor der Wahl geht sich das garantiert nicht mehr aus.