MFG - Ein persischer Apltraum
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St. Pöltens gute Seite

Ein persischer Apltraum

Text Johannes Reichl
Ausgabe 03/2010

Es ist ein trauriger Tag, an dem wir den aus dem Iran stammenden Dr. Khashayar Forghani besuchen: 28. Jänner 2010. Heute wurden die ersten „Staatsfeinde“ der Demonstrationen nach der Präsidentenwahl im Iran hingerichtet. Ein Gespräch über Angst und Staatsterror, die Bahai-Religion und die Utopie einer vereinten Welt.

Wir kommen gegen 19.15 Uhr in die St. Georgner Ordination, geben uns sozusagen mit den letzten Patienten die Klinke in die Hand. Forghani begrüßt uns im klassischen weißen Ärztemantel und bittet uns ins Ordinationszimmer. Er nimmt im großen weißen Bürostuhl Platz, ich auf dem Sessel gegenüber, wo für gewöhnlich die Patienten ihr Leid klagen. „Darf ich Ihnen Tee anbieten?“, fragt Forghani. „Ein iranisches Nationalgetränk?“, antworte ich mit einer Gegenfrage – man hat so seine Klischees im Kopf. „Eigentlich ist es eher Kaffee, der ja aus der Region kommt. Aber wir zuhause haben immer Tee getrunken!“ Zuhause, das war Teheran vor über 30 Jahren. 1965 wurde Forghani dort geboren, verbrachte seine ersten 10 Lebensjahre im Iran, bis die Familie 1974 nach Österreich ging.
Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen: Einige Urkunden von Fortbildungsveranstaltungen an der Wand – im Übrigen alle aus den letzten Jahren, der Herr Doktor ist also up to date – ein mobiles EKG-Gerät, medizinische Fachbücher, zwei Bilder mit Blumen, die er von einem Patienten geschenkt bekommen hat, eine weiße Liege mit Crêpe Papier darüber, am Schreibtisch der Computer, Fotos von seiner Frau und seinem Kind, Medikamente, ein Blutdruckmessgerät sowie das obligatorische Stethoskop. Schließlich lande ich in Forghanis Gesicht, das – wie seine gesamte Erscheinung – eine positive Ruhe ausstrahlt. Der Doktor spricht bedächtig, seine Bewegungen sind gleichmäßig, hinter seinen Brillen blitzen aufmerksam-fröhliche Augen hervor.
Dennoch ist er bedrückt: „Als ich heute von den Hinrichtungen im Iran gehört habe, musste ich das Radio abschalten. Es war einfach zu aufwühlend für mich“, schüttelt er traurig den Kopf ob der Vorgänge in seiner alten Heimat. „Das sind jugendliche Träumer, keine Terroristen oder Verbrecher. Sie gehen auf die Straße, um für ihre Rechte, für ihre Freiheit, für ihr Leben einzutreten. Sie rufen Parolen, protestieren friedlich – und dann werden sie brutal zusammengeschlagen, verhaftet, gefoltert…“ Und getötet, möchte man seinen Satz zu Ende führen.
Angst
Mit den Hinrichtungen dieser Tage ist jedenfalls das eingetreten, was viele schon lange befürchteten, auch Forghani. Als wir vor zwei Wochen den Termin vereinbarten, stand unmittelbar die Gerichtsverhandlung von sieben Glaubensbrüdern Forghanis, der sich zur Religion der Bahai bekennt, bevor. Sieben von mittlerweile 49 verhafteten Gläubigen. „Wenn man die Entwicklung der letzten Monate beobachtet, muss man mit allem rechnen“, verlieh der Doktor damals seiner Sorge Ausdruck. Und, wie ist die Verhandlung in der Zwischenzeit verlaufen? „Sie dauerte von acht Uhr in der Früh bis zwei Uhr nachts! Sie ging völlig hinter verschlossenen Türen vonstatten. Es waren keine Angehörigen zugelassen – stellen Sie sich das vor, wie schlimm das für die Verwandten ist, wenn sie nichts erfahren. Nur zwei Anwälte durften mit hinein.“ Als um 2 Uhr nachts einer der beiden herauskommt, vertröstet er die Familien – die Verhandlung wird verschoben. Das Schicksal bleibt weiter ungewiss.
Das ist es, was totalitäre Regime neben der unmittelbaren Einschränkung der persönlichen Freiheit mit kennzeichnet: Das stete Schüren von Angst, die auf sehr subversive Weise omnipräsent gehalten wird und die Menschen lähmt, ruhig stellt, verstummen lässt. Eine Angst, die so tief geht und so weit reicht, dass sie – Krakenarmen gleich – selbst die Angehörigen in freien Staaten wie Österreich umschlingt und einschüchtert. „Viele Auslandsperser haben Angehörige im Iran. Man möchte den Verwandten und Freunden im Iran keine Probleme breiten, indem man vielleicht etwas Falsches sagt“, so Forghani.
Am schlimmsten ist das Bangen um die Familie. „Das beschert schlaflose Nächte.“ So ist man glücklich, wenn man die Verwandten ans Telefon bekommt, ihre Stimme hört, weil man weiß, dass sie leben. Freilich, wie sie wirklich leben, was im Staat wirklich vor sich geht, erfährt man mit ziemlicher Sicherheit nicht. „Wenn du einen Verwandten im Iran anrufst, wirst du immer hören: ‚Danke, uns geht’s gut. Hier ist alles bestens.’ Keiner traut sich etwas zu sagen. Die Leitungen könnten abgehört werden – man weiß es nicht.“
Dass die Realität alles andere denn „in Ordnung“ ist, erfährt man als „Außenstehender“ täglich aus den Medien oder dem Internet. Die Bevölkerung freilich vorort am eigenen Leib, wobei selbst jene, die sich nicht der Demonstrationsbewegung zuzählen, allzuleicht in die Fänge des Schicksals geraten – Kafka lässt grüßen. So berichtet etwa ein Mann von seiner Tochter: „Sie fuhr nachhause. Da sie aufgrund der Demonstrationen nicht weiter konnte, stellte sie ihr Auto ab und setzte ihren Weg zu Fuß fort. Um 3 Uhr nachts wurde plötzlich das Haus gestürmt und sie wurde vor den Augen meiner Frau und meines jüngeren Sohnes angeschrien, warum ihr Auto dort stehe, was sie dort gemacht habe. Schließlich wurde sie mitgenommen. Drei Tage lang wussten wir nicht, wo sie ist, was mit ihr passiert, ob sie noch lebt. Erst danach wurde sie, gegen eine schriftliche Erklärung, freigelassen. Das Auto hatte man völlig zerstört.
Ein anderes Beispiel sind jene vier Bahai, die seit 2007 in Haft sitzen, weil sie in Dörfern, wo keine Schulen sind und sich niemand um die Ausbildung der Kinder kümmerte, Unterricht erteilten. Unter dem Vorwand, umstürzlerisches Gedankengut zu verbreiten, wurden sie verhaftet und zu vier Jahren Haft verurteilt.
Wut
Auf einem Blog der New York Times sieht man sodenn als Hauptgrund für das allgemeine Aufbegehren des Volkes insbesondere Wut. Wut über die alles durchdringende Unterdrückung. Die Unterdrückung der Frauen, die Unterdrückung der Jugendlichen, denen etwa Musikhören verboten ist.
Um das Klima zu verdeutlichen, führt Forghani ein vermeintlich banales Beispiel aus seinem letzten Teheran-Aufenthalt vor vier Jahren an. „Wir sind in einem Kaffeehaus gesessen, neben uns ein Tisch Jugendlicher, Burschen und Mädchen. Plötzlich haben wir gemerkt, wie sie unruhig werden, weil ein Auto vorgefahren ist. Die Mädchen sind aufgestanden und weggegangen. Aus dem Auto sind zwei Männer gestiegen und haben die Burschen zur Rede gestellt: Was sie da machen? Warum sie in der Öffentlichkeit mit Mädchen an einem Tisch sitzen?“
Mit Religion, mit dem Islam an sich – worauf es gerne hierzulande reduziert wird – habe derlei wenig zu tun, wie Forghani überzeugt ist. „Die falschverstandene Religiosität wird instrumentalisiert und als Macht- und Unterdrückungsmittel eingesetzt. Das ist politisches Kalkül und hat demnach nichts mit Religion zu tun, sondern ist bestenfalls eine Scheinreligion.“ Und so winkt er auch ab, wenn man den Islam per se als rückständig punzieren möchte. „Denken Sie an das Mittelalter, als Europa sozusagen im Finsteren darbte – da war der Orient sehr fortschrittlich, zivilisiert. Die Wissenschaften wurden gepflegt, die Künste, es gab Universitäten.“
Und auch für den Iran bricht Forghani grosso modo eine Lanze. „Das eigene Heimatland sieht man wohl immer ein bisschen durch die rosarote Brille. Ich habe gute Erinnerungen an das Land. Es hat eine große Geschichte. Berühmte Philosophen, Mediziner gingen aus Persien hervor, es ist das Land der Dichter mit einer ungemein schönen, bilderreichen Sprache.“
Die Bahai 
Dass Forghani dem Iran und dem Islam prinzipiell nicht feindselig gegenübersteht, überrascht dennoch auf den ersten Blick, werden die Bahai doch seit Beginn ihrer Religionsgründung im Iran des 19. Jahrhunderts angefeindet. Zeitweise – wie aktuell – gibt es eine offene Verfolgung dieser mit rund 300.000 Anhängern größten religiösen Minderheit des Landes. Es ist aber Glaubensgrundsatz der Bahai, einerseits die jeweilige Staatsform zu akzeptieren, andererseits auch den anderen Religionen vorurteilsfrei mit Respekt zu begegnen. Ein Leitsatz lautet „Verkehret mit den Anhängern aller Religionen im Geiste des Wohlwollens und der Brüderlichkeit.“ Ein anderer, dass Glaube, der auf Feindseligkeit aufbaut, Irrglaube ist, wie es bei Abdu’l-Baha heißt. „Wird Religion zur Ursache für Feindschaft und Streit, so wäre es besser, keine Religion zu haben. Religion ist dazu bestimmt, den politischen Organismus zu beseelen. Bringt sie der Menschheit den Tod, wäre ihr Nichtsein ein Segen und eine Wohltat für die Menschen.“ Der Islam selbst wird als unmittelbarer „Vorgänger“ verstanden, hängen die Bahai doch einer Art religiösen Evolutionstheorie an, die davon ausgeht, dass sämtliche Religionen auf dieselbe Wurzel zurückgehen und sich Gott mittels Auserwählten in den jeweiligen Zeitaltern auf der jeweiligen geistigen Stufe der Menschheit offenbart. So sind auch für sie Persönlichkeiten wie Moses, Jesus, Buddha oder Mohammed heilig. Ihr Religionsstifter Bahá’u‘lláh, der von Bab verkündet wurde, ist der nächste in der Reihe dieser Auserwählten. Bab und Bahá’u‘lláh wirkten in Persien und wurden von Beginn an verfolgt. Bab wurde im Alter von 31 Jahren hingerichtet, Bahá’u‘lláh wurde verbannt und starb schließlich in Israel, weshalb dort heute das Weltzentrum der Religion situiert ist. „Groteskerweise werden viele Bahai unter dem Vorwand verhaftet, sie agitierten als Spione Israels. Dabei gäbe es den Konnex zu Israel historisch gar nicht, wenn man Bahá’u‘lláh nicht aus Persien verbannt hätte“, verweist Forghani auf ein Paradoxon, zumal damals Israel als Staat noch gar nicht bestand.
Stellt sich freilich die Frage, warum die Bahai, die mittlerweile rund 3 Millionen Anhänger in der ganzen Welt zählen und als Friedensbewegung gelten, im Iran derart hart verfolgt bzw. benachteiligt werden.
Ein Blick auf die Grundsätze der Religion lichtet die Nebel, denn – und hier ortet man Parallelen zu Pazifisten wie Jesus, Gandhi oder Martin Luther King – gerade die toleranten, gewaltlosen, progressiven Züge bergen für ein totalitäres Regime ein revolutionäres Moment in sich.
So gelten in der Bahai-Religion Mann und Frau als gleichberechtigt! Im Islam – zumal jenem vor 150 Jahren – ein völlig abwegiger Gedanke. „Bahá’u‘lláh hat ein schönes Bild geprägt und gemeint, Mann und Frau sind wie die zwei Schwingen eines Vogels. Ist eine stärker als die andere, wird er nicht fliegen können, nur wenn beide gleich stark sind, kann er in die Lüfte entschweben.“
Weiters wird Bildung als grundlegendes Prinzip der göttlichen Sinnstiftung begriffen, und zwar Bildung für alle – was im Persien des 19. Jahrhunderts Sprengstoff in sich barg. „Damals war nur eine dünne Oberschicht gebildet. Die Bahai unterrichteten aber Reiche wie Arme, Adelige wie Bauern, Kinder, Frauen wie Männer. Sie wurden zu selbständigem Denken erzogen – dies wird von totalitären Regimen immer als Bedrohung begriffen.“
Dabei ist Bildung vorrangig das Vehikel, um sich sozusagen seiner göttlichen Bestimmung, seiner Talente bewusst zu werden, die es gilt, zum Wohle aller einzubringen. „Jeder Mensch ist ein Bergwerk voll mit Edelsteinen, Talenten. Durch die Förderung werden diese sozusagen zutage gefördert, poliert, um sie dann so einzusetzen, dass alle profitieren“, umreißt Forghani den Grundgedanken dahinter. Handeln aus reinem Egoismus hingegen wird als falsch, als gottesfern abgelehnt. Damit erteilt man auch dem heutigen Neoliberalismus, dem Prinzip der „Leistungsgesellschaft“ im kapitalistischen Sinne eine klare Absage. „Als Arzt bin ich tagtäglich mit den Ängsten der Menschen konfrontiert – und diese sind unter dem gesellschaftlichen Druck im Steigen begriffen und gehen durch alle Altersschichten. Wenn 50% aller Frührentner psychische Gründe für ihre Arbeitsunfähigkeit angeben, muss uns das doch zu denken geben. Das ist offensichtlich das Ergebnis einer falschen Lebensweise, falscher Werte, Ziele und Vorstellungen. Wir erleben eine Umkehrung der Werte. Was früher als Tugend galt, wird heute lächerlich gemacht.“ Der Wohlstand als Geißel also? Ist es so einfach? In den Augen Forghanis zumindest einer, der sich rein über Materielles definiert. „Ich war früher oft in Bratislava, habe die Stadt vor und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erlebt. Vor dem Fall waren die Leute – die wenig hatten – offen, hilfsbereit, großzügig. Wenn Sie heute hinkommen, dann erkennen Sie keinen Unterschied mehr zu Wien. Jeder kämpft und rennt, ist in sich versunken, grau. Ich hab mich damals gefragt: Wer ist schneller. Der Materialismus oder die geistige Vertiefung. Nun – Coca Cola war schneller.“ Für Forghani ein unnatürlicher Zustand, „denn jeder Mensch trägt in sich das Bedürfnis nach Geistigem. Das kann ich fördern, oder aber unterdrücken. Wir Bahai wollen das Denken fördern.“
Entscheidend, und hierin unterscheidet man sich zu zahlreichen anderen monotheistischen Religionen, ist damit einhergehend das Prinzip der selbstständigen Wahrheitssuche. So gelten die Bibel sowie die Schriften Bahá’u‘lláhs zwar als heilig und als Grundlage der Religion, „es gibt aber keinen Klerus, der sozusagen eine allgemein gültige Lesart definiert und sagt, wie man richtig glaubt. Jeder ist als Individuum aufgefordert, die Schriften für sich persönlich zu interpretieren.“ Doktrinäres Obrigkeitsdenken ist damit von vornherein ausgeschalten, damit auch das Abhängigkeitsverhältnis einer zwischen Mensch und Gott vermittelnden priesterlichen Kaste. Es liegt auf der Hand, warum dieses Gedankengut von einem sich auf Religion berufendes, totalitäres Regime als Bedrohung wahrgenommen wird.
Die Bahai sehen zudem keinen Widerspruch zwischen Glaube und Wissenschaft. Im Gegenteil erachten sie ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen beiden als conditio sine qua non für das Gedeihen des Lebens. „Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Glaube allein führt zu Aberglauben. Wissenschaft alleine zum reinen Materialismus, wie wir ihn in extremis in der Atombombe manifestiert sahen.“
Persönliche Schicksale
Im Iran müssen die Bahai für ihr Bekenntnis einen hohen Preis bezahlen. Schon unter den Schahs waren sie Opfer von Repressionen und Verfolgung, auch wenn radikale und gemäßigtere Phasen abwechselten. „Mein Vater wurde in der Schule von den Lehrern offen benachteiligt, die Mitschüler haben ihn gehänselt. Die Bahai wurden seit jeher für alles, was im Staat schief läuft, verantwortlich gemacht. Sie mussten immer als Sündenbock herhalten. Das wird bewusst von der Politik gelenkt.“ Mit der islamischen Revolution 1979 spitzt sich die Situation für die Bahai dramatisch zu. Die neun höchsten Vertreter, darunter eine Verwandte Forghanis, werden verschleppt und sind seither nie wieder aufgetaucht. 200 Bahai werden unter dem Vorwand, Spione Israels zu sein, hingerichtet. In Folge wird ein menschenverachtendes religiöses „Apartheid“-Regime errichtet. Sämtliche Besitztümer der Bahai werden enteignet, Bahai-Schulen, Krankenhäuser und andere Institutionen geschlossen. Die Bahai werden aus dem öffentlichen Dienst entfernt, sie dürfen nicht mehr an den Universitäten studieren und erhalten keine staatliche Pension mehr. Friedhöfe werden geschändet, das Haus des Bab wird zerstört und ein Kreisverkehr darüber errichtet. Der Versuch einer Auslöschung. Forghanis Familie erlebt all diese Vorgänge hautnah mit. „Die Großeltern sind Revolutionsflüchtlinge, sind uns 1979 nach Österreich nachgefolgt. Auch mein Onkel ist geflüchtet. Er war Mitglied des geistigen Rates in seinem Ort, wurde verhaftet und für ein paar Tage festgehalten. Von einem Tag auf den anderen wurde er entlassen – er war bis dahin technischer Direktor der größten Raffinerie des Iran gewesen. Unser Haus wurde konfisziert.“ Wut empfindet Forghani darob keine. „Fälle wie jene meines Großvaters und meines Onkels gibt es zu Tausenden. Und wenn andere hingerichtet werden, wen kümmert dann der Verlust eines Hauses? Das ist doch nur ein materieller Schaden.“
Das Goldene Zeitalter
So viel Großmut überrascht und ist wohl nur aus dem tiefen Glauben der Bahai zu erklären, der ein positiv vorwärtsgerichteter und kein negativ reaktionärer ist. So ist Forghani auch überzeugt, dass sich im Iran das Blatt zum Guten wenden wird. „Der Iran macht das durch, was in Europa vor einem knappen Jahrhundert passiert ist. Und wenn die Geschichte eines gelehrt hat, dann dass das Gute obsiegt.“
Wie die Bahai überhaupt davon ausgehen, dass Nationalstaaten, religiöse und nationale Ressentiments zu einer Art Auslaufmodell gehören. „Wir glauben an die Einheit der Menschheit. Die Einheit der Vielfalt gewissermaßen. Das hat nichts mit ‚Einheitsbrei‘ zu tun, sondern damit, dass jedes Volk, jede Rasse ihre Qualitäten zum Wohl aller einbringt. Denken sie etwa an einen Garten. Wenn alle Blumen gleich sind, ist es fad. Aber wenn es unterschiedliche Blumen gibt, Bäume und Sträucher dazwischen, Gras – all das zusammen macht erst die Schönheit des Gartens aus!“
Aus diesem Gesichtspunkt heraus ist auch nachvollziehbar, warum die Bahai im Herzen glühende Globalisierungsbefürworter sind und deshalb sogar für eine einzige Welthilfssprache, bei Wahrung der regionalen Sprachenvielfalt, eintreten. „Die Menschheit hat gar keine andere Wahl, und es ist der logische nächste Entwicklungsschritt! Nehmen wir nur die Umweltthematik, die Wirtschaft – ein einzelner Staat kann diese Probleme nicht mehr alleine lösen, das geht nur gemeinsam. Heute wird die Globalisierung leider noch oft mit alten, in diesem Sinne falschen Mitteln und Denkweisen vorangetrieben, der Fokus liegt noch überproportional auf rein Materiellem. Das schafft die Probleme. Aber wenn wir diese eingeschränkten Denkmuster überwinden, wenn wir uns der Qualität der Vielfalt bewusst werden, dieses Wissen für alle nutzbringend einsetzen, dann wird die ganze Menschheit Nutzen ziehen!“ Und so kommt Forghani, kommen die Bahai zu einem Schluss, der dem um sich greifenden Pessimismus und Fatalismus dieser Tage sowie den Weltuntergangs-Weissagungen manch anderer Religionen einen positiven Kontrapunkt entgegensetzt: „Wir glauben, dass das Goldene Zeitalter unmittelbar bevorsteht!“
Man weiß nicht, woher die Bahai – gerade angesichts ihrer leidvollen Geschichte – so viel Zuversicht nehmen, aber man möchte ihnen gerne glauben. Sowohl im Hinblick auf die aktuelle Situation im Iran, als auch im Hinblick auf das Gedeihen der gesamten Menschheit! Sie deshalb als religiöse, naive Sozialromantiker abzutun wäre dumm, man sollte sich eher ihren Optimismus und Zukunftsglauben zum Vorbild nehmen. Utopien sind da, um sie anzugehen und umzusetzen. Wie meinte dereinst Robert F. Kennedy: “Some men see things as they are and ask ‚Why?’ I dream things that never were and ask, ‚Why not?‘”