MFG - Neue Straßen braucht das Land?
Neue Straßen braucht das Land?


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St. Pöltens gute Seite

Neue Straßen braucht das Land?

Text Mathias Kirner
Ausgabe 10/2006

„Anschlag auf Pendler“, Verkehrsverhinderer“, „Stopp Transit“ – Statements dieses Tonfalls sind Zeugnis eines emotionalisierenden Themas: Kann das Verkehrsaufkommen im wirtschaftlich und ökologisch sensiblen Raum südlich von St. Pölten durch eine Schnellstraße sinnvoll bewältigt werden?

Wären die Fakten zur geplanten Traisental Schnellstraße S34 und ihrer Verlängerung, der B334, ebenso mannigfaltig wie die bisher geäußerten politischen Positionen, würden wir wohl noch vor Weihnachten von Krems bis Wilhelmsburg vierspurig unterwegs sein können. Doch die Tatsachen lassen sich in wenigen Sätzen zusammenfassen:
Das Land Niederösterreich ist Initiator des Projektes zur Fortsetzung der S33 nach Süden in Form der Schnellstraße S34 bis Wilhelmsburg Nord. Von dort soll es mit der B334 eine Verbindung bis zur B18 (Gemeinde Traisen) geben. Die Intentionen sind, durch eine leistungsfähige Anbindung an A1 und S33 die Standortqualität des Traisentales zu erhöhen, die B20 und damit Ortsdurchfahrten zu entlasten und die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Die S34 wurde mit 09.05.2006 in das Bundesstraßengesetz aufgenommen, der Baubeginn soll nach Angaben des Landes bereits 2007 erfolgen. Für die Umsetzung der S34 ist der Bund und somit in dessen Auftrag die Autobahnen- und Schnellstraßen- Finanzierungs- Aktiengesellschaft (ASFINAG) verantwortlich. Die B334 soll unter den Agenden des Landes im Anschluss an die Fertigstellung der S34 gebaut werden.
Doch bereits hier beginnen Fakten mit Spekulationen zu verschwimmen. Weder lässt sich unmissverständlich feststellen, ob die B334 eine vierspurige Schnellstraße oder eine ausgebaute, zweispurige Landesstraße werden soll, noch ist der Trassenverlauf der B334 – und hier vor allem die Umfahrung Wilhelmsburg – festgelegt. Dieser ist nämlich zurzeit Verhandlungsgegenstand zwischen der Stadtgemeinde Wilhelmsburg und dem Land NÖ.
Die Schnellstraße bringt nichts...
Just während dieser Verhandlungen kam ein Papier des TU-Professors Hermann Knoflacher an die Öffentlichkeit, der im Auftrag der Stadtgemeinde die Auswirkungen des Projektes auf Wilhelmsburg analysieren sollte.
Seine Schlussfolgerungen, die er auch im MFG-Interview erläutert, sind unter anderem:
  • Durch den Bau der Schnellstraße werde zusätzlich Straßenverkehr erzeugt, was eine vermehrte Belastung für Wilhelmsburg bedeute. 
  • Die neue Verkehrsinfrastruktur sei wirtschaftlich zweimal so ineffizient wie die bestehende Lösung.
  • Touristische Erholungsgebiete sowie landwirtschaftliche Nutzflächen würden abgewertet. 
  • Es käme zu keiner Lärmentlastung, in Wilhelmsburg selbst käme es im Gegenteil zu einer Lärmpegelerhöhung, die einer Verdoppelung der Verkehrsbelastung entspräche.
  • Die bereits bestehende hohe Feinstaubbelastung würde noch erhöht werden.
  • Wirtschaftlich würden nicht die Traisentalgemeinden, sondern der Zentralraum St. Pölten profitieren.
Eben diese Stellungnahme rief die Befürworter des Straßenprojektes auf den Plan, darunter den Bundesrat und Bürgermeister der Gemeinde Rohrbach an der Gölsen, Karl Bader. Für den Initiator und Sprecher der „Plattform B334“ ist der Universitätsprofessor ein rotes Tuch: „Knoflacher braucht keiner!“ Das Projekt bringe bereits jetzt einen gewaltigen wirtschaftlichen Impuls. Und Druck auf die Landwirtschaft gebe es bei jeder Bautätigkeit: „Wenn das das Argument ist, darf es gar keine Bautätigkeit mehr geben.“ Zu den laufenden Verhandlungen über die Trassenführung will er sich nicht äußern. Oder bringt sie doch etwas?
Zur Untermauerung ihrer Argumente bringen die Verteidiger des Projektes gerne eine Studie des Institutes für Höhere Studien (IHS) ins Spiel. Im Gegensatz zur Knoflacher-Stellungnahme hat die IHS-Studie einen breiteren Fokus: Es geht um die Auswirkungen der Schnellstraße auf die österreichische Wirtschaft, eine – immer wieder – hergestellte Vergleichbarkeit der beiden Arbeiten ist somit nicht unmittelbar gegeben. Bemerkenswert ist auch, dass die IHS-Studie von einer durchgehenden vierspurigen Schnellstraße von Traisen bis zur A1 bei St. Pölten mit einer östlichen Umfahrung von Wilhelmsburg ausgeht. ...auf jeden Fall mehr Verkehr!
Die Ergebnisse der IHS-Studie in der Zusammenfassung: Die wirtschaftliche Entwicklung im Raum Krems – St. Pölten – Traisen – Lilienfeld werde  gefördert, da durch erhöhte Verkehrsdurchlässigkeit und verbesserte regionale Erreichbarkeit die Standortqualität erhöht werde. Das IHS geht auch davon aus, dass die Ortsdurchfahrten entlastet werden und es somit zu einer Erhöhung der Lebensqualität kommt. Weiters würde die Region an Anziehungskraft als Tourismusziel gewinnen. Die Baukosten werden mit 380 Millionen Euro beziffert, die jährlichen Erhaltungskosten mit drei Millionen. Dem stünden öffentliche Einnahmen in der Höhe von 24,1 Millionen Euro jährlich gegenüber, die u.a. aus Steuereinnahmen, Maut und Betriebsansiedlungen resultieren sollen. Für die gesamte österreichische Wirtschaft könne durch die Schnellstraße eine zusätzliche Wertschöpfung von 85,4 Millionen Euro pro Jahr erzielt werden. Der Beschäftigungseffekt sei mit 1.373 zusätzlichen Arbeitsplätzen jährlich zu benennen. Die Ergebnisse der IHS-Studie und der Knoflacher-Stellungnahme könnten gegensätzlicher nicht sein. Dennoch, zumindest in einem Punkt gibt es Übereinstimmung: Durch die Schnellstraße wird auch laut IHS ein stärkeres Verkehrsaufkommen erzeugt, und zwar um 15 Prozent. Doch die Freude über eine endlich gefundene Übereinstimmung währt nur kurz: Im Rahmen der strategischen Prüfung durch das Verkehrsministerium wandte die ASFINAG bereits im Februar ein, dass „die Strecke in dieser Form [Anmerkung: S34 St. Pölten – Wilhelmsburg] keine sinnvolle Netzergänzung im ASFINAG Streckennetz“ darstelle. Einer betriebswirtschaftlichen Prüfung durch die ASFINAG hielt das Projekt ebenso nicht stand. Auch das Umweltministerium meldete Bedenken an: Der Umweltbericht weise „inhaltliche Mängel auf.“ Wer auch immer Recht behalten mag, eines stimmt jedenfalls traurig: Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs als Alternative oder Ergänzung ist nicht geplant. Übrigens: Mögliche Trassenverläufe findet man unter: www.noe.gv.at/service/st/st1/s34/s34.htm 
Interview: "Eine klare Fehlinvestition!" Prof. Hermann Knoflacher vom Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien hat für die Stadt Wilhelmsburg die Projektunterlagen zur Traisental Schnellstraße unter die Lupe genommen. Mit seinen pointierten Aussagen gegen das Projekt hat er eine heftige Debatte ausgelöst und sich unter anderem den Kosenamen „größter Verkehrsverhinderer“ (Karl Bader, Bürgermeister von Rohrbach an der Gölsen) eingefangen. Was bringt die S34 in Bezug auf eine eventuelle Verkehrsentlastung, die Verkehrssicherheit und den Wirtschaftsstandort Traisental?
Die Traisental-Schnellstraße bringt eine zusätzliche  Verkehrsbelastung mit sich. Große Straßen ziehen zusätzlichen Verkehr an. Es kommt höchstens kurzfristig zu einer Verkehrsentlastung, die internationale, qualifizierte Fachwelt ist sich aber darüber einig, dass eine größere Straße mehr Verkehr bedeutet. Das können Studenten bei mir im ersten Semester rechnen, die Leute, die über Verkehrspolitik entscheiden, können das offensichtlich nicht rechnen.
Eine Verkehrsverlagerung des LKW-Verkehrs auf die S34 wird nicht stattfinden, da die Schnellstraße bemautet wird und der Transit auf der mautfreien B20 bleiben wird. Die Lärmentlastung ist – unter der Annahme gleich bleibender Geschwindigkeit – vernachlässigbar. Im Falle einer Geschwindigkeitserhöhung wird sogar mehr Lärm produziert. Abgase und Feinstaub treten durch die Schnellstraße verstärkt auf, und diese bleiben ja nicht auf der Straße, sondern verteilen sich. Wirtschaftlich werden die Nebentäler verlieren und die Zentren gewinnen. Große Straßen bringen einen Vorteil für große, internationale Konzerne und Nachteile für die kleinen. Großkonzerne siedeln sich immer in der Nähe von Autobahnen an.
Das heißt aber, dass der Süden von St. Pölten von der S34 in Form von neuen Betriebsansiedlungen profitieren wird?
Ja, aber die Ausgangssituation für meine Stellungnahme zur Traisental Schnellstraße war eine andere: Es ging um die Auswirkungen auf die Stadt Wilhelmsburg. Und hier ist es ein Irrtum zu glauben, dass die kleinen Wirtschaftsbetriebe von großen Straßen profitieren. Diese Vorstellung, wird von den großen Konzernen genährt die die kleinen vernichten wollen.
Zur Verkehrssicherheit: Bringt die Schnellstraße im Vergleich zur B20 eine Verbesserung?
Auf der Schnellstraße wird mit höherer Geschwindigkeit gefahren werden, deswegen kann man nicht von einer Erhöhung der Verkehrssicherheit sprechen. Auf der Bundesstraße muss die  Verkehrssicherheit durch Tempolimits erhöht werden.
Welche Bedeutung hat die Schnellstraße für die Umwelt und Landwirtschaft?
Landwirtschaftsflächen werden in industrielle Flächen umgewidmet. Der Verlauf der S34 zwischen St. Pölten und Wilhelmsburg ist eine typische Verkehrsplanung der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Für die Umwelt wäre die Eisenbahn das wichtigste Verkehrsmittel. Die vorhandene Strecke müsste modernisiert werden und mit einem zeitgemäßen Halb-Stunden-Takt ausgestattet werden. Das Geld für die S34 sollte in die Eisenbahn investiert werden.
Würde eine Modernisierung der Eisenbahnverbindung von St. Pölten ins Traisental genügen oder müsste man die Strecke massiv ausbauen?
Man müsste die Eisenbahn erstens modernisieren, zweitens selektiv ausbauen – zum Beispiel auch die Bahnhöfe attraktiver machen und besser erreichbar – und drittens bahnfreundliche Betriebe ansiedeln.
Ist der Umweltbericht zum Projekt ihrer Meinung nach unbewusst schlampig oder bewusst einseitig geschrieben?
Ich kann nicht beurteilen, wie hier gearbeitet wurde. Die ganzen Projektunterlagen sind mehr als mangelhaft. Für die Behauptungen über die positiven Auswirkungen der Schnellstraße gibt es keinen einzigen Beweis im Bericht. Der Umweltbericht entspricht nicht dem elementaren Standard. So wird etwa nicht einmal erwähnt, dass die Straße in einem Gebiet gebaut werden soll, in dem die Alpenkonvention, ein völkerrechtlicher Vertrag, gilt.
Immerhin sind im Umweltbericht aber die Einwände der ASFINAG und des Umweltministeriums dokumentiert …?
Die ASFINAG darf das gar nicht machen, weil sie gesetzlich verpflichtet ist, die Einnahmen aus der Maut möglichst wirtschaftlich einzusetzen. Hier wird es aber keine Einnahmen geben, weil die LKWs weiterhin auf der Bundesstraße fahren werden.
Wenn es einen Verkehrsengpass gibt, dann ist das Wilhelmsburg. Daher müsste man zuerst eine Umfahrung um Wilhelmsburg bauen. Aus der internationalen Perspektive ist dieses Projekt eine ganz klare Fehlinvestition.
Ist das Projekt politisch motiviert?
Das Projekt ist ein politischer Willkürakt des Verkehrsministers und des niederösterreichischen Landeshauptmannes gegen den Generalverkehrsplan. Das sage ich, obwohl ich kein Befürworter des Generalverkehrsplanes bin.