MFG - S34 - Das Streitgespräch
S34 - Das Streitgespräch


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

S34 - Das Streitgespräch

Text Johannes Mayerhofer
Ausgabe 09/2021

MFG holte S34-Befürworter und Gegner an einen Tisch um zu diskutieren: Ist die S34 ein Segen für geplagte B20-Anrainer oder ein anti-ökologisches und unzeitgemäßes Infrastrukturprojekt?

MFG: Bevor wir ins Inhaltliche gehen, möchten wir gerne wissen, warum Sie sich zum Thema „S34“ engagieren?

Friedrich Kapusta: Ich lebe seit 40 Jahren in St. Georgen im Kreuzungsbereich B20/Schubertstraße. Ich kenne also die Entwicklung dieser Straße und alle damit verbundenen Probleme. Ich habe dort ein Haus übernommen, es wurde damals schon davon gesprochen, dass die B20 verkehrsberuhigt werden würde. Darauf haben sich viele, ich eingeschlossen, verlassen. Vor 30 Jahren kam der Gendarmerieposten weg und der B20-Verkehr sollte von einer Ampel geregelt werden. Da haben wir uns damals massiv dagegen gewehrt. Heute sind wir, mit dem Verkehrsaufkommen, froh über die Ampel. Unter anderem vor diesem Hintergrund unterstütze ich die S34 und das Personenkomitee „Pro S34“.
Bernhard Higer: Ich bin aus Wilhelmsburg, habe das Haus meiner Eltern übernommen und saniert. In das Thema „S34“ bin ich eingestiegen, als ich erfuhr, dass 20 Meter von meinem Haus entfernt diese Schnellstraße gebaut werden sollte. Man sagte uns damals: „Verkaufen Sie das Haus, solange noch niemand was von der S34 weiß“. Für mich ist die S34 ein rein politisches Projekt, und auch wenn sie nach aktuellem Plan nicht mehr an meinem Haus vorbeiführt, kenne ich viele Leute, die darunter leiden werden. Ich bin Techniker von Beruf und Mitbegründer der Bürgerinitiative „Stopp Transit S34“, war auch in allen Verfahren wie der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) involviert. Ich bin aber auch von der B20 betroffen. Nicht so direkt wie Herr Kapusta, aber ein permanentes Surren hören wir dennoch. Meine Befürchtung ist, dass man durch die S34 nur eine Verlagerung des Verkehrs bewirkt, und damit das Problem nicht löst. Außerdem denke ich, dass die S34 mehr Autoverkehr induzieren wird. Wir haben in Wilhelmsburg durch die S34 plus 32 Prozent zu erwarten. Ich glaube, dass wir wesentlich mehr Entlastung zustande bringen, wenn wir in den öffentlichen Verkehr investieren.
Kapusta: Wir reden heute davon, dass der Verkehr mehr geworden ist, induzierter Verkehr hin oder her. Bei gleichbleibendem Straßenbestand. Auf der Schubertstraße haben wir ein Vielfaches an Verkehr im Vergleich zu vor fünf Jahren, weil wir dort viele Wohnungen gebaut haben. Auch aufgrund der Gewerbegebiete ist der Verkehr gestiegen. Kurzum: Das Volumen steigt sowieso. Und damit die S34 positiv wirkt, braucht es begleitende Maßnahmen. Wenn das nicht passiert, und man gleichzeitig die B20 so belässt, wie sie ist, wird sich tatsächlich nicht viel ändern. Die B20 muss rückgebaut, mehr Fläche für Fahrradverkehr geschaffen, eine 30er-Zone eingeführt werden und vieles mehr.
Higer: Aber Herr Kapusta, diese Zusatzmaßnahmen haben wir ja nicht. Die sind auch nicht im Projekt vorgesehen.
Kapusta: Ja, da muss sich das Land halt dazu bekennen. Zur Frage des Öffentlichen Verkehrs, den Herr Higer angesprochen hat: Züge sollten schnell elektrifiziert werden. Die ÖBB-Züge sind teilweise 40 Jahre alt, fressen 80 Liter Diesel pro 100 Kilometer, haben keine Filter, die Haltestellen schauen zeitweise auch mies aus. Also, hier muss man anpacken, wenn der Öffentliche Verkehr attraktiver werden soll. Ein weiterer Umweltaspekt: Auf der B20 haben wir in meinem Bereich fast ausschließlich Stop-and-Go-Betrieb im Bereich der Ampel. Das erzeugt eine unglaubliche Umweltbelastung, was Feinstaub anbelangt, auch was den toxischen Abrieb von Bremsen betrifft. Oder der Reifenabrieb, der ungefiltert ins Grundwasser geht ...
Higer: Na, und mit einer S34 geht es dann noch mehr ins Grundwasser. Im Rahmen des Naturschutzverfahrens wurde uns gesagt, dass das nicht gefiltert werden kann.
Kapusta: Meine Hoffnung ist, dass durch die Beseitigung dieses Stop-and-Go-Betriebes eine wesentliche Verminderung des Energieverbrauches und eine Reduktion der CO2-Emissionen erreicht werden kann. Ein Auto, das ständig startet und wieder abbremst, hat natürlich die meisten Emissionen.
Higer: Und hat eines, dass mit 100 km/h rollt, mehr Emissionen, als eines, dass mit 50 km/h rollt? In der UVP wurde festgestellt, dass die Ausstöße um 0,1 Prozent steigen werde im Österreich-Wert.
Ich bin der Meinung, dass es, wenn schon von Entlastung gesprochen wird, eine moralische Pflicht gibt, das alles in Studien zu prüfen. Und es gibt  Modellrechnungen bezüglich des Verkehrsaufkommens, wo nur wenige Bereiche „grün“, also entlas­tet sind. Dafür gibt es viele „rote“ Bereiche, unter anderem in Wilhelmsburg mit plus 30 Prozent. Und das beschäftigt mich als Anrainer.
Kapusta: Darum sage ich ja, dass man die Öffis elektrifizieren und preislich attraktiver machen muss, denn solange das Autofahren attraktiver und bequemer ist, werden die Menschen mit dem Auto fahren.
Higer: Ja, und mit einer S34 macht man es noch attraktiver!
Kapusta: Es wird beides brauchen, S34 und günstigere Öffis. Den LKW-Verkehr wird man nie auf die Schiene verlagern können.
Higer: Wir haben 6,3 Prozent LKW-Verkehr auf der B20, das sind Zahlen vom Land NÖ und der Asfinag.
Kapusta: Ja, da würde ich gerne mal die Frau Gewessler oder einen Mitarbeiter einladen, um sich gemeinsam zu mir in den Garten zu setzen. Und dann schauen und hören wir uns den Verkehr, der da vorbeirauscht, einfach mal zusammen an. Ich hab‘ ja auch keine Freude mit einer neuen Straße, so umweltbewusst denke ich ja schon. Aber was ist die Alternative? Wir haben in St. Veith ein Gewerbezentrum, in St. Pölten auch. Wo sollen die Autos hin? Die müssen ja alle bei uns vorbei, weil es nur eine Straße nach St. Pölten gibt. Das ist ja die Tragödie.
Higer: Statt für die S34 hätte ich lieber 200 Millionen Euro für die Attraktivierung der Traisentalbahn.
Kapusta: Da bin ich ja voll bei Ihnen. Aber ich denke wir brauchen beides. Wie sich der Autoverkehr entwickelt, hängt nicht nur von einer Straße ab, sondern auch davon, wie die Treibstoffpreise sich entwickeln etc. Das ist alles volatil und steuerbar.
Higer: Ja, und ich finde die Politik sollte in die Richtung steuern, dass nur mehr der Öffentliche Verkehr gefördert wird. Bei der S34 hat die Asfinag in der Alternativenprüfung die Effekte vom Ausbau bei den Öffis, den Ausbau im Streckennetz, gar nicht weiter verfolgt, ohne Angabe von Gründen.

MFG: Nun zur wirtschaftlichen Seite dieses Projektes. Im Westen von St. Pölten werden zahlreiche Landwirte durch die S34 zwischen zehn Prozent und über 50 Prozent ihrer Flächen verlieren.

Higer: Das ist eine weitere Seite der negativen Kollateraleffekte dieser Straße. Diese Fragen sollten eigentlich alle Verantwortlichen in sich gehen lassen: Muss diese Straße derartig groß sein? Muss die unbedingt vierspurig sein? Braucht es ein Voralpenkreuz von der Größe der gesamten St. Pöltner Innenstadt, das alleine fünf Kilometer Autostrecke braucht? Muss man dafür elf Hektar Grund von Bauern entziehen, nur damit dort Autos fahren können? Muss man Leuten Lärmsituationen bereiten wie jene, unter denen Herr Kapusta heute schon leidet? Und dann muss man sich mal überlegen: Das Flugfeld von Mateschitz wird untertunnelt. Der bekommt eine Grünbrücke, aber Landwirte werden enteignet. Und man senkt das Grundwasser um sieben Meter ab. Das ist einerseits ein Problem für Landwirte, denen das Einbußen auf den Feldern bringt und denen man sagt, sie sollen das halt zivilrechtlich einklagen, was ich für Irrsinn halte. Aber es gefährdet auch die Versorgung von Wäldern, weil das Grundwasser die Wurzeln nicht mehr erreicht und es wird teilweise sogar vor Versteppung gewarnt.
Kapusta: Ich verstehe die Landwirte voll und ganz, niemand hat gerne, dass jemand über seinen Acker fährt. Aber dazu gibt es ja UVPs, um sagen zu können, dass Infrastrukturprojekte in einem bestimmten Rahmen akzeptabel sind.
Higer: Nein, die UVP schaut sich nur an, ob das Projekt mit den Umweltgesetzen in Einklang ist, nicht ob die Umwelt geschädigt wird.
Kapusta: Ja, aber wir haben ja auch das Naturschutzverfahren des Landes NÖ, das auch positiv ist.
Higer: Da geht es um die Umweltgesetze des Landes Niederösterreich. Wir sind uns ja einig, dass Bodenversiegelung ein Problem ist, oder? Tja, und in den Umweltgesetzen gibt es diesen Begriff nicht mal, daher ist das auch in diesen Prüfverfahren nie Thema.
Kapusta: Ich stimme jedenfalls zu, dass die derzeitige Lösung, den Bauern Geld für ihre Flächen zu geben, auch nicht optimal ist. Die Geldbeträge, die da kolportiert werden, sind zwar, soweit ich weiß, erheblich. Aber ein Bauer will natürlich Bauer bleiben und braucht dafür Boden.
Higer: Ja, und es gibt auch keine Ausgleichsflächen.
Kapusta: Es gab Interesse am ehemaligen Truppenübungsplatz, heute ein Naherholungsgebiet, als Ausgleichsfläche. Aber das wurde abgelehnt und ich bin auch froh darüber. Wenn das Biotop monokulturellen Maisflächen oder ähnlichem gewichen wäre, hätte das dem Naturschutz auch nicht gerade gedient.

MFG: Nun ist die UVP bereits abgeschlossen und alles juristisch in „trockenen Tüchern“. Herr Higer, welche Perspektive hat denn der Anti-S34-Protest jetzt noch?

Higer: Die S34 kann jetzt nur noch durch die Politik abgewendet werden. Die S34 sollte aus dem Bundesstraßengesetz herausgenommen werden.
Kapusta: Ich finde es gut, dass die S34 in dem Gesetz steht. Das Industrie- und Gewerbegebiet Nieder­österreich-Mitte ist keine Fiktion, das existiert ja wirklich und etliche Firmen bauen dort hin. Unterm Strich muss es darum gehen, diesen LKW-Verkehr weg zu bringen, und den bringt man nicht mit Bahn oder Bus weg.
Higer: Nur die Politik kann den Güterverkehr auf die Schiene bringen.
Kapusta: Herr Higer, man darf nicht naiv sein und glauben, dass von Firmen wie Georg Fischer oder von Neuman alle LKW-Transporte auf die Schiene verlagert werden können. Also ich glaube nicht, dass wir beide das noch erleben. Eben weil der Öffentliche Verkehr so ausgehungert ist. Wenn der Personenverkehr schon so weh beisammen ist, dann gilt das für den Güterverkehr erst recht.

MFG: Umweltministerin Leonore Gewessler will neben dem Lobautunnel auch die S34 einer erneuten Evaluierung unterziehen. Halten Sie es für möglich, dass das Projekt jetzt noch politisch gestoppt werden kann?
Kapusta: Das ist schwer zu sagen, aber ich fände es jedenfalls schade, wenn das Projekt einem politischen Tauschhandel zum Opfer fallen würde. Mein Wunsch wäre, dass man die S34 plus Begleitmaßnahmen durchdenkt und erkennt, dass es ein Sowohl-als-Auch braucht. Und das betone ich besonders. Ohne Begleitmaßnahmen ist das alles eine halbe Sache.
Higer: Ich wünsche mir auch keinen politischen Tauschhandel, bin aber sehr froh, dass jetzt endlich mal jemand politisch das Rückgrat hat und sich diese politische Farce einmal genauer anschaut. Aber wie gesagt, die S34 ist mit politischem Willen als Projekt ins Leben gerufen worden, und ist daher auch nur mehr durch politischen Willen zu stoppen. Und eines dürfen wir nicht vergessen: Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, werden die Mobilität der nächsten 20 bis 30 Jahre bestimmen.