MFG - Alles auf Schiene?
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St. Pöltens gute Seite

Alles auf Schiene?

Text Johannes Reichl
Ausgabe 03/2022

Es ist und bleibt das lokalpolitische Aufreger-Thema Nummer 1 in St. Pölten: Verkehr. Spätestens, seitdem Klimaschutzministerin Leonore Gewessler das S34 Projekt gekippt und eine Redimensionierung ebendesselben angeordnet hat, wollen sich die Wogen nicht beruhigen.


Während viele S34-Gegner auch einer Redimensionierung skeptisch gegenüberstehen und im Hinblick auf etwaige neue Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVPs) in Lauerstellung bleiben, haben manch Befürworter der Straße wiederum gar mit Klage gedroht – wenngleich es auch um diese Forderung ruhig geworden ist. Vor allem hat aber im S34-Fahrwasser die Öffi-Frage, insbesondere jene des Schienenverkehrs, an Dynamik gewonnen. Was jahrzehntelang verschleppt wurde, kann plötzlich nicht schnell genug gehen. So forderte etwa der St. Pöltner Gemeinderat eine frühere Realisierung des zweigleisigen Ausbaus der Bahnstrecke St. Pölten-Herzogenburg. Für diese soll nämlich, dem ÖBB-Rahmenplan gemäß, frühestens 2027 die Planung vorliegen. Besser stellt sich die Situation bei der „Traisentalbahn“ dar, deren Ausbau angesichts der parallel verlaufenden, bis auf Weiteres nicht entlasteten B20 ohnedies mehr als pressiert. Die Bahnstrecke soll bis 2026 zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert werden, zudem soll der Takt verkürzt und in Infrastruktur investiert werden. Kostenpunkt: rund 85 Millionen Euro. Dem offiziellen St. Pölten geht auch das zu langsam, wobei der Bürgermeister angesichts rund täglich 32.000 Arbeitseinpendlern vehement eine Gesamtlösung für den NÖ Zentralraum in Form eines Schnellbahn- und Schnellbussystems fordert, und zuletzt etwa den provisorischen Betrieb einer elektrifizierten O-Buslinie entlang der Strecke Wilhelmsburg-St. Pölten-Herzogenburg vorschlug.
Schließlich platzte als Tüpfelchen auf dem i in der ohnedies bereits hitzig geführten Debatte die „Frohbotschaft“ hinein, dass die Traisentalbahn-Haltestelle St. Georgen-Hart mit April aufgelöst wird – auch diesbezüglich schickte der Gemeinderat eine einstimmige Resolution an die Verantwortlichen. Für Gesprächs- und Zündstoff ist also gesorgt, den wir – frei nach dem Motto „Geh zum Schmied und nicht zum Schmiedl“ – in einem Gespräch mit der Klima- & Umweltschutzminis­terin Leonore Gewessler durchackerten.

In St. Pölten feiern Sie die einen aktuell als Heldin, weil sie die S34 gestoppt haben, für die anderen sind Sie gerade deswegen ein rotes Tuch. Bevor wir ins Detail gehen – können Sie uns vielleicht Ihren Grundzugang zur Verkehrspolitik erklären?
Viele Menschen in Österreich sind vom zunehmenden Verkehr belas­tet, sei es durch Lärm- oder Feinstaubbelastung oder schlichtweg im Stau wartend. Der Verkehr ist zugleich der große Hebel für mehr Klimaschutz in Österreich. Daher ist es mir ein großes Anliegen dafür zu sorgen, dass es in Zukunft besser wird. Der Mobilitätsmasterplan 2030 zeigt Wege und Möglichkeiten, wie die Mobilitätswende in 20 Jahren zur Klimaneutralität 2040 erreicht werden kann. Dazu zählt vor allem Verkehr vermeiden, etwa durch weniger Pendelverkehr, und Verkehr in Richtung mehr Öffis verlagern und schließlich Angebote verbessern. Bei vielem haben wir bereits angesetzt, denken wir etwa an das KlimaTicket mit über 140.000 Kartenbesitzerinnen und -besitzern oder das über 18 Milliarden Euro schwere Bahnausbaupaket. 
Und ja, gerade bei Verkehrsprojekten gibt es die unterschiedlichsten Interessen, seien es etwa die der Wirtschaft oder jene des Bundeslandes. Mir ist das bewusst, und gleichzeitig sitzt mit mir als Klimaschutzministerin jetzt auch der Klimaschutz mit am Tisch. Gerade mit Blick auf die Klimakrise ist es wichtiger denn je zu schauen, ob Entscheidungen, die oft vor zehn oder zwanzig Jahren getroffen worden sind, heute noch die richtigen sind.

Bei der S34 waren es in Ihren Augen offensichtlich die falschen. Kritiker werfen Ihnen vor, an den Grundfesten der Demokratie zu rütteln, weil S34 oder auch der Lobautunnel ja sämtliche Instanzen durchlaufen hatten samt positivem UVP-Bescheid. Polemisch gefragt: Wofür braucht man noch UVPs, wenn Projekte ohnehin vom jeweiligen Minister gekippt werden?
Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist wichtig, um genau festzustellen – sollte ein Projekt gebaut werden – welche Güter durch die Umsetzung beeinträchtigt werden könnten, und um der betroffenen Öffentlichkeit und unterschiedlichen Interessensgruppen Gehör zu geben. Es ist eigentlich sehr ähnlich wie mit einer Baugenehmigung für ein Haus. Ohne Genehmigung ist ein Bau ausgeschlossen. Aber ob, wie und wann gebaut wird, ist mit der Genehmigung nicht beschlossen. Es haben sich seit der Planung dieser Straßen vor vielen Jahrzehnten die Gegebenheiten einfach vielfach geändert. Wir haben einen enorm hohen Flächenverbrauch und wir haben eine Klimakrise, die wir zu bewältigen haben, deren Auswirkungen und Folgen etwa in Form von extremer Hitze oder Überschwemmungen bereits hier bei uns in Österreich voll angekommen sind.

Vielleicht können Sie, weil das im allgemeinen Wirbel untergegangen ist, Ihre Beweggründe zur Stopp-Taste noch einmal erläutern. Und was kommt stattdessen, es wird von „Redimensionierung“ geredet? 
Die S34 ist ein seit Jahrzehnten geplantes Straßenprojekt. Es verläuft durch ein Gebiet mit sehr hochwertigen, landwirtschaftlich genutzten Böden und würde viele dieser Flächen langfristig versiegeln. Zudem wurde vom Rechnungshof mehrmals kritisiert, dass im Bundesstraßengesetz Straßen mit überwiegend regionaler Bedeutung geführt werden, die nicht vom Bund umzusetzen wären. Aus diesen Gründen wird das Projekt S34 in der geplanten Form nicht weiterverfolgt, das Klimaschutzministerium wird gemeinsam mit dem Land Niederösterreich rasch bessere Alternativen erarbeiten. Diese können eine Mischung aus Hoch und/oder niederrangigen Verkehrslösungen mit Ortsumfahrungen sein, begleitet natürlich mit einem Ausbau der Öffis, um hier auch eine Verlagerung auf die Schiene und den öffentlichen Verkehr zu ermöglichen. Es soll ein gänzlich neues Konzept für die Region erarbeitet werden, das den Menschen in der Region und der Umwelt zugutekommt und nicht zu neuen Autobahnen führt, die Regionen zerschneiden und mehr Verkehr anziehen anstatt die erhoffte Entlastung zu bringen. 

Am Terminus „rasch“ scheiden sich aber die Geister. Viele befürchten bei einem kompletten Neuaufrollen des Projektes einen abermaligen jahrelangen Umsetzungs – und Instanzenweg. Gibt es die Chance auf soetwas wie „Schnellverfahren“? 
Hier ist noch alles offen. Klar ist: Das Projekt der S34, so wie es heute vorliegt, ist veraltet und kein modernes klimafittes Mobilitätskonzept der Zukunft. Es ist durchaus denkbar, dass in einer konstruktiven raschen Zusammenarbeit mit dem Land schnellere Lösungen gefunden werden können. 
Prinzipiell ist eine Lösung wichtig, die den Menschen und der Umwelt gleichermaßen zugutekommt. Das wird ein Mix aus Maßnahmen sein und nicht DIE eine Autobahn, aber das genaue Projekt gilt es gemeinsam zu erarbeiten. Wir brauchen dazu die Gemeinden und das Land und sind dazu in Gesprächen.

Wie konnte es überhaupt passieren, dass man die S34 auf Eis legt ohne zugleich ein Alternativprogramm vorzulegen? Zeit dafür hatte man ja genug, zumal zahlreiche Bahn-Projekte ohnedies seit Jahrzehnten als Forderung auf dem Tisch liegen.
Es braucht hier ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Land, und wir wollen auch nicht an den Menschen vorbeiplanen. Der Ausbau der derzeit eingleisigen und nichtelektrifizierten Bahnstrecke von St. Pölten nach Traisen mit den zwei Ästen nach Hainfeld und Schrambach wurde auch in unserer Evaluierung bereits als ein Teil der Lösung präsentiert. Diese soll in den kommenden Jahren umfassend erneuert werden. Diesbezüglich ist es uns ja vor rund zwei Jahren erstmals gelungen die finanziellen Mittel für die Elektrifizierung der Traisentalbahn sicherzustellen. Die ÖBB arbeitet in Abstimmung mit dem Land derzeit mit Hochdruck an diesem Projekt, welches mit Dezember 2026 in Betrieb genommen werden soll. 
Ebenso ist die Elektrifizierung der Strecke Herzogenburg-Krems bis Dezember 2028 vorgesehen. 

2028 ist in sechs Jahren, und für das Teilstück St. Pölten-Herzogenburg soll 2027 überhaupt erst die Planung abgeschlossen sein. Warum geht das nicht schneller?
Das liegt unter anderem daran, dass in den kommenden Jahren in ganz Österreich zahlreiche Elektrifizierungsprojekte anstehen und sowohl bei der Zulieferindustrie als auch bei der ÖBB die personellen und technischen Ressourcen zur Umsetzung dieser Projekte begrenzt sind. Prioritätenreihungen sind deshalb unumgänglich. Um aber bereits zwischenzeitlich einen emissionsfreien Verkehr anbieten zu können, laufen die Vorbereitungen zur Umstellung der Strecke St. Pölten – Krems – Horn auf Akkufahrzeuge. Der entsprechende Beschaffungsprozess ist bei der ÖBB im Gange.
Um beim Schienenverkehr in der Region zu bleiben. Was ist aktuell sozusagen in trockenen Tüchern? 
In die Traisentalbahn werden rund 85 Millionen Euro investiert, um die Strecke zu attraktivieren, zu elektrifizieren und einen deutlich verbesserten Takt zur Verfügung zu stellen. Von einem künftig verbesserten Angebotskonzept mit einem tagesdurchgängigen Stundentakt und einem Halbstundentakt zur Hauptverkehrszeit sowohl bis Schrambach als auch bis Hainfeld – in beiden Richtungen – und den kürzeren Fahrzeiten werden künftig sämtliche Fahrgäste zwischen Hainfeld, Schrambach und St. Pölten profitieren. Außerdem wurde der zweigleisige Ausbau der Strecke St. Pölten–Herzogenburg nach jahrelangem Stillstand erstmals konkret im ÖBB-Rahmenplan berücksichtigt und die dazu erforderlichen Mittel für die Planungen aufgenommen. Dies geschah auf Initiative meines Ressorts. Die ÖBB-Infrastruktur wird deshalb die Planung durchführen, wobei dabei die vorliegenden Vorstudien bzw. die bereits vorliegenden Untersuchungen aktualisiert werden und als Grundlage für alle weiteren Schritte herangezogen werden.
Diesbezüglich moniert die Stadt ebenfalls, dass die Realisierung aufgrund der Vorplanungen schneller erfolgen müsste.
Bisher liegt zu dem Projekt lediglich eine mittlerweile 17 Jahre alte Vorplanung aus dem Jahr 2005 vor, die aber nicht den für die Behördenverfahren erforderlichen Detailliertheitsgrad aufweist und die natürlich nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entspricht, weil sich zwischenzeitlich insbesondere die europäischen Vorgaben maßgeblich geändert haben.

Zuletzt wurde bekannt, dass die Haltestelle „St. Georgen-Hart“ entlang der Traisentalbahn im April aufgelassen werden soll. Können Sie nachvollziehen, dass sich viele Bürger angesichts dessen wie im falschen Film wähnen? Ist das nicht ein Widerspruch?
Wir verstehen natürlich den Frust und die Verärgerung der betroffenen Fahrgäste, angesichts der Auflassung der Haltestelle Hart-Wörth. Die Entscheidung, diese künftig nicht mehr anzubieten wurde gemeinsam zwischen dem Verkehrsverbund Ost-Region, der ÖBB-Infrastruktur AG, dem Land Niederösterreich und dem damaligen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie getroffen. Diese fiel damals auf Hart-Wörth, da diese Haltestelle vergleichsweise geringe Fahrgastzahlen aufgewiesen hat. Durch die Übersiedelung der ÖBB-Ausbildungsstätte von Hart-Wörth zum neuen ÖBB-Bildungscampus werden sich die Fahrgastzahlen vermutlich noch weiter reduzieren. Für die Bevölkerung vor Ort wird es neben dem LUP aber auch weiterhin die VOR Buslinie 690 geben, die binnen 14 Minuten den St. Pöltner Hauptbahnhof erreicht. Außerdem können nur durch die Schließung einer Haltestelle zwischen St. Pölten und Traisen die Vorteile der anstehenden Modernisierung und Elektrifizierung der Traisentalbahn voll ausgeschöpft werden.

Der St. Pöltner Bürgermeister hat zuletzt gemeint „Ministerin Gewessler hat in ihrer Amtszeit kein einziges neues Projekt zur Verbesserung der Verkehrssituation in St. Pölten umgesetzt, dafür aber Maßnahmen in Millionenhöhe gestrichen.“ Was entgegnen Sie diesem Vorwurf?
Das Klimaschutzministerium und die ÖBB-Infrastruktur AG arbeiten laufend daran, das österreichische Bahnsystem für Bahnkundinnen und -kunden zu verbessern. Gerade auch durch die erwähnten Ausbau- und Verbesserungsmaßnahmen für die Region ist für mich die Kritik des St. Pöltner Bürgermeisters nicht wirklich nachvollziehbar. Wir haben für die nächsten sechs Jahre 18,2 Milliarden Euro, die für ein modernes Eisenbahnnetz in Österreich zur Verfügung stehen und investiert werden, wovon auch der nieder­österreichische Zentralraum massiv profitieren wird.

Wie schwer ist für eine Politikerin der Spagat zwischen eigenem Anspruch und politischer Wirklichkeit? Haben Sie manchmal Sehnsucht nach Ihrem alten Beruf als Geschäftsführerin von Global 2000, wo man sozusagen auf der „anderen“ Seite steht und fordern und Druck ausüben kann, ohne Umsetzungszwängen ausgesetzt zu sein?
Mein Antrieb in die Politik zu gehen, war es ja, dass wir beim Klimaschutz weiterkommen. Nach etwas mehr als zwei Jahren kann ich sagen, es ist viel gelungen. Nach wie vor setze ich mich stark und aktiv für ein offensives und aktives Vorantreiben von zentralen Klimaschutzmaßnahmen ein – damit wir 2040 Klimaneutralität erreichen werden. Das gelingt uns durch zentrale gesetzliche Grundlagen, etwa für die österreichische Energiewende, etwa mit dem Erneuerbaren Ausbau-Gesetz oder der Wärmestrategie. Zweifellos sind damit große Kraftanstrengungen verbunden, aber auch unglaubliche Chancen. Die klimafreundliche Umgestaltung unserer Wirtschaft sorgt vielfach für zukunftsfitte Arbeitsplätze und regionale Wertschöpfung. Es tut sich einiges, etwa auch wenn ich an das KlimaTicket denke, das über 15 Jahre in diversen Regierungsabkommen festgeschrieben war – wir haben es in relativ kurzer Zeit umgesetzt.