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Föderalismus in Krisenzeit – Fluch oder Segen?


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Föderalismus in Krisenzeit – Fluch oder Segen?

Text Georg Renner , Jakob Winter
Ausgabe 11/2021
GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger arbeitet als Journalist bei der „Kleinen Zeitung“.

„Eigentlich hätte dieser Föderalismus ja durchaus Potenzial.“

Wer die Pandemiebekämpfung – bzw. den Mangel daran – in Österreich verstehen will, muss sich zwangsläufig mit der mittelbaren Bundesverwaltung beschäftigen. In grauer Vorzeit ist man nämlich draufgekommen, dass man in einem relativ kleinen Land, das sich mit Gemeinden, Ländern und Bund gleich drei politische Ebenen leistet, nicht auch noch drei parallele Verwaltungsstrukturen aufbauen muss, zumindest nicht vollständig.
Und so erledigt der Bund einen großen Teil seiner Verwaltung – den, für den er keine eigenen Ämter hat – mittelbar, indem er auf die Länder und deren Bezirksbehörden zugreift. Zum Beispiel in der Seuchenverwaltung: Was das Epidemie- und das Covid-Maßnahmengesetz betrifft, sind zunächst die Bezirksbehörden zuständig, eine Stufe höher die Landeshauptleute – und die wiederum sind dem Gesundheitsminister weisungsgebunden.
Dieses System hat bisher, vornehm ausgedrückt, eher mittelprächtig funktioniert. Nirgendwo ist das besser dokumentiert als im Untersuchungsbericht der Ischgl-Kommission, der im Detail beschreibt, wie die Bundesregierung die Beamten der BH Landeck mit der Ankündigung der Evakuierung des Paznauntals überrumpelt hat.
Näherliegende Beispiele kennen viele Schüler bzw. Eltern: Weil für Quarantäne die Heimatbezirke zuständig sind, konnte es in Klassen, in denen Schüler aus StP, Wilhelmsburg, Lilienfeld und Melk zusammensitzen vier verschiedene Auslegungen der Quarantäneregeln geben.
Das ist aber jetzt keine grundsätzliche Verdammung dieser Spielart des Föderalismus – erstens hat gerade die Zentralinstitution, der Bund, in den vergangenen Monaten eine, sagen wir, less than stellar Performance an den Tag gelegt. Zweitens ist es sinnvoll, enorme Macht wie die Seuchengesetze durch eine zweite gewählte Instanz zu verdünnen; und drittens läge in einem intelligenten Föderalismus tatsächlich ein Erfolgsrezept für eine Krise wie diese: Wenn einzelne Arme des Staats voneinander lernen und sich best-practice-Methoden abschauen – sagen wir, wie man Gurgeltests organisiert – hätte das durchaus Potenzial, mehr zu helfen als zu schaden.

JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.

„Bei unklarer Kompetenzaufteilung kann man sich immer auf den anderen ausreden.“


Wer hätte wissen können, dass Österreich schlecht für eine Pandemie gerüstet ist? Der Rechnungshof hatte eine böse Vorahnung: Die Finanzierung des Gesundheitssys­tems sei zersplittert, aufgeteilt auf Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger. Das führe „zu unterschiedlichen Interessen, Ineffizienzen, Doppelgleisigkeiten, Intransparenz, Zielkonflikten und Steuerungsdefiziten“.  
Der Satz klingt wie eine schonungslose – zutreffende – Analyse über das Kompetenz-Chaos während der Corona-Pandemie. Tatsächlich sind diese Zeilen elf Jahre alt, festgehalten in einem Paper der „Arbeitsgruppe Verwaltung neu“, der auch der Rechnungshof angehörte.
Vor Corona waren diese Ineffizienzen einfach nur teuer – seit Pandemiebeginn sind sie brandgefährlich. Beispiele gefällig? Als im Frühherbst 2021 die Neuinfektionen wieder rapide stiegen, insbesondere in Oberösterreich, schoben sich Bund und Land die Verantwortung gegenseitig zu – rechtlich wären beide in der Lage gewesen, kontaktbeschränkende Maßnahmen zu beschließen, doch das erschien vor den Landtagswahlen niemandem opportun. Bei unklarer Kompetenzaufteilung kann man sich im Krisenfall immer auf den anderen ausreden. Praktisch, aber verantwortungslos. Ergebnis des Zauderns: Ein bundesweiter Lockdown.
Die Sozialversicherung, die alle Versicherten-Daten samt Vorerkrankungen und Impfstatus hat, wurde erst gar nicht in die Impfkampagne eingebunden (außer in Kärnten).  
Auch sonst fragt man sich, warum die Pandemie hierzulande neun Mal unterschiedlich bekämpft wird. Monatelang wiesen Experten darauf hin, dass Länder wie Portugal allen Bürgern Briefe mit konkreten Impfterminen schickten. Und damit großen Erfolg hatten, weil fixierte Termine selten abgesagt werden. Mitte November versandte die Stadt Wien – spät, aber doch – ebensolche Briefe an Ungeimpfte. Im Rest von Österreich wird sich das erst bis Mitte Dezember ausgehen.
Der Rechnungshof behielt recht. Leider!