MFG - Für die Sau oder gegen sie?
Für die Sau oder gegen sie?


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Für die Sau oder gegen sie?

Text Thomas Winkelmüller
Ausgabe 02/2018

In der Nähe von St. Pölten steht ein Schweinestall. Von außen schaut er nicht anders aus, als die unzähligen Zuchten, die übers ganze Mostviertel von Dorf zu Dorf verteilt liegen. Was in den letzten Monaten oder vielleicht Jahren darin passiert sein soll, spaltet die Geister.

Verbrechen haben wir keines gemacht“, verteidigt sich Frau Hofstätter*, die gemeinsam mit ihrem Mann die Schweinezucht betreibt. „Seit 40 Jahren gehe ich zweimal täglich zu meinen Tieren, schaue nach den Ferkeln und tue nur das Beste für sie“, ist sie überzeugt. Rund 700 Schweine hält sie in ihrem Stall, auf doch eher engem Raum. Wie sie und ihr Ehemann dort mit den Tieren umgehen, empfindet sie als ethisch vertretbar. Trotzdem hat sie der Verein gegen Tierfabriken (VGT) mit einer Anzeige wegen Tierquälerei konfrontiert: Haltung der Schweine in 24 Stunden Dunkelheit, gesetzeswidrige Methoden bei der Kastration etc. Die Liste der Vorwürfe liest sich lang.Die Anschuldigungen des VGT stützen sich auf Aufzeichnungen, die ihm zugespielt worden seien, erklärt Obmann David Richter: „Wir haben Video- und Bildmaterial bekommen und auf Verstöße untersucht, was gedauert hat, weil es unzählige Stunden an Aufnahmen waren.“ Mit den erhobenen Daten, für die Verwertung aufbereitet, formulierte der Verein eine Anzeige und informierte die Bezirkshauptmannschaft. Der Kontakt mit den Behörden sei laut Richter selten von beidseitiger Zusammenarbeit gezeichnet: „Entweder wir bekommen gefühlte Ablehnung oder einfach gar keine Rückmeldung.“ In St. Pölten sei ihnen jedenfalls nicht gerade signalisiert worden, dass man über die Anzeige glücklich ist. Als der VGT die Bezirkshauptmannschaft in Kenntnis setzte, handelte diese noch am selben Tag. „Nachdem wir die Information bekommen haben, sind wir gleich hin und haben mit Amts- und Betreuungstierarzt die Missstände behoben und alle Tiere versorgt“, erinnert sich Christian Steger, Stellvertreter von Bezirkshauptmann Josef Kronister. Mittlerweile läuft ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen Verdachts der Tierquälerei, bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe sieht das Gesetz vor. Ein Sachverständigengutachten wurde eingeholt, dazu können die Betreiber nun eine Stellungnahme abgeben. Ob Anklage erhoben wird, kann die Staatsanwaltschaft noch nicht sagen. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.I sogs‘ glei, i waß‘ nedNun stellen sich einige Fragen, zum Beispiel: Wie kann es passieren, dass eine Schweinezucht vor der Nase der Bezirkshauptmannschaft so arbeitet? Dieser Thematik geht gerade auch die Volksanwaltschaft auf offizieller Ebene nach. Details dazu darf sie noch keine nennen. David Richter vom VGT sieht das Problem jedenfalls in fehlender Kontrolle, was auch strukturell bedingt scheint. Die zuständige Behörde muss, je nach Größe eines Betriebes und Ergebnissen der Vorkontrollen, auf Grundlage des mittelfristigen integrierten Kontrollplans des Bundes (MIK), Schweinezuchten regelmäßig kontrollieren. Dazu kommen noch Anlasskontrollen, wie zum Beispiel im aktuellen Fall im Bezirk St. Pölten Land. Laut Tiergesundheitsgesetz (TGG) ist der Amtstierarzt verpflichtet die Prüfungen stichprobenartig und ohne Ankündigung durchzuführen, geplant sind allerdings nur zwei Prozent der Zuchten im Jahr. Eine verschwindend kleine Zahl für so viele schweinehaltende Betriebe. Allein auf dem Gebiet der Landeshauptstadt St. Pölten sind es schon an die 70! Auf Nachfrage, wann besagter Stall denn das letzte Mal kontrolliert wurde, werden wir von Steger auf Amtstierarzt Peter Pusker verwiesen. Allein, Pusker darf laut eigener Aussage leider keine Auskunft geben. Eineinhalb Wochen später erklärt Bezirkshauptmann Josef Kronister: „Da gibt’s mehrere Kontrollstellen, ich kann Ihnen diese Kontrolltermine auch nicht sagen.“ Man solle sich ans Land wenden. Dort bekommen wir freilich die Information, die Kontrollen dieses Hofes müssen von der Bezirkshauptmannschaft durchgeführt werden und dementsprechend befänden sich alle notwendigen Akten dort. Kurzum – die Frage wird wie die berühmte heiße Kartoffel von einem zum anderen gereicht, obwohl die Antwort ja eigentlich nicht allzuschwer sein sollte. Den Termin der letzten Kontrolle erfahren wir trotz mehrmaliger Nachfrage nicht, jedoch merkt Bezirkshauptmann Kronister an, dass „der Amtstierarzt im Jahr 2017 zu sechs Kontrollen im Rahmen von Tierexporten vor Ort“ war.Gut betreut?Neben dem Amtstierarzt gibt es noch eine Person, die regelmäßig den Schweinestall besuchen muss: Der Betreuungstierarzt. Jeder Hof oder Betrieb ist verpflichtet bei einem Veterinärmediziner zur Betreuung gemeldet zu sein. Für die Schweinezucht der Familie Hofstätter ist Tierarzt Ferdinand Entenfellner zuständig. Er wurde mehrfach von Tierschutzorganisationen wegen Tierquälerei angezeigt, aber nie angeklagt oder verurteilt. Gleichzeitig ist er laut eigener Aussage „Experte für artgerechte Schweinehaltung“. Zeugen erzählten, in den Monaten vor dem Strafverfahren sei etwa im Zweiwochentakt ein Veterinärwagen vor dem Schweinestall gestanden. Laut Entenfellner sei er das gewesen – nichts Ungewöhnliches, eben für „Impfungen und Regeluntersuchungen“. Auch die Bezirkshauptmannschaft spricht von nahezu wöchentlichen Besuchen des Betreuungstierarztes. Das wirft einen vermeintlichen Widerspruch auf: Nehmen wir an, die Anschuldigungen des VGT stimmen, immerhin sind sie auf Video und Bild dokumentiert, zum Teil bereits bestätigt. Müsste ein Betreuungsarzt, der zumindest im Zweiwochentakt im Betrieb anwesend ist, verbarrikadierte Fenster, zu kurz abgeschnittene oder wegen psychischen Störungen abgebissene Schwänze, Verletzungen durch gesetzeswidrige Methoden bei der Kastration, faustgroße Beulen am ganzen Körper der Tiere, tote Ferkel und so weiter nicht bemerken beziehungsweise manche Wunden der Schweine sogar selbst behandeln? „Wir waren regelmäßig in diesem Bestand drinnen und bei unseren Besuchen haben wir sicher nichts bemerkt, das nicht gepasst hätte“, verneint Entenfellner. Jetzt ist der Betreuungsarzt vom Gesetz her zwar nicht verpflichtet Anzeige zu erstatten, wenn er Verstöße vorfindet, allerdings: Es ist ihm auch nicht verboten.Bei vermeintlichen Verstößen gegen das Tiergesundheitsgesetz geht es aber nicht nur um das wer, sondern auch um das warum. Wussten es die beiden Landwirte einfach nicht besser? Frau Hofstätter ist Pensionistin, seit Jahrzehnten arbeiten sie und ihr Ehemann als Bauern. In demselben Zeitraum haben sich auch Tierschutzgesetze geändert, und neben dem Recht wurden genauso die Menschen Nutztieren gegenüber liberaler. Aber: Selbst wenn sie ohne Intention gesetzeswidrig handelten und über die Jahre möglicherweise „verrohten“ – Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Was erwartet die Angeklagten im Falle einer Verurteilung? Auf der einen Seite kann eben eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren verhängt werden. Was den Betrieb der Familie Hofstätter angeht: Im Tierschutzgesetz gibt es die Bestimmung, wenn jemand vom Gericht einmal wegen Tierquälerei verurteilt wurde oder von der Verwaltungsbehörde zweimal, dann darf die Behörde ein Tierhalteverbot verhängen, sie muss aber nicht. Tierschutzombudsfrau für Niederösterreich Lucia Giefing verweist diesbezüglich auf einen Haken an der Regelung: „Das Problem, das wir immer wieder haben ist, dass sich das Verbot an eine Person richtet und nicht an einen Betrieb. Dann wird halt die Tierhaltung von jemand anderem im Haus übernommen. Ob die Person dann noch mitarbeiten darf oder nicht, ist von Fall zu Fall verschieden, passieren wird es wohl oft.“Die andere Frage ist, ob der Schweinemarkt und das aktuelle globale landwirtschaftliche System Bauern möglicherweise nicht geradezu zwingen, billig zu produzieren, damit aber quasi auch auf Kosten der Tiere und der Tierhaltung. Ist Bio etwa nur ein Spartenprogramm? Das glaubt Giefing so nicht, jeder Hof könne theoretisch auf einen Biobetrieb umsteigen, nur seien damit auch Änderungen verbunden, etwa in der Haltung oder im Umgang mit Futtermitteln und so weiter. Wobei die Motive, Biobauer zu werden, unterschiedliche seien: „Es wird auch Biobauern geben, die das rein des Geldes wegen machen und nicht aus Einstellungsgründen.“
"Verbrechen haben wir keines gemacht. Seit 40 Jahren gehe ich zweimal täglich zu meinen Tieren, schaue nach den Ferkeln und tue nur das Beste für sie." Frau Hofstätter*
Andere WegeAus besagten ethischen Motiven heraus wirtschaftet ein Bauernhof nicht allzu weit von der in die Schlagzeilen geratenen Zucht im Bezirk St. Pölten Land. Die Bauern dort betreiben eine Abhofvermarktung, wo sie ein paar Kühe mitsamt Kälbern in Mutterkuhhaltung und einige Säue inklusive Ferkeln halten. Daneben geht ein Teil der Familie arbeiten. Um nur von der Landwirtschaft leben zu können, müssten sie den Stall erweitern, um mehr Tiere halten zu können, zudem Ackerbau betreiben, um die hohen Futterkosten abzudecken, so die Bäuerin: „Gehen würde es schon, viel Arbeit wäre es nur.“ Ganz gleich wie viele Tiere, für sie zählt die artgerechte Haltung: „Bevor wir selber gezüchtet haben, holten wir unsere Ferkel aus Pyhra von einem Bauern, und der ist mit den Schweinderln umgegangen, als ob sie nichts wert wären. Der hat sie uns einfach in den Wagen gefetzt. Ich glaube viele Landwirte sehen ihre Tiere nur als Objekte, so als ob bei uns ein Teil kaputt werden würde. Ganz ehrlich, für mich sind sie meine Freunde.“ Schweinebauern hätten es die letzten Jahre aber auch nicht leicht gehabt, erzählt sie. Der Ferkelpreis sei zwar jetzt wieder stabil, vor eineinhalb Jahren sei er allerdings auf einen Tiefpreis von etwa 50 Euro pro Ferkel gefallen. Nichtsdestotrotz glaubt sie, dass mittlerweile ein Wandel im Gange ist: „Immer mehr Bauern begreifen, dass sie mit Bio-Betrieben und durch bessere Haltung der Tiere genauso gut, wenn nicht sogar besser wirtschaften können.“Die letzte Frage stellt Frau Hofstätter mit ihren Aussagen im Interview in den Raum: Rechtfertigen Unwissen, Gier oder Gleichgültigkeit am Ende sogar einen Einbruch? „Es ist circa zehn Mal in den Stall eingestiegen worden, das scheint ja nirgends auf und das find ich nicht in Ordnung“, erklärt die Landwirtin. Sie finde es grotesk, dass „tägliches Einbrechen und das Installieren von Kameras“ legitimiert wird. Woher die Aufnahmen stammen, wisse allerdings auch der VGT nicht, zumindest behauptet er das. Wer dafür Schuld trägt, ist in diesem Fall wohl auch nicht der springende Punkt, denn die Frage sollte ganz anders gestellt werden: Ist es notwendig, dass Tierschützer zweifelhaftes oder sogar illegales Material benutzen müssen, damit Missstände in der Tierhaltung überhaupt erst aufgedeckt werden können?*Name geändert.
"Das Problem ist, dass sich das Verbot an eine Person richtet und nicht an einen Betrieb. Dann wird halt die Tierhaltung von jemand anderem im Haus übernommen." LUCIA GIEFING, Tierschutzombudsfrau für Niederösterreich
Tierhaltungsverordnung ÖsterreichMindestanforderungen für die Haltung von Schweinen2.5 Licht – Steht den Tieren kein ständiger Zugang ins Freie zur Verfügung, müssen die Ställe, Fenster oder sonstige offene oder transparente Flächen, durch die Tageslicht einfallen kann, im Ausmaß von mindestens 3% der Stallbodenfläche aufweisen. Im Tierbereich des Stalles ist über mindestens acht Stunden pro Tag ein Lichtverstärker von mindestens 40 Lux zu erreichen.2.10 Eingriffe – Zulässige Eingriffe sind:3. das Kupieren des Schwanzes, wenn der Eingriff mit einem Gerät durchgeführt wird, welches scharf schneidet und gleichzeitig verödet und • der Eingriff bei Schweinen, die nicht älter als sieben Tage sind, durch eine sachkundige Person mit wirksamer Schmerzbehandlung, welche auch postoperativ wirkt, durchgeführt wird oder• der Eingriff durch einen Tierarzt nach wirksamer Betäubung und anschließender Verwendung schmerzstillender Mittel durchgeführt wird,• höchstens die Hälfte des Schwanzes entfernt wird und• der Eingriff zur Vermeidung von weiteren Verletzungen der Tiere notwendig ist,4. das Kastrieren männlicher Schweine, wenn der Eingriff mit einer anderen Methode als mit dem Herausreißen von Gewebe erfolgt unda) der Eingriff bei Schweinen, die nicht älter als sieben Tage sind, durch eine sachkundige Person mit wirksamer Schmerzbehandlung, welche auch postoperativ wirkt, durchgeführt wird oderb) der Eingriff durch einen Tierarzt oder einen Viehschneider, der dieses Gewerbe nach gewerberechtlichen Vorschriften ausübt nach wirksamer Betäubung und postoperativ wirksamer Schmerzbehandlung durchgeführt wird.