MFG - Vor Dienstschluss
Vor Dienstschluss


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Vor Dienstschluss

Text Johannes Reichl
Ausgabe 11/2014

Mimi Wunderer ist die Bühne im Hof und die Bühne im Hof ist Mimi Wunderer. Dass die Bühne-Gründerin Ende nächsten Jahres in Pension geht, scheint daher für die meisten noch unvorstellbar. Ein Gespräch über die veränderte Kulturszene, den Kampf um Selbständigkeit, viel Überzeugungsarbeit und das Leben danach.

Die Bühne im Hof an „normalen“ Arbeitstagen hat nichts vom bunten lauten Treiben der Abendveranstaltungen. Das kleine Team arbeitet zurückgezogen in seinen Büros, nur ab und an dringen einige Wortfetzen auf den Gang heraus und zeugen vom Leben hinter Mauern. Auch Wunderers Büro kommt unaufgeregt daher – alles ist ordentlich aufgeräumt, weiß getünchte Wände und eine große Glasfront versprühen Nüchternheit. Allein der Chihuahua Diego ist über den Besuch wenig erfreut und bricht die beschaulich-arbeitssame Ruhe durch aufgeregtes Gekläffe. „Den hab ich von meiner Nichte geerbt“, verrät Wunderer wenig enthusiastisch und spricht von einer Art Hassliebe. „Ich hab ihn jetzt acht Jahre, aber wir sind noch immer verfeindet. Er beißt mich manchmal – er ist ein richtiger Macho!“ Wer Wunderer aber kennt, weiß, dass sie noch mit jedem fertig geworden ist – und so gibt auch Diego irgendwann klein bei, hüpft auf ihren Schoß und versteckt seinen Kopf unter ihrem Arm.
Das Ende der Kultur?
Wunderer und ich vollführen derweil konzentrische Kreisbewegungen um ihren nahen Abschied, der zwar unterschwellig als Kernthema in der Luft liegt, aber doch – so als müssten wir uns erst behutsam von außen nach innen vorarbeiten – derweil unausgesprochen bleibt. Stattdessen beginnen wir das Gespräch mit einem Blick auf die aktuelle Kulturszene, die Wunderer einigermaßen zwiegespalten wahrnimmt. Zum einen attestiert sie St. Pölten selbst – nicht nur künstlerisch, aber natürlich auch diesbezüglich – eine äußerst positive Entwicklung. „Im letzten Vierteljahrhundert hat St. Pölten enorm gewonnen – mit der Bühne im Hof, dem Landestheater, dem VAZ, dem Festspielhaus, dem Cinema – wir haben hier ja wirklich alles.“
Zum anderen sieht sie die allgemeinen Entwicklungen im Kulturbusiness, die stark mit gesamtgesellschaftlichen einhergehen bzw. deren Ausfluss sind, auch kontraproduktiv. „Die Szene ist dilettantisch und aufgebläht geworden. In Österreich ist es ja so, dass jemand am Abend eine Konzertveranstaltung besucht und am nächsten Morgen glaubt, er ist Experte und kann sowas selbst auf die Beine stellen.“ Dadurch würden sich immer mehr Glücksritter im Veranstaltungssegment tummeln, was der Qualität abträglich sei und den renommierten Bühnen negativ zusetze. „Was ich wirklich ankreide ist dieser unglaubliche Überfluss an Angeboten – und umso mehr es gibt, umso lächerlicher, banaler und billiger werden sie. Ich war die erste, die hier vor 25 Jahren eine Alternativbühne etabliert hat, vorher hat es das in St. Pölten nicht gegeben. Heute hingegen hast du in einem Umkreis von vielleicht 25 Kilometern 65 verschiedene Veranstalter – das ist Wahnsinn!“ Wahnsinn, weil dadurch die Kultur, die Qualität, die Wertschätzung der Künstler leiden würden. Als Hauptverantwortliche für diese Entwicklung ortet sie neben unprofessionellen Veranstaltern v.a. auch eine neue Managergeneration. „Der Typus des geldgierigen Managers, der die Künstler ausbeutet und überall hin verkauft, hat überhand genommen. Es geht nur mehr ums Geld und die Quote!“ Anstatt dass Kultur idealtypisch für Inhalte, Aufklärung und Bildung steht, „was auch die Aufgabe der subventionierten Betriebe sein sollte, erleben wir ein Absinken auf Musikantenstadl-Niveau.“
Die leichte Muse greife um sich, wobei Wunderer auch einen gewissen gesellschaftlichen Eskapismus als Wurzel ortet: „Viele Menschen haben keine Perspektiven mehr. Das Leben wird als schwer empfunden, deshalb sucht man in der leichten Unterhaltung eine Art Ausgleich, flüchtet vor dem Alltag – nur das Leben ist halt nicht nur schwer und nur leicht, alles gehört dazu, das müsste die Kultur auch widerspiegeln. Stattdessen kippen wir immer stärker in Richtung Berieselung, lassen uns wie Ahnungslose treiben, übernehmen alles 1:1 aus den Medien, ohne kritisch zu hinterfragen – das halte ich für eine ganz gefährliche Entwicklung!“
Kulturkampf
Als Mensch sieht sich Wunderer dabei auf zwei Ebenen konfrontiert bzw. auch gefordert. Zunächst natürlich als Privatperson. „Ich erkenne einfach sehr viele Missstände und Lügen, wobei ich gar nicht weiß, ob das ein Fluch oder ein Segen ist. Dagegen muss ich aufstehen. In dem Sinn bin ich durchaus ein bissl ein Revoluzzer, aber nicht um seiner selbst willen – ich schwimme nicht immer gegen den Strom, ich schwimme aber auch nicht mit ihm, ganz einfach weil ich weiß, dass der Informationsfluss, der auf uns hereinprasselt, nur aus Teilwahrheiten besteht.“ In einer Gesellschaft der steten Informations- und Reizüberflutung, gelte es vielmehr, seinen Weg, die Wahrheit zu finden – aufbauend auf einem kritischen Blickwinkel. „Ich habe kein Patentrezept. Für mich persönlich versuche ich nur, wach zu sein, nicht zu imitieren, mich nicht von Mode, Hollywood, Heidi Klums und Co. beeinflussen zu lassen, sondern selbstständig zu sein! Aber ich bin dafür sowieso nicht empfänglich was mich viel mehr beeinflusst, sind Bildung, Wissen – aber diese Werte werden immer weniger vermittelt.“
Genau darin – und hier kommt Wunderer von einem „klassischen“ Bildungs- und Aufklärungsauftrag des Theaters her – sehe sie auch den Sinn ihrer kulturellen Tätigkeit, wobei sie kein Hehl daraus macht, dass auch die Bühne im Hof dem allgemeinen Konkurrenz- und Quotendruck ausgesetzt ist. „Auch ich kann mich dieser Kritik ja nicht entziehen, muss 80% das bringen, was nach dem Geschmack der Menschen ist.“ Eine unbefriedigende Situation, der sie Paroli zu bieten versucht. „Im Laufe der Jahre bin ich draufgekommen, dass das für mich so nicht mehr stimmt und ich etwas dagegenhalten muss – und das tun wir u.a. mit dem Jugendtheater.“ Tatsächlich ist Jugendtheater, vielfach in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen, eine ganz wesentliche Säule der Bühne im Hof mit mehreren Tausend jugendlichen Besuchern im Jahr. „Es geht um Themen, die für Jugendliche wichtig sind, die von den Jugendlichen selbst kommen. Darin finde ich mich auch selbst, das erfüllt mich, das ist wichtig!“ Gerade im Hinblick auf ihre Kritik an einer Gesellschaft, die immer angepasstere Menschen hervorbrint, setzt Wunderer auf das Feuer und das kritische Potential der Jugend.
Dialog der Kulturen
Ein anderes „Nischensegment“, das sie neben den „klassischen“ Ingredienzien der Bühne im Hof wie Kabarett, Kleinkunst und Musik forciert hat, betrifft den Dialog zwischen den Kulturen. Als gebürtige Perserin, die seit 40 Jahren in Österreich lebt, kommt ihr diesbezüglich besondere Glaubwürdigkeit zu, wobei sie auch in diesen Fragen voll Sorge auf die gesellschaftlichen Tendenzen blickt. „Wenn Sie mich fragen, wo meine Heimat ist, kann ich das nicht eindeutig beantworten. Ich bin ein internationaler Mensch. Den Großteil meines Lebens habe ich in Österreich verbracht, meine Wurzeln liegen im Orient, meine Lebensart würde ich als österreichisch bezeichnen – sicher nicht europäisch! Europa, nein danke – die sollen ohne mich auskommen.“ Gerade den Ideen von europäischer, ja globaler Einheit steht Wunderer in deren aktuellen Manifestationen kritisch gegenüber. „Wir sehen, dass das Leben eigentlich nirgends auf der Welt mehr in normaler Form funktioniert. Weder im Orient, noch im Okzident. Jeder will dem anderen seine Lebensweise aufzwingen. Durch die Globalisierung, durch den Nonsens der völligen Öffnung werden alle unterschiedlichen Lebensformen unter die selbe Glocke gestülpt, ohne zu wissen, wie diese kompatibel sind, ohne ein Konzept des Zusammenlebens zu entwickeln. Ich bin daher auch überzeugt, dass sich der EU-Gedanke nicht halten wird – schauen wir uns doch an, was da abgeht: Da ist ein Faschist in Ungarn an der Macht, und es geschieht genau gar nichts, wo doch alle von Zusammengehörigkeit, von gemeinsamen Werten wie Toleranz, Demokratie, Gleichheit sprechen. Und die Institutionen und institutionellen Abläufe in der EU selbst sind nicht demokratisch legitimiert – das passt nicht zusammen. Der einzige gemeinsame Nenner ist Wirtschaft – das ist reichlich wenig!“
Eine Verengung, die sich auch in der Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Staaten, Kulturen und Religionen niederschlage. „Es gibt in Wahrheit viel zu wenig echten Dialog bzw. wenn, dann oft nur unter wirtschaftlichen Aspekten.“
Ganz bewusst habe sie deshalb im Jahr 2000, als die Vereinten Nationen auf Vorschlag des iranischen Präsidenten Chatami für 2001 das Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen ausriefen, diese Idee aktiv aufgegriffen. „Dabei gab es gewaltige Strömungen dagegen, aber ich bin stolz, dass wir unter meiner Leitung den Dialog zwischen den Kulturen im Festspielhaus aufgebaut haben und ich ihn dann in die Bühne im Hof mitgenommen habe.“ Denn nur der gelebte Dialog könne zum gegenseitigen Verständnis beitragen, eine Aufgabe die gerade in Zeiten sich zuspitzender Konflikte zwischen den Kulturen und Weltanschauungen wichtiger denn je scheint, weshalb Wunderer auch auf eine Fortführung des Dialoges nach ihrem Abgang Ende 2015 hofft. „Es wäre ein schlimmer Rückschritt, wenn man diese Idee nach meinem Abgang nicht mehr ernst nimmt – das sollte man keinesfalls abwürgen!“
Der nahe Abschied
Da klingt zum ersten Mal – womit wir in den innersten Kreis unseres Gesprächs vordringen – doch so etwas wie Wehmut, auch Unsicherheit durch, wie es mit der Bühne im Hof denn nach ihrem Abgang weitergehen wird. Wie blickt sie denn dem nahen Abschied entgegen? „Ich bin kein besitzergreifender Mensch, kann loslassen – das hat sich schon beim Festspielhaus gezeigt, das ich nach fünf Jahren verlassen habe, weil mir die Doppelbelastung mit der Bühne im Hof zu viel wurde. Das ist sicher ein Vorteil. Andererseits habe ich die Bühne im Hof aufgebaut und 25 Jahre betrieben, ich weiß also noch nicht wirklich, wie ich damit umgehen werde, wenn es Abschiednehmen heißt.“ Sie arbeite jedenfalls daran, sich mit dem Gedanken anzufreunden „jeden Tag vorm Schlafengehen, und ich möchte im Vorfeld auch in Ägypten am Roten Meer, das ich liebe, meine Gedanken ordnen. Dann kann ich hoffentlich loslassen.“ Auf die Frage, wer ihr nachfolgen soll, wünscht sich Wunderer nur „dass man hoffentlich fähige Leute findet – es gibt ja bereits über 150 Bewerber“, darunter wohl auch eine Reihe besagter Dilettanten und Glücksritter. Einmischen werde sie sich aber nicht, „ich halte es da nach dem Motto: Ich kam, tat und ging. Ich werde meinem Nachfolger bzw. meiner Nachfolgerin aber jedenfalls mit Rat und Tat zur Seite stehen – er oder sie übernimmt ein großartiges, gut strukturiertes Haus mit einem tollen Team!“
Ein Haus, das Wunderers ureigenstes Projekt ist, wenngleich sie betont, „dass das nicht ich alleine, sondern ich gemeinsam mit dem Team geschaffen habe.“ Die Idee zur Bühne entstand dabei im Zuge einer Diskussion bei der Kleinkunstpreis-Verleihung in Linz anno dazumal. „Ich war damals Leiterin des Hernalser Stadttheaters. Im Gespräch haben die Kabarettisten gemeint, dass sie um St. Pölten immer einen Bogen machen, und da hat Josef Hader gemeint ‚Du bist eh so zäh Mimi – schau, dass du dort etwas aufbaust!‘“
Wunderer begann in Folge mit Präsentationsmappe bewaffnet 1987 die Ochsentour nach Sponsoren und Verbündeten. „Der damalige Kulturamtsleiter der Stadt Karl Gutkas hat mich praktisch mit einem Tritt in den Hintern wieder aus seinem Büro hinausbefördert und gemeint ‘Wozu brauch ma sowas?‘“ Der damalige Finanzreferent des Landes hingegen habe sofort 1,5 Millionen Schilling für den Umbau der ehemaligen Wäscherei in der Linzerstraße sowie weitere 500.000 als Ausfallshaftung für den Betrieb zugesagt. Sein Name: Erwin Pröll. „Ohne den Landeshauptmann hätte es die Bühne im Hof schlicht nicht gegeben!“ Ebenso nicht ohne die Kulturplattform „Michi Steiner, Norbert Steiner, Anita Fritsche und Hans Jörg Schelling haben zur Verwirklichung beigetragen, damit eine Bühne gefunden wird, die technischen und baulichen Fragen geklärt werden, die Finanzen stehen. Schelling allein hat als Leiner/Kika Direktor damals 60.000 Schilling gegeben – und heut ist er Finanzminister, wer hätte das gedacht?! Ich erinnere mich noch an das kleine Kammerl in der Linzerstraße 18, wo ich gesessen bin und das Programm erstellt hab, Aussendungen verfasst und Adressen gesammelt hab – ich weiß gar nicht mehr, wie ich das geschafft habe?“ Die „zähe Mimi“ schafft es aber – und so eröffnet am 1. April 1990 die gern als erstes „Hauptstadtprojekt“ titulierte Bühne im Hof ihre Pforten, am 7. April startet mit Schlabarett das Programm – der Rest ist Geschichte.
Unruhestand vorprogrammiert
Dass Wunderer dazwischen „doppelgleisig“ fuhr und rund fünf Jahre – zunächst als Krisenfeuerwehr einspringend – auch das Festspielhaus leitete, ist fast schon wieder vergessen, ebenso wie ihre Gegenwehr gegen die Integration der Bühne in die NÖKU-Holding. Als Gründerin und Prokuristin wollte sie sich nicht, wie es bei den NÖKU-Betrieben Prinzip ist, einen Geschäftsführer zur Seite stellen lassen. Passiert ist dies am Papier trotzdem, aber man hat letztlich einen Kompromiss gefunden. „Ich habe einen Freiraum gehabt, das haben auch die Geschäftsführer letztlich akzeptiert. Dabei haben auch wir in der Bühne das Vier-Augen-Prinzip – aber es beschränkt sich darauf, dass ich anständig arbeite, wir unser Budget, das geprüft wird, nicht überschreiten – das wäre aber sowieso nicht mein Stil.“ Rückhalt bei diesen Kämpfen hatte Wunderer stets vom Landeshauptmann, mit dem sie bis heute ein freundschaftliches Verhältnis verbindet. „Ich war schon mitunter ein Rebell, protestierend. Aber ich wurde immer von Erwin Pröll unterstützt, bin unter seinem Schutz gestanden. Dadurch hab ich umgekehrt aber auch mein anfängliches Misstrauen aufgegeben. Auch Paul Gessl hat sich immer anständig benommen, man hat ja gesehen, dass man sich auf mich verlassen kann.“
Und das von Beginn an. In all den Jahren blieb Wunderer „ihrer“ Bühne im Hof treu, verschmolz gleichermaßen mit dem Projekt, so dass man die Einrichtung heute intuitiv mit Wunderer assoziiert und umgekehrt. Dass nach so langer, erfolgreicher Leitung nun wohl die üblichen Ehrenbezeugungen und Danksagungen auf sie niederprasseln werden, möchte die Intendantin tunlichst vermeiden. „Ich lass mich nicht wegverabschieden. Ich feiere auch 25 Jahre Bühne im Hof nicht mit einem großen Fest – das Geld geben wir lieber für die Künstler aus! Wir werden aber eine Broschüre machen, in der ich mich im Vorwort beim ehrwürdigen Landeshauptmann, beim ehrwürdigen Bürgermeister und bei unseren Besuchern bedanke und sozusagen Abschied nehme.“ Das müsse genügen. Trubel um ihre Person sei ihr hingegen gar nicht geheuer „Ich bin eher ein scheuer Mensch, agiere lieber im Hintergrund. Ich bin zwar gern in Gesellschaft von Menschen, die mich mögen – aber mich haben auch haufenweise Menschen nicht gemocht, warum soll ich da dann ein großes Fest feiern?“
Den Schulterklopfern wird sie – zumindest bis Ende 2015 – dennoch nicht entgehen. Danach allerdings beginnt mit 1. Jänner 2016 für Wunderer, wie man so schön sagt, ein neuer Lebensabschnitt namens Pension – die Zeit nach der Bühne im Hof. Dass sie den Ruhestand dabei freilich ohnedies als Unruhestand anlegen wird, daran lässt sie schon jetzt keine Zweifel ausfkommen. „Nichtarbeiten existiert für mich nicht, das Wort kenne ich gar nicht. Ich halte bereits Augen und Ohren offen, habe schon Ideen für die Zeit danach.“
Wunderer wird der Kulturszene also treu bleiben, „denn töpfern, malen und Fremdsprachenlernen – das ist nicht so mein Ding!“