MFG - „Ich bin eine Erzählerin“
„Ich bin eine Erzählerin“


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

„Ich bin eine Erzählerin“

Text Siegrid Mayer
Ausgabe 11/2014

„Treffen wir uns doch in einem netten St. Pöltner Lokal“, schlägt Zdenka Becker vor, und so landen wir im Cinema Paradiso, wo sich bei Kräutertee und Lounge Musik ein angeregtes Gespräch mit der frisch gebackenen Literatur-Würdigungspreisträgerin des Landes entspinnt.

Wie hat es Sie eigentlich nach St. Pölten verschlagen?
Wir leben seit 1983 im Elternhaus meines Mannes, er ist gebürtiger Radlberger, gerade feierten wir unseren 40sten Hochzeitstag! Als Studenten haben wir uns vor 43 Jahren beim Schifahren kennengelernt, dann - ich in Bratislava, mein Mann in Wien - fertig studiert, geheiratet und zusammen nach Wien gezogen. Auch unsere zwei Kinder sind dort geboren. Und, obwohl ich als Städterin aufgewachsen bin, kam dann irgendwann die Entscheidung: „Geh‘ma aufs Land!“ Damit die Kinder in der Natur aufwachsen – und das haben wir nie bereut.
Sie haben Wirtschaft und Dolmetsch studiert – wann bzw. wie haben Sie dann den Weg zum Schreiben gefunden?
Ich bin eine Erzählerin. Weil ich die Geschichten aber nicht jedem erzählen kann, muss ich sie aufschreiben. Das ist mein Beruf. Schon im Kindergarten habe ich den anderen Kindern selbst erfundene Märchen erzählt. Später habe ich dann – weil die Ausbildung im Kommunismus streng geregelt war – Wirtschaft studiert, mit dem Hintergrundgedanken, einmal Journalistin zu werden.
Als Mutter hatte ich dann durch den Schulbesuch der Kinder die Vormittage für mich und nutzte diese sehr bewusst zum Schreiben, wobei ich von Beginn an in Deutsch geschrieben habe. Im Zuge eines Akademiker-Trainings für wiedereinsteigende Mütter bei der NÖN wurde mir dann aber rasch klar, dass der Journalisten-Beruf doch nichts für mich ist, denn ich will schreiben, was und wann ich es will. In Folge habe ich Kontakt zu Literaturgruppen wie z.B. LITGES gesucht, ebenso meine Vernetzung nach Krems und Traismauer erweitert. Relativ schnell wurden erste Texte und Gedichte von mir im LIMES, dem Vorgängermagazin von ETC, veröffentlicht und so begann alles zu laufen ...
Haben bzw. hatten Sie Vorbilder?
Eigentlich nicht, wenngleich es Autoren gibt, die ich immer wieder besonders gerne lese, wie zum Beispiel Ernest Hemingway, Philip Roth, die großartige Siri Hustvedt, Thomas Bernhard, Peter Handke, Elfriede Jelinek, Arno Geiger und viele mehr. Immer wieder kommen Neue dazu, wie zuletzt Robert Seethaler mit „Ein ganzes Leben“.
Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?
Aufstehen, frühstücken, früher schon um sechs Uhr, heute um acht. Dann sitze ich am Schreibtisch, bis mittags, im Anschluss koche ich für mich und meinen Mann. Nachmittags gibt es Freizeit, viel Sport, wir pflegen unsere sozialen Kontakte. Abends, wenn ich zuhause bin, schreibe ich weiter. Ich komme auf etwa sechs Stunden am Tag, früher bis zu zehn Stunden, wobei ich jeden Tag arbeite.
Der zweite Teil meines beruflichen Alltags gehört dem Reisen, um den Kopf frei zu bekommen. So werde ich Ende November für zwei Monate nach New York gehen, um dort den aktuellen Roman zu beenden. Dort kann ich in der Anonymität untertauchen und erhalte neue Inspirationen. Daraus ergeben sich auch die Schauplätze meiner Romane: Slowakei, Tschechien, Österreich/Wien und USA/New York.
Und Hobbies darüber hinaus?
Meine Haupthobbies sind Lesen, Theater und Kino. Zum Ausgleich brauche ich Sport, vor allem Nordic Walking und Langlaufen, Wandern, Schwimmen, Radfahren. Aber: „Wer eine Kunst in sich hat, hat auch andere Künste in sich.“ Daher befasse ich mich auch mit Malerei, Keramik und Seidenmalerei.
Sie nutzen zudem diverse soziale Netzwerke im Internet wie Facebook und Youtube. Wie ergeht es Ihnen damit?
Mein Zugang zu sozialen Medien ist sehr aufgeschlossen, ich hatte auch noch nie negative Erfahrungen. Natürlich kommt bei 5000 Freundeskontakten auf Facebook schon manchmal jemand auf die Idee, mich mit einer Nachricht zu belästigen, aber die lösche ich gleich und lese sie auch gar nicht. Mit vielen anderen der Plattform hat sich aber sogar eine Email-Bekanntschaft ergeben, man schreibt sich, und so entstanden teils sehr schöne Freundschaften.
Und der Kontakt mit den Lesern in der analogen Welt?
Ich liebe Lesungen und mache daher verhältnismäßig viele, vor allem weil mir der Kontakt zu den Lesern wichtig ist. Mit dem Roman „Der größte Fall meines Vaters“ habe ich bisher 45 Lesungen gehabt! Danach bleibe ich noch dort, es wird geredet, ältere Bücher werden signiert – das genieße ich sehr.
Was war – falls es das geben kann – in Ihrem Schaffen Ihr Schlüsselwerk?
Ach, das ist nicht so zu nennen, aber eine „Wende“ kam mit dem Roman „Die Töchter der Róza Bukovská“. Es ist ein Migrationsroman über Töchter, die in den USA, Österreich und der Slowakei leben. Damals kam ich auch zu einem anderen Verlag und erhielt bessere Wahrnehmung durch das Publikum und Kritiker. Aber ob das mein Hauptwerk ist, weiß ich nicht. Ich habe immer das letzte am liebsten.
Was planen Sie noch literarisch?
Ich muss nicht, möchte aber noch ein paar Romane oder Theaterstücke schreiben. Jedes Buch ist eine abgeschlossene Geschichte. Es sind aber immer mehr Inspirationen da als ich verarbeiten kann. Ich beginne mit einem Impuls aus der Realität, der Wahrheit, dann kommt beim Schreiben die Phantasie dazu und durch Bearbeitung wird das Exposé nach und nach geändert. Die Geschichte entwickelt schnell ein Eigenleben.
Konsumieren Sie auch „trashige“ Literatur?
Ich gönne mir kein schlechtes Buch, da bin ich rigoros und hart. Wenn es mich nach 50 Seiten nicht packt, dann ist es weg. Ein gutes Buch muss jedenfalls neugierig machen, darf nicht vorhersehbar sein.
ZUR PERSON
Zdenka Becker, geboren 1951 in Eger, ist in Bratislava aufgewachsen und lebt seit den 70er Jahren in Österreich, seit 1983 in St. Pölten. Sie schreibt in deutscher Sprache und wurde mehrfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Bücher (u.a.): Die Töchter der Róza Bukovská (Roman, 2006), Taubenflug (Roman, 2009). Zuletzt erschienen: „Der größte Fall meines Vaters“ (Deuticke Verlag).
Nächste Lesung: 28.1. 18 Uhr, Das Hauserl, Feuerbergweg 17, 3105 Unterradlberg
www.zdenkabecker.at